Tistesse Der fur den Autoverkehr gesperrte Frankfurter Mainkai 1Autofreier Mainkai, Verkehrschaos am südlichen Mainufer, E-Scooter-Plage usw.

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – „Der Mainkai ist für Autos gesperrt. Wie beurteilen Sie diese Maßnahme?“

Diese Frage legte das Bürgeramt für Statistik und Wahlen eintausend Frankfurtern im Dezember 2019 vor. 57 Prozent der Befragten antworteten: „Ich begrüße, dass der Mainkai autofrei wird.“ Lediglich 21 Prozent äußerten „Der Mainkai ist für den Autoverkehr unverzichtbar“.

Neun Monate danach und kurz vor dem Auslaufen des zunächst auf ein Jahr befristeten Experiments legt Verkehrsdezernent Klaus Oesterling (SPD) diese Ergebnisse der Öffentlichkeit vor. Denn am 1. September wird die Sperrung des Mainkais für den Autoverkehr wieder aufgehoben. Die Regierungsfraktionen SPD, CDU und Grüne hätten sich in dieser Frage nicht einigen können, verlautbart Oesterling. Insider behaupten hingegen, der Verkehrsdezernent habe den Termin für einen juristisch möglichen Verlängerungsantrag bei der Hessischen Landesregierung verschlafen. Allein wegen der seit März andauernden Anti-Corona-Maßnahmen mit ihren Auswirkungen auf das Verkehrsaufkommen hätte die Verlängerung des Experiments nahe gelegen.

Auf der anderen Seite, und dies ist wörtlich zu nehmen, nämlich am gegenüberliegenden Sachsenhäuser Mainufer, herrscht seit der Sperrung des Nordufers täglich ein Verkehrschaos. Denn der Pendlerverkehr per PKW nach Frankfurt und aus Frankfurt heraus ist ungebrochen. Niemand hält die Ströme an den Stadtgrenzen auf, verordnet das Umsteigen in den ÖPNV. Also suchen sich die Autofahrer Umwege. Das südliche Mainufer und insbesondere die Schweizer Straße bieten sich dazu an. Teile Sachsenhausens ersticken seither in den Gift- und Lärmemissionen des Individualverkehrs. Die Nebenstraßen des Stadtteils sind noch mehr zugeparkt, als sie es bereits vordem waren. Dies geht vor allem zu Lasten der Fußgänger. Wer auf einen Rollator oder einen Rollstuhl angewiesen ist, sollte zu seiner eigenen Sicherheit lieber zu Hause bleiben. Ähnliches gilt für alle, die mit einem Kinderwagen unterwegs sind. Wenn den Frankfurter Sozialdemokraten etwas gelungen ist, dann ist das zweifellos die Unwirtlichkeit einer Großstadt, an deren Regierung sie mitbeteiligt sind.

Das unverantwortliche Laisser-faire des Verkehrsdezernats erfährt seit Juli 2019 eine weitere hausgemachte Zuspitzung durch die E-Roller. Ein Problem, das die gesamte Innenstadt und die innenstadtnahen Vororte betrifft. Dezernent Klaus Oesterling hätte sie nicht genehmigen müssen. Schließlich war der überwiegende Teil der Verkehrsfachleute skeptisch angesichts dieses Fortbewegungsmittels. Auf den Radwegen würden sie die Radfahrer verdrängen und gefährden. Auf den Straßen würden sie unübersichtliche Situationen hervorrufen und dadurch die Sicherheit untergraben. Zudem würden ihre typischen Benutzer das Vehikel als Event-Maschine missverstehen: Zwei Personen auf einem Roller, Belästigung und Anrempelung von Fußgängern, verbotswidriges Abstellen auf Gehsteigen, Fußgängerüberwegen, das Blockieren von Hauseingängen und Zufahrten. Obwohl das Abstellen im öffentlichen Raum eine (in der Regel) kostenpflichtige Sondernutzung darstellt, bleiben die Vermieter der Scooter in Frankfurt finanziell ungeschoren. Falls sich Bürger beschweren, dass sie über achtlos abgestellte oder auf den Weg gelegte Roller gestolpert sind oder sich gar verletzt hätten, geschieht üblicherweise – nichts. Es hat den Anschein, dass die Frankfurter SPD ihren Stammwählern den Krieg erklärt hätte.

Und selbst, falls es keine Absicht ist, so ist es doch grob fahrlässiger Dilettantismus, wenn wichtige Strukturfragen nicht umfassend gestellt und gelöst werden. Letzteres ruft mittlerweile sogar Widerspruch in den eigenen Reihen hervor.

Der Vorsitzende der Sachsenhäuser SPD droht mit Rücktritt, weil auf der Kandidatenliste für die Kommunalwahl 2021 keine Repräsentanten des Stadtteils einen aussichtsreichen Platz hätten. Bereits in der derzeitigen SPD-Fraktion der Stadtverordnetenversammlung ist Sachsenhausen nicht vertreten. Möglicherweise nimmt deswegen niemand Rücksicht auf die Interessen jener Wähler, die im Bereich Oberrad-Sachsenhausen-Niederrad für die Sozialdemokraten votiert haben. Als Strippenzieher dieser kalten Machtergreifung gilt der Frankfurter SPD-Vorsitzende Mike Josef, der auch das Amt des Planungsdezernenten ausübt.
Ähnlich wie seinem grünen Vorgänger wird ihm zu wenig Distanz zur Immobilienszene vorgeworfen. Statt eines unablässigen medialen Streits mit den Spekulanten, macht er eine Faust in der Tasche und plant nach wie vor die Umsiedelung von Normalbürgern an den Stadtrand (in die so genannte „Josefstadt“).

Die Hütchenspieler im Frankfurter Bahnhofsviertel, die man dort nur noch selten sieht, könnten von der Frankfurter SPD in Sachen Täuschungsmanöver noch einiges lernen.

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Trist wie eh und je. Der für den Autoverkehr gesperrte Frankfurter Mainkai
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