Bildschirmfoto 2022 03 31 um 22.37.25Was steckt hinter dem Fall Feldmann?

Klaus Philipp Mertens

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Rücktritts- bzw. Rückzugsforderungen gegen Frankfurts Oberbürgermeister Peter Feldmann häufen sich.

Erhoben werden sie vorrangig von Stadtverordneten der CDU, FDP, Grünen, Volt und klammheimlich auch von der SPD-Spitze. Obwohl das Verfahren noch nicht eröffnet ist und kein rechtskräftiges Urteil vorliegt, sodass der Beschuldigte als unschuldig zu gelten hat. Folglich sollte das Stadtparlament entweder schweigen oder seine beweisfähigen Erkenntnisse in der Sache den Ermittlungsbehörden zur Verfügung stellen.
Da der Oberbürgermeister direkt von der wahlberechtigten Frankfurter Bevölkerung gewählt wird, die gegebenenfalls auch über eine Abwahl zu entscheiden hätte, liegen sowohl die politischen als auch die rechtlichen Kompetenzen bei anderen.

Beispielsweise bei mir. Denn ich habe Peter Feldmann sowohl 2012 als auch 2017 gewählt, weil ich mir von ihm ein Gegensteuern gegen die Besetzung Frankfurts durch internationale Immobilienspekulanten versprochen hatte. Deren parlamentarischer Arm sind bekanntlich CDU und FDP und zunehmend auch die Grünen. Trotz insgesamt nur bescheidenen Erfolgen ist es Feldmann immerhin gelungen, hinsichtlich der gemeinwirtschaftlichen Bedeutung von Grund und Wohnen einen Bewusstseinswandel in Teilen der Bevölkerung herbeizuführen.

Sein größter Fehler war es, ausgerechnet den farblosen SPD-Funktionär Mike Josef im Jahr 2016 zum Planungsdezernenten vorgeschlagen zu haben. Denn Insider hatten bereits vor dessen Wahl durch die Stadtverordnetenversammlung befürchtet, dass dieser in die Fußstapfen seines grünen Vorgängers Olaf Cunitz treten könnte. Letzterer ist seit seiner Abwahl als Dezernent für das privatwirtschaftliche Unternehmen „Deutsche Stadt- und Grundstücksentwicklungsgesellschaft mbH“ tätig. Während seiner Amtszeit galt er vielen als deren nützlicher Wasserträger.

Josefs Projekt eines Wohnungsbaus auf einer ökologisch wichtigen und deswegen zu schützenden Großfläche nahe der Autobahn 5 („Josef-Stadt“) sowie sein Widerstand gegen den Mietentscheid (welcher die BAG zur Errichtung geförderten Wohnraums verpflichten sollte) belegen, dass mit Josef ein Vertreter jener Gruppen im Magistrat sitzt, die einer demokratischen Gesellschaft eigentlich nicht zumutbar sind. Sogenannte Immobilienentwickler schätzen Mike Josef als sachlichen Gesprächspartner, was darauf hindeutet, dass er den Wünschen der Spekulanten stets entgegenkommt. Und für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ scheint er ein geeigneter Nachfolger für Peter Feldmann zu sein, falls dieser über die von seinen Gegnern geschickt ausgelegten Fußangeln endgültig stolpern sollte.

Vor diesem Hintergrund erscheint die Anklage der Frankfurter Staatsanwaltschaft als Teil einer konzertierten Aktion einflussreicher Wirtschaftskreise, die um ihr Beton-Gold in der Finanzmetropole Frankfurt fürchten. Denn sollte es ein Ende haben mit Luxus-Eigentumswohnungen und Höchstmieten für Büroflächen, würde das auf andere Großstädte wie Hamburg, Köln, Stuttgart oder München ausstrahlen (in Berlin hat bereits ein Wandel eingesetzt). Unter Geldwäschern und Investoren gilt Deutschland und speziell auch Frankfurt bislang als Rückzugsort mit besten Anlagemöglichkeiten. Oligarchen aus Russland, Milliardäre aus arabischen Ländern, Steuerhinterzieher, Drogen- und Menschenhändler sowie Waffenschieber finden hier geradezu paradiesische Zustände. Da stört ein Bürgermeister wie Peter Feldmann, der zwar weder ein Volkstribun noch ein Barrikadenkämpfer ist, aber durch sein freundliches Auftreten und das Zursprachebringen struktureller Probleme viel Vertrauen bei den normalen Bürgern genießt. Solch einen Underdog lässt man nicht in die konspirative Suppe spucken.

