humanium.orgStadträtin Weber: ‚Das Recht jedes Kindes auf gewaltfreie Erziehung braucht weiterhin unser aller Einsatz, gerade in Zeiten von Corona‘

Siegrid Püschel 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Das sprachen wir gerade an. Daß es eine Häufung von Gedenktagen gibt, die wir eigentlich zusammen sehen.So wie den am morgigen Mittwoch im vorangegangenen Artikel. So ist der 20. November  der Internationale Tag der Kinderrechte, was sehr viel mit Gewalt zu tun hat. In diesem Jahr geht das in Deutschland allerdings mit einem für das Wohlergehen von Kindern bedeutsamen Jubiläum einher: Vor genau 20 Jahren, im November 2000, wurde das Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung erlassen. In Paragraph 1631 Absatz 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches heißt es seither: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“

Aber daß auch die Stadt Frankfurt den Zusammenhang der Internationalen Tage vom 20.  November für Kinder und gegen Gewalt und dem vom 25. gegen Gewalt gegen Frauen zusammensieht, freut uns. 


Das Bündnis Frankfurt für Frauenrechte ruft zusammen mit über 25 weiteren Organisationen zu einer Menschenkette zum Internationalen Tag gegen Gewalt an Frauen auf.

(Südliches Mainufer)
„Wir haben allen Grund, das Jubiläum dieses Gesetzes zu feiern“, sagt Sylvia Weber, Dezernentin für Integration und Bildung. Denn ein fundamentales Kinderecht, das Recht auf gewaltfreie Erziehung – sei es in der Familie, in Vereinen, in Kita oder Schule –, ist damit unmissverständlich festgeschrieben worden. Auch der berühmt-berüchtigte „kleine Klapps“, der vermeintlich noch niemandem geschadet habe, ist seither strafbar. Und das sei gut so, erklärt die Stadträtin. „Ob aus Prinzip oder Überforderung, ob einmalig oder wiederholt: Jeder einzelne Vorfall verletzt Schutzrechte, jeder verursacht Kindesleid, jeder ist unzulässig, und jeder ist einer zu viel.“

Wenn es heute erstaune, dass das Gesetz damals hochkontrovers diskutiert wurde und Gewalt in der Erziehung in Deutschland erst seit 20 Jahren gesetzlich geächtet ist, sei das ein gutes Zeichen. Weber sagt: „Es zeigt, wie sehr sich Haltungen wandeln können.“ Tatsächlich sei eine gewaltfreie Erziehung heute für die große Mehrheit selbstverständlicher Anspruch und gelebte Praxis. Das habe nur zum Teil mit dem Gesetz zu tun.

„Das Verbot allein verhindert keine Gewalt. Hierfür braucht es Institutionen, die präventiv arbeiten, Hilfe bieten und im Fall des Falles eingreifen. Es braucht kontinuierliche Unterstützung und Aufklärung von Eltern und allen, die an der Erziehung junger Menschen beteiligt sind. Und es braucht starke Kinder, die ihre Rechte kennen. All das muss vor Ort aufgebaut werden, in den Lebenswirklichkeiten der Kinder. Und ich bin froh, wie gut wir in all diesen Hinsichten in Frankfurt aufgestellt sind.“

Tatsächlich gibt es in Frankfurt ein vielfältiges Netz an Institutionen, Einrichtungen und Initiativen, die sich darum kümmern, dass Erziehung gewaltfrei bleibt und Kinder geschützt werden. Ob Präventionsangebote im Bereich der Erziehungsberatung und der Familienbildung; ob das Team Kinder- und Jugendschutz des Jugend- und Sozialamtes oder die Medizinische Kinderschutzambulanz an der Frankfurter Uniklinik; ob die Mitarbeitenden in Kitas und anderen Betreuungseinrichtungen, die täglich Kinder stärken: „Sie alle sind Glieder einer robusten Kette, die dafür steht, das Recht auf Unversehrtheit in Frankfurt zu verwirklichen“, sagt die Weber.

