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Kategorie: Heimspiel

Wie der Neubau der Europäischen Zentralbank die städtischen Behörden beschäftigt hat

 

Günther Winckel und Stefan Röttele

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Kein Tag vergeht, ohne daß in Frankfurt von der Stunde 0 gesprochen wird, der die Eröffnung des Neubaus der EBZ im Ostend der Stadt bedeutet. Eine neue Zeit.Dabei sind es weit über ein Jahrzehnt, seit dieser Tag in Frankfurt nun den Schlußpunkt setzt für das bisherige Zuhause am Willy-Brandt-Platz, wo es zusätzlich immer hieß: Europäische Zentralbank, was eigentlich der Theaterplatz war.

 

Der Bau der neuen Europäischen Zentralbank war auch für die Stadt Frankfurt ein Mammutunternehmen. Von Altlastenbeseitigung über den Bau einer neuen Brücke und eines neuen Parks, von Städtebau und Verkehrsplanung bis zur Errichtung einer Erinnerungsstätte reichten die Aufgaben. Bei Martin Neitzke vom Stadtplanungsamt liefen über zwölf Jahre hinweg alle Fäden zusammen.

 

Martin Neitzke kann demnächst auf ein Mammutwerk zurückblicken und eigentlich fast schon seine Memoiren schreiben. Zwölf Jahre lang hat der Stadtplaner für die Stadt Frankfurt das Großprojekt Europäische Zentralbank, kurz EZB, koordiniert und jetzt bis kurz vor den erfolgreichen Abschluss gebracht. Dazu gehörten sowohl die Projekte der Stadt in der Umgebung der neuen Türme als auch alle behördlichen Aufgaben auf dem Baugrundstück und im Gebäude selbst. Bei Mister EZB, wie ihn viele nennen, liefen die Fäden aller sechs Projektgruppen zusammen: Städtebau und Verkehrsplanung, Grundstücksfreimachung, Straßenbau und Erschließung, Freiflächen und Grünplanung, die Erinnerungsstätte sowie eine proaktive Öffentlichkeitsarbeit.

 

 

Jahrelanger Abstimmungsmarathon

 

In jeder Projektgruppe hatte ein anderes Amt die Federführung. Belange von Liegenschafts-, Rechts-, Planungs- und Presseamt mussten geregelt werden. Die Marktbetriebe kümmerten sich um die Übergabe des lastenfreien Grundstücks. Später kamen Bauaufsicht, Brandschutz, Grünflächenamt und das Verkehrsdezernat hinzu. Insgesamt mussten Ämter aus fünf Dezernaten aufeinander abgestimmt werden. Immer dabei: Neitzke, der auch den Zeitplan überwachte und zudem monatlich, teils wöchentlich, noch gemeinsame Themen mit der EZB besprach. „Wenn wir am 18. März eröffnen, senden wir als Stadt auch die Botschaft: „Seht her! Frankfurt weiß, wie Großprojekte gemanagt werden.“

 

 

Fantastische Präsentation

 

Ortstermin mit Mister EZB an der Kreuzung Sonnemannstraße/Hanauer Landstraße. Bis zur Einweihung sind es nur noch wenige Tage. Rechter Hand ragt der neue Riese empor. 165 Meter der südliche, 185 Meter der nördliche Turm. Es ist Nachmittag, links fließt ruhig und geordnet der Verkehr vorbei. Neitzke ist begeistert. Fast alle städtebaulichen Projekte sind rechtzeitig fertig geworden. Oskar-von-Miller-Straße fertig, Hafenpark fast fertig, neue Osthafenbrücke fertig, Mainufer fertig, die Gedenkstätte an der alten Großmarkthalle auch fast fertig und Honselldreieck bald im Bau. Neulich, als Griechenlands Finanzminister Yanis Varoufakis bei den Notenbankern vorstellig wurde, war Frankfurts Stadtsilhouette im Fernsehen schon mal von Osten aus zu sehen. Dem Planer gefiel die neue Aussicht: „Die Stadt präsentiert sich fantastisch.“

 

 

Dunkle Stunden

 

Links von den neuen EZB-Türmen, wo die Sonnemannstraße in die Hanauer Landstraße mündet, wurde ein öffentlicher Durchgang angelegt. Noch ist er gesperrt, aber von außen kann man erkennen, dass es ein besonderer Weg werden soll. Gut lesbar sind Buchstaben in den glänzend weißen Beton eingraviert. Es sind Zitate aus Briefen und Tagebüchern der zwischen 1941 und 1944 rund 10.000 deportierten Frankfurter Juden. Sie dienen dem Spaziergänger als Wegweiser zu einem als authentischen Ort im Original belassenen Kellerraum der alten Großmarkthalle, wo die Menschen damals zusammengetrieben und misshandelt wurden. Außerdem zu einer Verladerampe und dem alten Stellwerk der Hafenbahn.

