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Kategorie: Heimspiel
Fellners Copyright Stadt Frankfurt Bernd KammererLaudatio der Ururenkelin zur Enthüllung der Büste in Frankfurt: Mein Ur-Ur-Großvater Carl Constanz Victor Fellner

Anne Fellner 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Viel ist über die Ereignisse des Jahres 1866 geschrieben worden. Ein besonderer Dank gilt dabei Herrn Dr. Bernd Heidenreich, der in seiner Funktion als Stadtrat, Historiker und als Direktor der Landeszentrale für politische Bildung mit dem Band „1866 – Vom Deutschen Bund zum Deutschen Reich“ (herausgegeben gemeinsam mit Frau Evelyn Brockhoff) eine hervorragende Aufarbeitung der Ereignisse vorgelegt hat. Damit und mit diversen journalistischen Arbeiten wurde 2016 der Ereignisse vor 150 Jahren gedacht.

Auch kam es auf Initiative von Dr. Heidenreich unterstützt von Herrn Eugen Emmerling und anderen Mitgliedern der Stadtverordnetenversammlung im Jahr 2016 zu einem fraktionsübergreifenden Beschluss, das Gedenken an meinen Ur-Ur-Großvater Carl Constanz Victor Fellner im Römer sichtbar zu machen. Dies wird heute gefeiert und dafür sind wir als Vertreter*innen der Familie sehr dankbar!

Die Ur-UrEnkel-Generation vertreten heute Frau Stephanie Fellner, Herr Andres Jaffé und ich, Anne Fellner. Ein größerer Rahmen ist angesichts der Corona-Pandemie nicht erlaubt. Dennoch freut es alle Nachkommen (mit denen wir in Kontakt stehen und von denen wir Kenntnis haben) von Carl Constanz Victor Fellner mit uns und werden von uns drei Vertreter*innen der Familie informiert. Auch sehen wir mit Freude einer Einladung von OB Feldmann im kommenden Jahr entgegen, wenn es noch einmal in einem größeren Rahmen einen Festakt für die Familie geben wird.

Ich will etwas über die Persönlichkeit von Carl Fellner erzählen, die historischen Fakten sind gut bekannt und aufgearbeitet. Dabei kann ich auf die Lebenserinnerungen seines ältesten Sohnes meines Ur-Großvaters Johann Christian Fellner zurückgreifen (1851 – 1920), der als 15-jähriger Bub erlebt, wie sein geliebter Vater aus dem Leben schied. Diese Dokumente liegen Dank der Recherchen meines Onkels Hans-Christian Fellner gut aufbereitet vor. Carl Fellner war 58 Jahre alt, ein erfahrener Kaufmann und als Senator mehrfach Mitglied der Gesetzgebenden Versammlung, dreimal Jüngerer Bürgermeister und nun wollte es das Schicksal, dass mein Ur-Ur-Großvater in Jahr 1866 im Brennpunkt eines geschichtlichen Wandlungsprozesses als Älterer Bürgermeister Verantwortung trug für die Geschicke der Freien Reichsstadt Frankfurt.

Er war ein freundlicher und höflicher Mensch, als Familienvater seiner Frau Jeanette und seinen 6 Kindern liebevoll zugetan, ein Liberaler aus tiefster Überzeugung, Angehöriger der Gothaischen Partei, er trat für die Aufhebung der Zunftzwänge ein und warnte vor einer einseitig proösterreichischen Politik. Er rief soziale Einrichtungen ins Leben und förderte sie, es lag ihm am Herzen durch die Mitarbeit im Zollverein Voraussetzungen zu schaffen für eine spätere Reichseinigung. Sein politischer Weitblick und seine Welterfahrung und –offenheit waren groß genug, um die Zeichen der Zeit rechtzeitig zu erkennen. Und er war vor allem eines: ein leidenschaftlicher Frankfurter, ein Patriot im besten Sinne! Sein Sohn beschreibt ihn als einen Menschen, der wegen „seines offenen Kopfes, seines Fleisses und vor allem seines unvergleichlichen Talentes, mit aller Welt zu verkehren“ seinen beruflichen Weg beschritten hat.

