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Kategorie: Heimspiel

Serie: 200 Jahre Brüder Grimms KINDER- UND HAUSMÄRCHEN, Teil 5



Manfred Schröder und Rebecca Riehm



Frankfurt/Kassel (Weltexpresso) – Am 20. Dezember geht einerseits der seit heute laufende Kongreß „Märchen, Mythen und Moderne“ zu Ende und am 20. Dezember jährt sich zum 200sten Mal das Erscheinen des ersten Bandes der „Kinder- und Hausmärchen“ von Jacob und Wilhelm Grimm. Der Kongress an der Kasseler Uni will 200 Jahre später eine wissenschaftliche Bilanz ziehen.

 

200 Jahre nach ihrem Erscheinen ist die Märchensammlung der Brüder Grimm das weltweit bekannteste deutsche Buch, von dem sich Übersetzungen in annähernd 200 Sprachen nachweisen lassen. „Die Kinder- und Hausmärchen entwickelten sich bereits zu Lebzeiten von Jacob und Wilhelm Grimm zu einem großen Verkaufsschlager über alle Schichten und Altersgruppen hinweg“, sagte Kongresspräsidentin Claudia Brinker-von der Heyde: „Sie wurden so zu einem unverzichtbaren Teil unserer Alltagskultur und unseres Selbstverständnisses.“ Dementsprechend befasse sich der Kongress in zahlreichen Vorträgen unmittelbar mit der Märchensammlung der Grimms, ihren Stoffen und Motiven, ihren Quellen, ihrer internationalen Rezeption und vielen Aspekten mehr.

Der Grimm-Kongress werde aber an vielen Stellen über die Märchenthematik hinausgehen. „Die Kinder und Hausmärchen müssen in einem viel größeren Zusammenhang gesehen werden“, betonte Prof. Dr. Holger Ehrhardt, Leiter des Fachgebiets „Werk und Wirkung der Brüder Grimm“ an der Universität Kassel. „Mit ihrem romantischen Sammeln wollten die Brüder Grimm am Beginn des 19. Jahrhunderts die mündlichen Überlieferungen der Volkspoesie bewahren, insbesondere die in diesen Erzählungen überlieferten Spuren des deutschen und germanischen Altertums.“ Die Brüder Grimm suchten diesen „urdeutschen Mythos“ auf viele Weise zu erforschen, auch durch historische Sprachstudien, durch Beschäftigung mit altdeutschen Handschriften und Literatur, mit mittelalterlichen Rechtsbräuchen, mythologischen Fragestellungen und vielem mehr. „So wurden sie zu maßgeblichen Begründern einer neuen Wissenschaft, die sich mit dem Deutschen beschäftigt, der Germanistik“, erklärte Ehrhardt.

Der Kongress soll auch deutlich werden lassen, welche anderslautenden Märchen- und Erzähltraditionen es vor, neben und nach den Grimms gegeben hat. „Es gilt die Monopolisierung der Märchenauffassung unserer Kultur durch die Grimms aufzubrechen und daran zu erinnern, dass Märchen auch, wenn nicht gar eigentlich eine Literatur für Erwachsene darstellen“, sagte Prof. Dr. Hans-Heino Ewers, Direktor des Frankfurter Instituts für Jugendbuchforschung, der große Erfahrung damit hat, Kinderbücher durch Ausstellungen zum Beispiel in das Bewußtsein der Öffentlichkeit zu bringen. Beispielhaft waren seine Beiträge bei dem großaufgezogenen Jubiläum von Heinrich Hoffmann, dem Autor des STRUWWELPETER.

Wir haben es oft mit drastischen Liebes- und Heiratsgeschichten zu tun, was bei den Grimmschen Fassungen oft nur noch erahnt werden kann.“, führte Ewers fort. Die Entzauberung der Mythen, die sich national wie international um die Grimms und deren Märchensammlung gelegt hätten, führe zu einer neuen Wertschätzung der „Kinder- und Hausmärchen“ als einem großen Kunstwerk aus dem Geist der Romantik und des Biedermeier und als einem Sendboten deutscher Dichtung in aller Welt.

 

Die Hessische Ministerin für Wissenschaft und Kunst, Eva Kühne-Hörmann, hob hervor, dass es einen solchen internationalen Austausch zum Stand der Grimm-Forschungen weltweit bisher noch nicht gegeben habe: „Dass wir mit dem Thema Grimm international genau richtig liegen und wohl auch in der Forschung den Nerv der Zeit getroffen haben, zeigt die außerordentlich große Resonanz von Referenten, die aus allen Erdteilen nach Kassel gekommen sind.“ Im Hinblick auf den Kongress und die Landesausstellung „Expedition Grimm“ – die von Ende April bis September 2013 ebenfalls in Kassel gezeigt wird – als wichtige Aktivitäten des Landes zum Jubiläum fügte die Ministerin hinzu: „Die Brüder Grimm sind Hessen und Hessen mit seinen vier Grimm-Städten Hanau, Steinau, Marburg und Kassel ist ohne Frage das ,Land der Brüder Grimm‘.“



Der Kongress ist auch der Versuch, nach 200 Jahren Wirkungsgeschichte der Kinder- und Hausmärchen sowie der Brüder Grimm eine Zwischenbilanz zu ziehen“, erläuterte der Veranstalter Professor Ehrhardt. „Die Forschungsliteratur ist inzwischen selbst für Fachleute kaum noch überschaubar.“ Viele wissenschaftliche Disziplinen befassen sich heute mit den Grimms: Psychologie, Psychotherapie, bildende und darstellende Kunst, Marketing, Pädagogik, Kinder- und Jugendliteratur und selbstverständlich die traditionellen germanistischen Sparten.

 

Themen des Kongresses sind unter anderem:

 

·         Die Brüder Grimm, die Romantik und Vormärz

·         Romantische Geschichtsphilosophie und die Entdeckung der Volksliteratur

·         Volkskunde/Folkloristik und die/ in der Moderne

·         Die Brüder Grimm und das Mittelalter: Imagination, Projektion und Rekonstruktion

·         Die Brüder Grimm und die Entstehung der (National-) Philologien; Sprache und nationale Identität

·         Die deutsche Grammatik und das Deutsche Wörterbuch

·         Die Brüder Grimm und die Anfänge nationaler Mythenforschung

·         Märchen in Schule und Pädagogik

·         Märchennovellistik in Europa vom 16. bis zum 18. Jahrhundert und deren Bewertung durch die Brüder Grimm

·         Die Kinder- und Hausmärchen – ideologische Prämissen, Quellen, Beiträger, Bearbeitungsgrundsätze, Auflagengeschichte, Rezensionen, Übersetzungen internationale Rezeption,  Geschichte der Märchenillustration, Formen des Märchenerzählens, mediale Umsetzungen, Märchen und Psychoanalyse usw.

·         Wirken und Wirkung der Brüder Grimm national und international

Der Kongress an der Universität Kassel soll Forscherinnen und Forschern Gelegenheit bieten, diese und weitere Themen zu diskutieren und gemeinsam über neue Perspektiven der Grimm-Forschung nachzudenken.

Foto: Illustriertes Titelblatt der Erstausgabe der Kinder- und Hausmärchen der Brüder Grimm 

www.grimm2012.uni-kassel.de