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Kategorie: Heimspiel

Zum Interview der FR mit dem Offenbacher Notar in Grundstücksrecht Stephan Haack: „Eine Überhitzung sehe ich nicht“ vom 27.12.2014 (F10)

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Ausführungen von Herrn Haack sind, soweit sie sich auf die aktuell neuen Besiedlungsprozesse in Offenbach beziehen, schönfärbend und deproblematisierend. Es gibt keinen Grund für eine Entwarnung hinsichtlich architektonischer Fehlentwicklungen, die auch die ästhetischen Aspekte der Entwicklung betreffen.

 

Für den „Fachmann zur positiven Entwicklung des Offenbacher Immobilienmarkts“ - [gemeint ist Herr Haack] - sind „die Erfahrungswerte aus unseren Verkäufen“ maßgebend. Die Geschäfte hätten seit 2009 angezogen. Der Grund für die ertragliche Erwartung: „selbst Privatleute aus dem Hochtaunuskreis suchen geeignete Investitionsobjekte wegen der besseren Renditemöglichkeiten.“ So zieht die FR den Schluss: „Die Reichen aus dem Taunus kaufen also bei den armen Offenbachern ein“.

 

Später stellt die Interviewerin Madeleine Reckmann die erneute Frage: „Sind es wirklich die Besserverdienenden, die es nach Offenbach zieht?“ Antwort Haack: „Die Käufer, die im Hafen kaufen, müssen sich den Preis von 3500 bis 5000 Euro pro Quadratmeter erstmal leisten können, das ist automatisch eine gehobene Schicht“. Die Verkaufbarkeit im Offenbacher Gebiet ist also gestiegen: „Das Verhältnis von Kaufpreis zu Mieterlös ist deutlich gesünder als in Frankfurt, wo der Markt teilweise Überhitzungstendenzen zeigt. Dort ist im Verhältnis zum Kaufpreis eine deutlich schlechtere Miete zu erlangen. Die Rendite ist also geringer“ (Haack). Das Segment der Gutbetuchten geht also im bald neu hochgezogenen Hafengebiet gerne auf Kauf durch Vermittler aus.

 

Wir leiten ab: die Kehrseite der laufenden Entwicklung ist soziale Segregation, d.h. die Abtrennung der weniger Kaufkräftigen vom Immobilienerwerb oder dem zeitgemäßeren Inmietewohnen.- Die FR fragt: „Wenn sich die Bevölkerungsstruktur ändert, bleibt die Frage, wo sozial benachteiligte Menschen hin sollen. Die neuen Quartiere können sie sich sicherlich nicht leisten..“. Antwort Herr Haack: „In der Offenbacher Innenstadt gibt es noch günstigen Wohnraum. Das wird Jahrzehnte so bleiben.“ Die wirtschaftliche Seite ist also die eine Hälfte des laufenden Geschäfts, die ästhetisch-kulturelle aber eine andere, denn Menschen bleiben in Wohnverhältnissen auf Jahrzehnte gebunden.

 

Die Offenbacher Baupolitik war stets von Bausünden begleitet. Das Kreuz begann, als in den frühen Siebziger Jahren - die Wende zum Finanzkapitalismus der Spekulation hatte gerade eingesetzt - die Offenbacher Stadtpolitik von CDU, SPD und FDP sich mit fragwürdigen Kräften einließ. In diesem Zusammenhang kam die ins Spiel gebrachte Patentlösung – heute würde man von einem Hype sprechen - auf: mit der Umstellung auf Dienstleistung beginne das Heil einer neuen Zukunft (zunächst am Kaiserleikreisel). Das richtete sich gegen das reale, an Wertschöpfung orientierte Wirtschaften. Folge war die Deindustrialisierung Offenbachs. Firmen wurden zugemacht, Menschen entlassen und die vormaligen Firmengrundstücke versilbert. Abgewickelte Firmen hießen: Collet & Engelhardt (Werkzeugmaschinen), Schuhfabrik Rheinberger, MSO Werksabteilung, Friedrich Schmaltz GmbH. Ein Papier, das diese Vorgänge dokumentiert, liegt aus der Zeit vor. Skandal: die Stadtpolitik hat feste mitgemischt.

 

Was aus der Dienstleistung geworden ist, sehen wir heute in vollem Umfang: miese, schlecht bezahlte Jobs, die keine Familie ernähren, auch keine Einzelnen; Leiharbeit und Niedriglohn; - ungeschützte, irreguläre Arbeitsverhältnisse breiteten sich aus. Insbesondere wurden gut ausgebildete, langjährig Arbeitende von Firmen ausgespuckt und anschließend mit dem Druckmittel Hartz IV in schlechter bezahlte, unqualifizierte Jobs gepresst. Das war Verrat an der eigenen Gruppe der Schutzbefohlenen durch die SPD.

 

Zu den Bausünden: Um die Mitte der Sechziger Jahre war übers Gebiet der Altstadt eine Schneise der Zerstörung durch die Offenbacher Innenstadt geschlagen worden. Ergebnis: die Berliner Straße. Sie war der Ausbund einer autogerechten Stadt. Ein von einem Künstler damals gedrehter Film zeigte bis vor wenigen Jahren im Stadtmuseum Offenbach den Zustand vor und nach dem Desaster. Der Film endete mit der Feststellung: man habe es nicht vermocht, Tradition und Moderne zu versöhnen. Der Film wird nicht mehr gezeigt, weil die Stadt Offenbach die Nutzungsgebühr verweigert.