 

Erarbeitet wurde das Konzept gemeinsam von Stadt Frankfurt, Jüdischer Gemeinde und EZB. Erste Überlegungen, unter dem Brückenbogen über dem Stellwerk eine Dependance des Jüdischen Museums einzurichten, wurden schließlich verworfen zugunsten einer Anordnung der historischen Fragmente, die für sich spreche. Weil die alte Fußgängerbrücke am Stellwerk zu marode war, wird aktuell eine neue gebaut. Ab Ende des Jahres soll es aber möglich sein, der schlimmsten Stunden der Stadtgeschichte hier zu gedenken. Weg, Brücke und der Bereich um das Stellwerk sind öffentlich. Um den Kellerraum, der auf EZB-Gelände liegt, über die Rampe betreten zu können, werden sich Besucher einer vom Jüdischen Museum veranstalteten Führung anschließen und eine Sicherheitsschranke passieren müssen.

 

 

Öffentliches Spektakel

 

Weiter geht der Rundgang unter der Bahnbrücke hindurch und nach rechts in Richtung Fluss, vorbei am Honselldreieck. Neitzke interessiert sich mehr für die neue Osthafenbrücke, die nun sichtbar wird. Ihr Einschwimmen im August 2012 war ein öffentliches Spektakel. Frankfurts Osten ist dadurch näher an Sachsenhausen aber auch an Offenbach gerückt. „Vorher musste der gesamte Wirtschaftsverkehr des Osthafens über die Hanauer Landstraße abgewickelt werden“, erklärt der Planer.

Eine neue Mainbrücke ist für sich allein genommen schon ein Großprojekt. Drei Ämter waren involviert. Es war einer der Momente in den zwölf Jahren, in denen Neitzke sich einen externen Projektmanager zur Seite nahm. „Ohne diese Unterstützung hätten wir das nicht stemmen können.“ Vor der neuen Stabbogenbrücke, ihre Kosten betrugen 30 Millionen Euro, betritt man die über das Hafenbecken führende Honsellbrücke. Sie wurde für fast 25 Millionen Euro saniert. Von der Brüstung des Kreisels hat man den perfekten Blick auf das neue Wahrzeichen. So frei steht in der Stadt kein anderes Bankenhochhaus. Sein Preis war in den letzten Jahren mehrfach nach oben korrigiert worden, auch weil die Sanierung der denkmalgeschützten Großmarkthalle komplizierter und damit teurer wurde als geplant. Zuletzt lag er bei 1,2 Milliarden Euro. Die Stadt ist der EZB verbunden, dass sie bereit war, die monumentale denkmalgeschützte Großmarkthalle in ihrer Hülle zu erhalten. „Es hätte keine andere Möglichkeit gegeben, die Halle zu nutzen“, sagt Neitzke.

 

 

Strittiger Eingangsriegel

 

Denkmalpfleger teilen diese Ansicht und akzeptierten sogar den für manche Betrachter wuchtig wirkenden Eingangsriegel, der die Halle längs durchschneidet. Als an diesem Riegel erste Kritik laut wurde, horchten auch die Erben des Architekten Martin Elsaesser auf. Sie pochten auf das Urheberrecht. Ein bereits eingeleiteter Rechtsstreit darüber, ob dieses nun greife oder nicht, konnte durch einen außergerichtlichen Vergleich gerade noch abgewendet werden. Stadt, EZB und die Erben einigten sich stattdessen auf die Gründung einer Stiftung, um das Ansehen des Architekten zu mehren und dessen Erbe zu pflegen – und der Riegel, in dem die EZB künftig ihre Pressekonferenzen abhalten wird, durfte gebaut werden.

 

 

Beliebter Treffpunkt

 

Am nördlichen Mainufer vor der Bahnbrücke liegt der neue Hafenpark mit seinen Sportfeldern, futuristischen Spiel- und Trimm-Dich-Geräten sowie einer großen Skateranlage. Schon öfter war zu hören und zu lesen, die EZB habe ihn bezahlt. Dem ist nicht so, stellt Neitzke klar. „Es war eine städtische Investition von insgesamt acht Millionen Euro.“ Der 2013 fertig gestellte Park ist längst zu einem beliebten Treffpunkt für Skater, Sportler, Fitnesshungrige und Familien geworden. Die FAZ würdigte ihn vor einem Jahr bereits als „Place to be“. Im Laufe dieses Jahres soll auch der Grünstreifen am Ufer fertig sein, sagt Neitzke. Ein paar Steine aus China konnten nicht rechtzeitig geliefert werden. Jetzt ist das Gras gesät, die jungen Bäume sind gesetzt. „Zeitpläne leben, sage ich immer.“ Neitzke schmunzelt. Der Erfolg des Hafenparks sei jedenfalls ein Höhepunkt

 

 