Besonders nachhaltig wird dieses Engagement, wenn Elemente dieser Schutzkette aktiv zusammenarbeiten. Ein Beispiel ist die Kampagne „Stark durch Erziehung“, für die Sylvia Weber die Schirmherrschaft übernommen hat. In ihr setzen sich viele Frankfurter Einrichtungen – von der Krabbelgruppe über die Familienbildung, die Erziehungsberatungsstellen bis hin zum Kinderschutzbund und der Stadt – für die Rechte von Kindern ein, indem sie durch Aktionen und Veröffentlichungen über Erziehungsthemen mit Eltern und anderen, die am Aufwachsen junger Menschen beteiligt sind, in Austausch treten. „Aufklärung, aber auch Hilfe und Ermutigung sind von enormer Bedeutung“, sagt die Dezernentin. Denn Gewaltfreiheit heißt nicht, dass es keine Konflikte in Familien oder mit Kindern mehr gibt. „Gewaltfreiheit heißt, dass alle Beteiligten andere Wege finden, Konflikte auszutragen und zu lösen.“ Wer hierbei an Grenzen stoße, müsse wissen, dass es überall in der Stadt Anlaufstellen und Ansprechpartner gibt – auch dann, wenn Grenzen überschritten wurden. Denn auch das ist klar: Gewalt in der Erziehung ist noch nicht gänzlich verschwunden.

Das Jubiläum des Gesetzes zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung fällt in ein Jahr, in dem viele Familien durch die Corona-Pandemie vor besondere Herausforderungen und Belastungen gestellt sind. Seien es die Einschränkungen des öffentlichen Lebens, seien es Quarantänephasen zuhause: In vielen Haushalten verbringen Menschen notgedrungen mehr Zeit als sonst miteinander und nicht immer tut ihnen das gut – vor allem dann nicht, wenn die Wohnverhältnisse beengt oder die Existenzsorgen groß sind.

Niemand weiß genau, in welchem Ausmaß häusliche Gewalt gegenüber Kindern 2020 zugenommen hat; aber Studien legen nahe, dass sie zugenommen hat. „Das ist eine traurige Wahrheit“, sagt Sylvia Weber.
Umso wichtiger sei es, dass die Infrastrukturen für Familien gerade jetzt präsent sind und aktiv bleiben. „Es ist bemerkenswert, wie groß die Bereitschaft trotz der besonderen Herausforderungen ist, die Angebote aufrechtzuerhalten und hierbei auch neue Wege zu gehen. Zahlreiche Menschen haben sich mit Herz und Verstand gekümmert, um Familien in Krisenzeiten aufzufangen.“

Wie wichtig bewährte Kooperationen gerade in Krisenzeiten sind, hat das Bündnis der Kampagne „Stark durch Erziehung“ im ersten Lockdown im Frühjahr gezeigt. Dank „kurzer Wege“ konnte es schnell reagieren, als auch Ämter, Einrichtungen und andere Anlaufstellen vorübergehend schließen mussten. Mit Plakaten im städtischen Raum, mit Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften, mit Aushängen, Aufklebern und vielem mehr wurden zentrale Telefonnummern wie das Frankfurter Kinder- und Jugendschutztelefon, das Elterntelefon oder die Hotline „Corona-Zeit mit Kind“ breit kommuniziert. Damit wurde auch eine Botschaft vermittelt: „Das Bündnis hat demonstriert, dass die Stadt und die Stadtgesellschaft weiterhin da sind“, sagt Sylvia Weber. Genau solches Engagement ist weiterhin nötig, schließlich ist die Pandemie noch lange nicht überstanden.

„Gerade jetzt braucht das Recht jedes Kindes auf gewaltfreie Erziehung unser aller Einsatz. Deshalb ist es gut zu wissen, wie stark die Strukturen für Familien in Frankfurt sind. Im Jubiläumsjahr der gesetzlichen Ächtung von Gewalt in der Erziehung ist das eine wichtige Nachricht.“

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