 

Als beispielhaft im Interview mit Herrn Haack fungiert der neue Immobilienboom mit dem erkennbar neuen Stadtbezirk gegenüber der früheren Hafenbahn (am Nordring) unter dem Namen/der Bezeichnung: „Hafengold“. Der Begriff lässt Obszönität anklingen und scheut sich nicht, den eigentlichen Zweck auszuplaudern, nämlich mit der Novität nicht dem Wohlergehen von Menschen zu dienen, sondern der Rendite. So sieht auch das neue vermeintliche Prunkstück aus: es zeigt sich als Massiv-Wand, die direkt an der Mainkante hochgezogen wurde. Es offenbart sich als eine jener üblichen menschen- und kinderfeindlichen Entgleisungen, die am Reißbrett entstanden sind. Es steht so knapp am Main, dass ohne Zaun Kinder sich flugs im Main wiederfinden. Auf der anderen Seite: die Bai, das ist mehr etwas für wandelnde ältere Herrschaften, aber sollte ein Gebiet nicht durchmischt sein? Die Würfelbauten, die jetzt zusätzlich vor dem Massiv entstehen, sind zu dicht gruppiert, man erkennt das Renditediktat. Kindern wird ein nahe gelegenes Dickicht verweigert – unbedingt wichtig! -: die unreglementierte Naturerfahrung. Dem wurde schon der Garaus gemacht. Die künftigen Bewohner sind vom Stadtkern abgeschnitten, allein durch die querenden Verkehrseinrichtungen. Das Areal ist als Getto angelegt und fungiert lediglich als Gewerbegebiet für abgrenzendes Wohnen. Von der Form her ist es ein Potemkinsches Dorf.

 

Das dürftige Konzept der augenblicklichen Architekturperiode scheint darin zu bestehen, in möglichst kurzer Zeit möglichst viele hochpreisige Wohnkasernen mit Kinderspielplätzen, die als Gated Area angelegt sind, aus dem Boden zu stampfen.

 

Zusätzlich ist der nahe gelegene Brückenwinkel (der Carl-Ulrich-Brücke), vorher ein Naturbiotop, gleich mit eliminiert worden - wir dachten, dieser Kelch ginge an diesem verwunschenen Winkel des Mainufers vorüber und bangten über Monate - , um mir nichts dir nichts einem Ungetüm von Parkhaus zu weichen.Triumphierend steht es unmittelbar im Winkelbereich zwischen Brücke und Brückenabfahrt. So tobt sich also Unkultur und Ästhetikvergessenheit auch in Offenbach aus. Ich bin sicher, fast alle Offenbacher pflichten mir in dieser Einschätzung bei. Offenbach hatte in den Fünfzigern und bis in die Sechziger Jahre eine Glanzzeit, bis es vom Dreiparteiensystem abgewickelt wurde. Es war mir bis 1974 Heimatstadt, war meine Förderung. Das Gymnasium am Friedrichsring war weltoffen-liberal. Es war eine große Ära, der Klassenlehrer an der Volksschule konnte sich kaum einbringen, ob seines Schwärmens für die Blüte Offenbachs.

 

Ein weiterer Baufrevel ist im Anmarsch: am Spessartring/Hainbach. Dort ist ein Ungetüm in Architektur geplant: das Polizeipräsidium Süd-Ost Hessen. Es reicht über Dreiviertel der Länge des Spessartrings und bis weit in die Tiefe des Gebiets hinein. Es trug sich bereits zu, dass der schon zugewiesene Abschnitt der grünen Hainbach-Aue völlig niedergemacht und durch eine kahle, mittlerweile dünn übergrünte Geröllfläche ersetzt wurde (der Mutterboden, die Komposterde fehlt). Zuvor durchschlängelte dieses Kleinod der Artenvielfalt ein exquisites Stück Hainbachaue, eine Biosphäre der Extraklasse, unverzichtbares Artenrückzugsgebiet für Tiere und Pflanzen, in Jahrhunderten entstanden – nun unwiderbringlich verloren. Es braucht einen abgründigen Kulturmangel und eine dazu passende Naturvergessenheit, um so hemmungslos und bar einer Alternativlösung - an einem anderen Ort - zu Werk zu gehen. Auch das nahende Klimaproblem dürfte sich durch einen derartigen Naturfrevel verstärken. Über dem Gebiet liegt auch die Einflugschneise.

 

Eine andere Fehlleistung beinhaltet auch das Areal Offenbacher Landstraße 526, wo sich einst die Villa mit dem Mansardenaufbau befand (zuletzt im Besitz von Hersh Beker), die lange leer stand. Die Kuben aus dem Hochpreissegment liegen direkt unter der viel genutzten Einflugschneise, auch direkt an die ICE-Strecke angrenzend. Man hat in zu knappen Abständen gebaut, Kinder dürften sich zwischen den Zivilisationsgefängnissen für Erwachsene eingezwängt wiederfinden. Die Anlage kommt auch spekulativen Anlegerinteressen entgegen, wie ein Beitrag der Hessenschau vom 29.03.2014 erläuterte. Ein Drittel der Wohnungen seien an Kapitalanleger verkauft, von Griechenland bis Aschaffenburg, gab der Immobilienmakler Lothar Eschner preis (Holger Weinert moderierte). Diejenigen aber, die diese Wohnflächen zur Eigennutzung erstehen, unterliegen einer Illusion, die nicht zu halten ist. Die Anlage dient anonymen Kapitalinteressen und - wie gesagt - den Kulturlosen im Bausystem und denen, die in eng gefasstem finanziellem Interesse ebenso kulturfern dahinter stehen und einzig auf Rendite drängen.