Da man Feldmann allenfalls Ungeschicklichkeiten vorwerfen kann, musste im großen Stil manipuliert werden. Hierzu boten sich illegale Recherchen im Privatleben an. Im konkreten Fall verschaffte man sich Zugang zur Personalabteilung des Kreisverbands Frankfurt der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und kopierte die Personalakte von Frau Feldmann, die dort als Kita-Leiterin arbeitete. Aus dieser gingen Einstufung und Bezüge sowie gewährte geldwerte Vorteile (Dienstwagen) hervor. Journalisten des Hessischen Rundfunks machten anhand gesetzwidrig beschaften Materials die Sache öffentlich. Einer davon war Daniel Gräber, der auch für das konservative Magazin CICERO schreibt. Nach Ansicht des „Deutschen Journalisten-Verbands“ verpackt CICERO „AfD-Gedankengut so elegant [...], dass es beim ersten Hinhören gutbürgerlich klingt“ (aus einer Einschätzung von 2017).

Die anfängliche Lebenspartnerin und spätere Ehefrau von Oberbürgermeister Peter Feldmann, von der er seit dem Spätsommer 2021 getrennt lebt, war ab November 2014 zunächst beim AWO-Kreisverband Wiesbaden und ab September 2015 beim Kreisverband Frankfurt angestellt. Bis April 2017 hatte sie in Wiesbaden noch zusätzlich einen Mini-Job inne. Da die AWO keine Behörde ist und es lediglich einen Haustarif in Anlehnung an den Tarifvertrag im öffentlichen Dienst gibt, der Vertragsfreiheit nicht ausschließt, musste ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen nichtangetrauter Partnerin bzw. Ehefrau und den ein öffentliches Amt bekleidenden Partner bzw. Ehemann im Sinn von Vorteilsgewährung, Vorteilsannahme oder Untreue konstruiert werden.

Peter Feldmann, der sein Amt als Frankfurter Oberbürgermeister 2012 antrat und zuvor ein Referat der AWO geleitet hatte, war weder für Einstellung und Arbeitsplatzbeschreibung seiner Ehefrau zuständig noch hat er entsprechende Dokumente unterschrieben. Als Oberbürgermeister hätte er ohnehin nicht in die Arbeitsvertragsgestaltung der AWO eingreifen können.

So bleibt allenfalls die Frage, ob Zübeyde Temizel, die spätere Zübeyde Feldmann (sie heirateten 2016), nicht wegen ihrer Qualifikation eine abweichende Vergütung zugestanden wurde, sondern weil ihr Partner bzw. Ehemann das höchste politische Amt in Frankfurt innehatte und man seitens der AWO auf Gegenleistungen der Stadt Frankfurt hoffte. Da die Geschäftspraktiken der AWO-Geschäftsführer in Wiesbaden und Frankfurt Gegenstand staatsanwaltlicher Ermittlungen sind, lassen sich diesbezügliche Erwartungen des Verbands nicht ausschließen. Entscheidend aber ist die Haltung Feldmanns. Die ist nach allem, was an Beweisen öffentlich wurde, untadelig. Dass die AWO für die Bereitstellung und den Unterhalt von Flüchtlingsunterkünften nicht erbrachte Leistungen abrechnete, fiel in den Verantwortungsbereich der früheren Sozialdezernentin (CDU), ohne dass der Oberbürgermeister beteiligt gewesen wäre.

Als mit vielen fachlichen Details vertrauter Beobachter ohne Parteizugehörigkeit habe ich den Eindruck gewonnen, dass den bereits erwähnten politischen Kräften die Ermittlungen gegen die AWO-Geschäftsführer in Frankfurt und Wiesbaden als eine einmalige Gelegenheit erschien, um die Kaltstellung von Peter Feldmann mit Hilfe von Staatsanwaltschaft und Landgericht zu betreiben.

