Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Serie: Frankfurt liest ein Buch: Benjamin und seine Väter von Herbert Heckmann, Teil 11

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Zu einer schönen Gewohnheit der Leseaktion ist auch längst der Abend in der Buchhandlung Hugendubel geworden, der, obwohl dort das Jahr über viele Lesungen stattfinden, auch für die Beschäftigten ein Fest ist.

Ob immer der Hessische Rundfunk daran beteiligt ist? In der Erinnerung schon und an diesem Abend sowieso, der im Gespräch den Zuhörern Herbert Heckmann vor Augen führen wird, wozu auch die Lesung von Isaak Dentler vom Frankfurter Schauspiel sowie Rundfunkbeiträge von damals gehören. Ruth Fühner soll ihren hr-Kollegen zum Reden bringen, was bei Hans Sarkowicz nicht schwer ist, dem die Begeisterung, damals im Rundfunk mit Herbert Heckmann zusammen gearbeitet zu haben, noch heute anzuhören ist. Obwohl, obwohl...wenn man es ernst nimmt, waren es dann doch eher dessen Metzelsupp und seine begnadeten Wurstwürzungen, die Hans Sarkowicz so für Heckmann einnahmen und die ihm noch heute das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.

Das wäre doch auch was für die diesjährige Leseaktion gewesen, den bekannten Feinschmecker und ausgezeichneten Koch mit einem Kochkurs zu würdigen, dachten wir flapsig. Da kann man das Zubereitete dann aufessen und weg ist es. Hier aber ging es nur um Worte, viele Worte. Daß im Roman BENJAMIN UND SEINE VÄTER der Autor in beiden Hauptfiguren steckt, dem jugendlichen Helden Benjamin und dem Möchte-gern-Vater Jonas, das ergibt sich beim Lesen. Und Ruth Fühner hat mit ihren Bemerkungen zum BENJAMIN und seinem Autor, „aus der Zeit gefallen“ und „er kann tote Gegenstände zum Leben erwecken“ auch recht, was in der Lesung über die berühmte Uhr auch zum Ausdruck kam.

Wieso aber ein aus der Zeit gefallener Roman, den wir in vielen Artikeln zu würdigen versuchten, aber eben meinen, daß man die Zwanziger Jahre und den Nationalsozialismus ab 1933 nicht so verschleiern darf, wie es in BENJAMIN geschieht, wieso dieser Roman 1963 den Bremer Literaturpreis erhielt, das hielt Hans Sarkowicz fest und betonte, daß dieser Preis ein fortschrittlicher und literarisch anspruchsvoller Literaturpreis sei. Und auch da waren unsere Gedanken flapsig und formulierten weiter: „Alles eine Sache der Jury, wie war sie denn besetzt?“ Und was für die Jury des Bremer Literaturpreises gilt, das gilt auch für die, die die jährlichen Bücher für die Aktion FRANKFURT LIEST EIN BUCH auswählen!“

Interessant dann der Hinweis von Sarkowicz, daß Heckmann über seine Kindheit nur sehr selten gesprochen habe. „Er redete nicht über seine eigene Vergangenheit.“ Seine eigentliche Autobiographie – BENJAMIN ist es nicht! - wurde dann später DIE TRAUER MEINES GROSSVATERS. Bilder einer Kindheit. Sarkowicz hat aus einigen Erfahrungen mit Heckmann geschlossen, daß Identitätssuche durchaus dessen Ding war und er eben gerne damit changierte.

Ruth Fühner, die ihn noch kennengelernt hatte, erinnert sich seiner als eines „gutmütigen, federbettartigen Riesen“, der mit seinem weichen Frankfurterisch gemütlich daherkam. Beide hr-Mitarbeiter wollten es aber bei dem netten Onkel nicht belassen: „Es gab auch eine dunkle surreale Seite!“ Daß dieses sich in der Literatur bewahrt hat, zeigten die beiden Textpassagen, die Isaak Dentler fein, aber leider überhaupt nicht Frankfurterisch zum Besten gab. So zu sprechen, muß auch allein das Privileg des Autors bleiben, schließlich ist ja der Roman auf Hochdeutsch niedergeschrieben. Aber in dem vom Hessischen Rundfunk herausgegebenen Hörbuch vom BENJAMIN liest der Autor selbst – und das ist eindeutig ein gepflegtes Frankfurterisch, eben ein besseres sozusagen. Und manchmal einschläfernd weich gesprochen, da kann man Ruth Fühner folgen.

