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Kategorie: Heimspiel
Eroffnung des Frankfurter Weihnachtsmarkts 2021Frankfurter Weihnachtsmarkt 2021

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Jahr um Jahr eröffnet der amtierende Oberbürgermeister oder die amtierende Oberbürgermeisterin den Frankfurter Weihnachtsmarkt – nicht selten bereits vor dem Ersten Advent (der zaghafte Protest der Kirchen wird wie üblich weggelächelt oder völlig ignoriert).

Vier Wochen lang bieten Verkaufsstände auf dem Römerberg Glühwein, Bratwurst, Lebkuchen und andere Delikatessen für das kleinbürgerliche Geschmackserlebnis an. Und so wie alle Jahre wieder, gerät die Legende um die Geburt des jüdischen Erweckungspredigers Jesus unter die Mühlen des Konsums und ertrinkt in diversen Alkoholräuschen.

Dabei hätten die politisch Verantwortlichen dieser Stadt allen Anlass, sich eines Abschnitts aus der Weihnachtserzählung besonders anzunehmen. Nämlich jener Passage, welche die Suche nach einer Herberge schildert. Maria, Josef und Jesus landen in einer Notunterkunft, einem Stall. An dieser Stelle enthält die Legende realistische Bezüge zur sozialen Situation Frankfurts. Die Suche nach einer Wohnung, die mehr ist als ein Viehstall und trotzdem für Normalverdiener bezahlbar bleibt, treibt Tausende in dieser Stadt um. Warum nicht in der gesamten Adventszeit eine Aufklärungsaktion vor dem Römer organisieren und in einer Zeltstadt über die Verursacher der Wohnungsnot informieren? Über die Immobilienspekulanten, die Geldwäscher, die Wohnungskonzerne und nicht zuletzt über deren Lobbyisten, die ständig in das Rathaus einfallen. Nicht zu vergessen ihre Gesprächspartner in Stadtverordnetenversammlung und Magistrat.

Die sogenannte Weihnachtsgeschichte ist im Evangelium des Lukas enthalten. Wer einige Seiten weiterblättert, findet eine Textstelle, die sich als Motto für die inhaltliche Neuausrichtung von Weihnachtsmärkten besonders eignet:

„Ich bin gekommen, dass ich ein Feuer anzünde auf Erden; was wollte ich lieber, es würde bereits brennen! [...] Meinet ihr, dass ich hergekommen bin, Frieden zu bringen auf Erden? Ich sage: Nein, sondern Zwietracht“ (Kapitel 12, Verse 49 und 51).
Im Evangelium des Markus, dem ältesten der vier Evangelien, heißt es: „Und sie entsetzten sich über seine Lehre“ (Markus 1, Vers 22).

Ein solches Entsetzen inmitten der synthetischen Wohlfühlgesellschaft tut not, nicht zuletzt während der Adventszeit und an Weihnachten. Abgesehen davon, dass die katastrophale Entwicklung der Covid-19-Inzidenz ein zusätzlicher Anlass wäre, keine Rücksicht mehr auf Rücksichtslose zu nehmen und sie öffentlich zu entlarven.

In diesem Sinn versteht sich auch mein Gedicht, das mir aus der Feder floss, nachdem ich mir an einem Dezembertag (drei Jahre vor Corona) einen Fluchtweg durch das vorweihnachtlich-verminte Gelände rum um den Frankfurter Römerberg hatte bahnen müssen.

Frankfurter Advents-Utopie

Es ist Advent,
kein Lichtlein brennt.
Selbst vom Himmel strahlt kein Stern;
der Mond ist unsichtbar und fern.
Aus Bankentürmen dringt kein Schein,
still und behäbig fließt der Main.
Die Nacht ist finster, alles schweigt,
nur aus dem Bahnhofsviertel steigt
ein blauer Hauch von Sünde.

Es scheint ganz so, als stünde
Frankfurt vor einer Wende,
als wäre dies‘ Jahr der Advent
nicht Anfang, sondern Ende.
Ein Abgesang, ganz konsequent
auf Geld und Gier, Gewinn und Macht,
auf Lug und Trug und Niedertracht.
Und ebenso auf die Gestalten,
die Covid für ‘ne Lüge halten.

Sankt Nikolaus und Weihnachtsmann
wandeln der Zeit nicht mehr voran;
genießen ihren Ruhestand
in der Bar „Zum Pflasterstrand“.
Am Nachbartisch, bei Brot und Wein,
finden sich Büchner und Heine ein.
Zwar nur die Geister von denselben,
die mit dem Mut der alten Helden
vollenden woll’n, für das die stritten:
Ein neues Land mit neuen Sitten!

Sie dichten ein anderes Weihnachtslied
über „Friede den Hütten“ und „Krieg den Palästen“;
es klingt nach Agape statt nach Profit,
nach Revolution und rauschenden Festen.
Vorbei ist die Mär von Hölle und Himmel,
vorbei ist’s mit Christbaum und seichtem Gebimmel.
Jetzt geht’s um die Erde, um Frankfurt am Main,
dort soll man unsterblich und glücklich sein.


Foto:
Frankfurter Weihnachtsmarkt 2021
© hessenschau.de