Das willkürliche Konstruieren von Abhängigkeiten zwischen Eheleuten entspricht einem reaktionären Weltbild, das Frauen für grundsätzlich unselbstständig erklärt. Ebenso, dass sie ihren Wert erst durch ihren Mann erhalten und diesem für jeden Lebensbereich auskunftspflichtig sind. Die Zeiten, in denen Ehemänner die Arbeitsverträge ihrer Ehefrauen mit unterschreiben mussten, sind jedoch längst vorbei. Bei einigen Verantwortlichen in CDU und FDP ist das anscheinend noch nicht angekommen.
Es war sicherlich ein Fehler von OB Feldmann, nicht von vornherein so argumentiert zu haben. Möglicherweise haben das seine engsten Berater, bei deren Auswahl er keine glückliche Hand besaß, darunter auch Stadtrat Mike Josef, verhindert. Vielleicht aus Unkenntnis, vielleicht aus persönlichem Kalkül.

Feldmann hätte auch die Kulturdezernentin Ina Hartwig zur größtmöglichen Vorsicht bei der Zusammenarbeit mit dem seinerzeitigen Bau-Stadtrat Jan Schneider (CDU) beim Projekt Theaterdoppelanlage verpflichten sollen. Schneider ging es nicht um einen Neubau am Willy-Brandt-Platz und schon gar nicht um die Sanierung des mindestens zwei Jahrzehnte lang bewusst vernachlässigten Kulturdenkmals aus den 1960er Jahren. Er drängte auf die Veräußerung der Liegenschaft an Immobilienhaie. Frau Hartwig wollte das zwar verhindern, verhedderte sich jedoch im Gestrüpp der Arbeit einer sogenannten Stabsstelle. Letztere hat bis heute nicht öffentlich die Ergebnisse der Baubestandsaufnahme samt der fachlich gebotenen Maßnahmen gemäß VOB (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen) dargelegt. Auf Anfragen von Bürgern wird nicht reagiert. Sanierung bzw. Neubau von Schauspiel und Oper bewegen sich in einem Kostenrahmen zwischen 700.000 bis 1,2 Milliarden Euro. Falls irgendwo ein Anfangsverdacht von Korruption in der Luft liegen sollte, dann möglicherweise hier.

Die Anschuldigungen der Staatsanwaltschaft gegen Peter Feldmann bewegen sich innerhalb gängiger gesellschaftlicher Vorurteile, die als Indizien ausgegeben werden. Sie gründen aber offenbar nicht auf eindeutigen Beweisen. Das ist der Behörde anscheinend selbst klar. Aber statt im Sinn rechtsstaatlicher Beweisführung zu ermitteln, hebt sie lediglich ihre Stimme und fügt ihrem Machwerk noch den Verdacht des Spendenbetrugs lautstark hinzu:
Die Frankfurter AWO habe Spenden für den Wahlkampf von Peter Feldmann eingeworben und diese der SPD übergeben. Anscheinend wurden die Kassenbücher der Wohlfahrtsorganisation und der SPD jedoch nicht daraufhin geprüft. Im Raum steht lediglich Feldmanns angebliche Äußerung, er würde als Dank künftig Vorschläge der AWO wohlwollend prüfen. Solche Floskeln gelten gemeinhin als Beerdigung erster Klasse. Man tut kund, dass man zwar den anderen schätzt, auch sein finanzielles Engagement in staatsbürgerlichen Belangen, seine möglicherweise erhofften Begehrlichkeiten aber aus rechtlichen Gründen ignorieren wird.

So bleibt mir, dem Staatsbürger, der für Feldmann votierte, am Ende der bedrückende Verdacht, dass dem Verfahren gegen ihn typische Anzeichen einer Rechtsbeugung anhaften. Veranlasst von reaktionären Politikern, die sich Spekulanten und ähnlichen Hasardeuren verpflichtet fühlen. Es ist ein Kampf um die Zukunft Frankfurts, ein Kampf zwischen Beton-Gold-Mafia und demokratischen Institutionen.

Grafik:
Frankfurter Skyline
© mrg