Nach den beiden Hörbeispielen aus dem Archiv des Senders, die Fühner und Sarkowicz mitgebracht hatten, muß man vermuten: er konnte gar nicht anders. Sein Frankfurter Idiom blieb sein Markenzeichen. Und warum auch nicht. Neben den Anekdoten zum Essen und zum Genießer Heckmann ging es dem Literaturwissenschaftler Sarkowicz sehr darum, die Chuzpe Heckmanns weiterzutragen, der ein Satiriker sondergleichen gewesen sei, nicht nur in Worten, auch in Taten und der vor allem die Faktenhuberei seiner Kollegen mehrfach unterlaufen habe.

Besonders gerne habe er deutsche Schriftsteller erfunden, deren fiktive Werke er ganz real würdigte und ihnen entsprechende Lebensläufe auf den Leib schrieb. Kringelig habe er sich gelacht, als er dann einmal einen in einem Literaturlexikon wiederfand. Herrlich fand er auch, daß die Gießener Goethegesellschaft auf den von ihm kreierten Gottlieb Klingser reingefallen war. Diesen Wissenschaftler hatte er mit entsprechenden Belegstellen für seine hr-Sendung über die wahre Lautgestalt der goethschen Gedichte als Autorität seiner eigenen Aussagen gebraucht. Sie wissen schon: „Ach, neige, du Schmerzensreiche“ heißt es nur auf dem Papier, Goethe dichtete im FAUST: „Ach, Neische, du Schmerzensreische“? Fürsorglich und geschickt hatte Heckmann den guten Gottlieb im Zweiten Weltkrieg sterben lassen, damit ihn niemand mehr befragen könne. Das ist nicht nur Schabernack, sondern ein souveräner Umgang mit Texten, Menschen, Geschichte. Und Sarkowicz fügte hinzu: „Eindeutig profaktisch!“

Daß er seine 1980 erschienene DEUTSCHE DICHTERFLORA lieber Fritz Schönborn verfassen ließ, das ist weniger aufregend, denn Pseudonyme sind geradezu Ausweis literarischer Begabung und nur in heutiger Zeit, wo das Internet alles entschlüsselt, immer weniger gebräuchlich. Darum hüten Sie sich, eine Recherche im Internet anzustellen. Da finden Sie als Erstes: „‘Es gibt nur einen Fritz Schönborn‘, sagt die Fleischereifachverkäuferin grinsend.“ Und das ist noch dazu aus einem TATORT von 2013, aber erinnert doch deftiger an Wurstwürze und Metzelsuppe denn an einen Dichternamen.

So endete die Veranstaltung harmonisch. Das Fußballspiel Bayern München gegen Borussia Dortmund stand da noch 2:1. Wie viel ändert sich in Minuten. Und wie viel bleibt ein ganzes Leben lang gleich.


Info:

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, Roman
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen.
€ 22,00 €[A] 22,70
ISBN: 978-3-89561-482-8


Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter,
Audio-CD
Ganzlesung von Herbert Heckmann. Eine Produktion des Hessischen Rundfunks 1996
2 mp3-CDs. Spieldauer ca. 13 Stunden
€ 20,00 (UVP) €[A] 20,00
ISBN: 978-3-89561-481-1



Foto: (c) Mara Eggert, Schöffling

Info:

Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter, Roman
Mit einem Nachwort von Peter Härtling
440 Seiten. Gebunden. Lesebändchen.
€ 22,00 €[A] 22,70
ISBN: 978-3-89561-482-8


Herbert Heckmann, Benjamin und seine Väter,
Audio-CD
Ganzlesung von Herbert Heckmann. Eine Produktion des Hessischen Rundfunks 1996
2 mp3-CDs. Spieldauer ca. 13 Stunden
€ 20,00 (UVP) €[A] 20,00
ISBN: 978-3-89561-481-1