Dabei war er bei aller Vernunftbegabung und Entschlossenheit auch ein sehr gefühlsvoller Familienmensch. Sein Sohn beschreibt den Tod seiner älteren Schwester Maria Magdalene 1864: „Sie war und blieb Vater‘s Liebling und Sonnenschein. Zweimal habe ich diesen kraftvollen Mann weinen sehen, am Grab seines ältesten Kindes und am Grab der Freiheit seiner Vaterstadt, das ja auch sein Grab werden sollte.“ „Viermal war mein Vater Bürgermeister. Und gar die Neujahrstage beim Antritt des Amtsjahres waren die interessantesten Tage meiner Kindheit! Frühmorgens erschien das Linienbataillon vorm Haus mit seinem vortrefflichen Musikkorps, das ein herrliches Ständchen brachte. Dann wurde das altehrwürdige Stadtbanner ins Haus getragen und im Saal aufgestellt, wo es das ganze Jahr blieb. Dann fuhren sämtliche Bundestagsgesandte in herrlichen bunten Uniformen vor in prächtigen Galawagen zum Gratulieren. Alle höheren Militärs, der Bischof von Limburg und andere Würdenträger. Unser Vater, in der ernsten, gestickten schwarzen Uniform mit Degen, empfing alle und wir Kinder betrachteten aus den obersten Fenstern mit freudigem Stolz das prächtige Schauspiel.“

„Sein Grundsatz war: Gutes und Schönes, das sich bietet, freundlich und dankbar geniessen und kommt es einmal quer oder übel, dies mit demselben Humor ertragen und damit überwinden.“ Über das Jahr 1866 schreibt mein Ur-Großvater: „Mein Vater war zum älteren regierenden Bürgermeister unserer glücklichen kleinen Republik erwählt worden. Er war freudig gestimmt und empfand tief und dankbar die Ehre, die seine Mitbürger ihm angetan hatten. ... Er war ein wirklicher Realpolitiker, wenn er felsenfestes Vertrauen in die Macht des Rechtes setzte.“

Die Ereignisse, die dann diesen Sommer prägen sollten, sind bekannt. Mein Ur-Großvater beschreibt: „Manteuffel wurde abgezogen und an seine Stelle trat der General von Rödern, der die unsinnigen Forderungen aufrechterhielt. Als sie nicht erfüllt wurden, verlangte er, mein Vater solle eine Liste aufstellen der Missvergnügten in Frankfurt. Die geschah am 23. Juli. An diesem Abend kam mein Vater nach Hause, bleich und stumm. In unserem Saal hatte die letzte Senatssitzung stattgefunden, da der Römer von Soldaten besetzt war. Damals war es, wo ich meinen armen Vater zum zweiten Mal bitterlich schluchzen sah. Am 24. Juli früh vor 6 Uhr erwachte ich durch entsetztes Rufen meiner Mutter aus dem Garten. Im Hemd und mit blossen Füssen rannte ich hinunter und sehe meinen Vater, diesen edelsten, besten Mann, diesen frohsinnigen Optimisten, diesen Preussenfreund tot. Schmählich in den Tod gehetzt durch preußische Hunde.“

Und die Erlebnisse um die Beerdigung beschreibt mein Ur-Großvater folgendermaßen. Die Militärbehörde hatte die Trauerfeier auf 4.30 Uhr am Morgen des 26.6.1866 festgelegt, um eine Ansammlung von Menschen zu vermeiden und Protesten vorzubeugen: „Da sammelten sich die Frankfurter abends schweigend um unser Haus, sämtliche benachbarten Straßen füllend und lautlos harrend. Morgens um 4 Uhr brachten wir meinen Vater zur letzten Ruhe. Ich ging mit zwei geladenen Pistolen dicht hinter seiner Leiche. So habe ich meinen Vater begleitet.“

Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes am 20.9.1866, welches die Vereinigung der freien Stadt Frankfurt mit der preußischen Monarchie regelte, hörte die alte Krönungsstadt, die Hauptstadt des Deutschen Bundes auf, als souveräner Staat mit demokratischer Verfassung zu existieren. Aber diese Entwicklung ermöglichte auch eine Öffnung Frankfurts, die einen entscheidenden Aufschwung von Handel und Verkehr, Industrie und Kultur bei ständig wachsender Bevölkerung mit sich brachte. Mein Ur-Ur-Großvater Carl Fellner war kein hartgesottener Politiker, den Grobheiten des preußischen Militärs war er nicht gewachsen und wollte es wohl auch nicht sein. In seinem Rechtsempfinden zu tiefst verletzt sah dieser rechtschaffende, lautere Mann am Ende nur noch den Weg in den Freitod. Über diesen letzten Schritt urteilen zu wollen, verbietet der Respekt vor seiner Persönlichkeit und seiner Lebensleistung! Es ist gut, dass die Stadt Frankfurt und ihre Bürger*innen seiner auch heute noch gedenken!

Foto:
Anne Fellner, Oberbürgermeister Peter Feldmann, Stadtrat Bernd Heidenreich, Stephanie Fellner und Andres Jaffé (beide ebenfalls Ur-Ur-Enkel)
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