Dezente Sicherheitsanlagen

 

Hinter der Eisenbahnbrücke wird das Wiesenband von einer Pollerreihe durchzogen. Sie sind Teil der Sicherheitskonstruktion. „Ganz ohne geht es eben nicht“, sagt Neitzke. „Wir haben aber Wert darauf gelegt, dass die Anlagen dezent bleiben.“ Am liebsten sähe man es, wenn sich im Schatten der Türme auf der Wiese vor dem Zaun die Menschen sonnen und picknicken würden. Weiter mainabwärts ist der Spaziergänger mit Industrieromantik konfrontiert. Ruhrorter Werft heißt der Abschnitt. Einst wurden hier Kohlen zum Heizen der Frankfurter Haushalte angeliefert. Heute erinnern daran ein alter Lastkran und ein knallig-gelber Güterwaggon. Das aufgedruckte Bananenlogo stellt die Verbindung zur „Bananenreifehalle“ der alten Großmarkthalle her. Hinter dem Kran erhebt sich ein mehrstöckiger Glaspavillon. Gastronomie in exponierter Lage, ebenfalls erst 2012 eröffnet. Seine Aussichtsplattform ist zugleich die Chance, aus nächster Nähe eine zaunfreie Sicht auf das Gelände der Zentralbank zu bekommen.

 

 

Plötzlicher Stop

 

Seit zehn Jahren sei man mit den Projektverantwortlichen der EZB jetzt im Austausch. Wie viele Sitzungen und Ortsbesichtigungen das waren – er hat sie nicht gezählt. Es sind die Höhepunkte wie das Einschwimmen der Osthafenbrücke oder der Erfolg des Hafenparks, die haften bleiben. Und die schwerste Krise, die das Großprojekt erfahren musste: Als die EZB unmittelbar nach den ersten Arbeiten auf dem Gelände keinen Generalunternehmer für das Bauwerk fand, der die Pläne von Coop Himmelb(l)au innerhalb des gesetzten Kostenrahmens umsetzen konnte und sich zur Neuausschreibung von einzelnen Paketen entschied. „Da mussten wir alle Aktivitäten auf null abbremsen. Plötzlich stand alles in Frage. Ein Jahr hat uns das mindestens gekostet.“ Geruckelt habe es auch bei der Entfernung von Altlasten vom Grundstück, über das immerhin die Wirren zweier Weltkriege und 80 Jahre Marktgeschehen hinweg gegangen seien.

 

 

Kollegiales Verhältnis

 

Heute sind all der Stress und so manche schlaflose Nacht vergessen. „Es war immer ein kollegiales, fast schon freundschaftliches Verhältnis“, bilanziert Mister EZB. Entscheidend sei es gewesen, die Leute zusammenzuhalten und erzielte Kompromisse immer wieder intern zu vertreten. „Politik und EZB haben sich vorbildlich verhalten“, lobt Neitzke. „Und die EZB hat immer gesagt, dass sie ein guter Nachbar sein will.“ Kürzlich hat sich auch sein Pendant der Zentralbank bei Neitzke bedankt. Die Koordinierungsstelle habe die Findung schneller und einvernehmlicher Lösungen ermöglicht, lobte Projektleiter Martin Hupka kürzlich im Neubau-Rundbrief. Besonders hervor hob er dabei die „Kontinuität der handelnden Personen“ im Stadtplanungsamt.

 

 

Neue Aufgaben

 

Zurück geht es in Richtung Sonnemannstraße, zur Frontseite der Zentralbank, dorthin, wo die EZB auf die Stadt trifft. Der Weg führt vorbei an den schicken Etagenhäusern der Oskar-von-Miller-Straße. Auch hier haben sich neue Gastronomen niedergelassen. Vom Ostend der Industriearbeiter ist nichts mehr zu sehen. Stattdessen saubere Wege und Spielplätze. „Die Stadt wendet sich dem Fluss zu“, sagt Neitzke. In den nächsten Wochen und Monaten werden die Projektgruppen nun langsam abmoderiert. Was er danach macht? Bis zu den Memoiren ist noch ein bisschen Zeit. „Vielleicht kümmere ich mich um Gewerbegebiete in Seckbach. Oder um den Osthafen. Ganz sicher aber um die Konversion der Bürostadt Niederrad in ein gemischtes Wohn- und Arbeitsquartier.“ So genau könne man das nicht wissen, sagt er und erinnert daran, mit welcher Begründung er 2003 überhaupt zum EZB-Projekt gekommen sei. „Ich war damals für den Hochhausentwicklungsplan Frankfurt 2000 und die darauf aufbauende Überarbeitung des Bankenplans zuständig. Da haben die Kollegen gesagt: 'Eine Bank? Du machst das!'“

 

 

Foto: Martin Neitzke vor dem Neubau der EZB , © Stefan Maurer, pia