f selbstkritikgruppeSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Juni 2017, Teil 15

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das macht die aus reichem Haus stammende Camille scharf und sie sieht den für sie – und uns - zuvor angeberischen Julian mit anderen Augen. Sie fährt jetzt auf ihn ab und will ihn unbedingt begleiten, was ihn staunend und zustimmend beglückt. Die Handlung konzentriert sich jetzt auf diesen Apfelernteeinsatz, der einen Haufen merkwürdiger Existenzen versammelt, die alle von einer geschulten Geschäftsführerin oder der gewinnorientierten Besitzerin dieses Apfelparadieses an die Kandare genommen werden. Allein die Menge der gepflückten Äpfel ist es, was zählt. Ob des Tags, ob der Nacht. Die Zahlen müssen stimmen. Und das Ganze verkauft sie als eine Apfel-Olympiade. Das Gewinnenwollen soll das ausbeuterische Apfelpflücken als etwas Gemeinsames legitimieren.

Daß Filmemacher Julian, jetzt der echte Radlmaier, an philosophischen Texten, insbesondere französischen Philosophen seinen Gefallen hat und sicher noch mehr Zitate einstreut, als wir beim ersten Sehen erkannten, gibt dem Film eine zweite Ebene, wo schon die erste keine platte und gradlinige ist. Der Film hat etwas Schwebendes, auch ein gerüttelt Maß an Nonsens, aber eben auch viele Filmzitate seiner filmischen Vorbilder, von denen die russische Avantgarde von ihm ja benannt wird. Auf seine Widersprüche antwortet Camille so klar, wie das Frauen können: „Du bist ein ziemliches Arschloch für einen kommunistischen Filmemacher.“ Kein Wunder, wo er doch ein verkleideter Hartz IV-Empfänger ist.

Obwohl auch die Ernte selber komisch genug ist und eben auch Hong und Sancho mitpflücken, die wir als geschaßte Aufseher in der Gemäldegalerie und Flascheneinsammler am Anfang kennengelernt hatten, passiert dann noch etwas, was die Blase zum Platzen bringt. Wie es zum Wort STREIK kommt und dann zur Tat, wird irrelevant, als die gute Madame, die ausbeuterische Chefin aus Versehen unglücklich niedergestreckt, das Zeitliche segnet. Die Produktionsverhältnisse sind jetzt da, wo sie hingehören, in der Hand der Landarbeiter, hier der Apfelpflücker: la tierra a los, que la trabajan, sagte dazu die mexikanische Revolution schon 1910 in der Nachfolge von José Martí.

Und schon hat Julian den Salat, der sich zum geborenen Führer eines kommunistischen Kollektivs aufschwingt. Die einen verstehen darunter den Staatsbürokratismus a la ehemaliger sozialistischer Staaten, ein anderer den echten, den klassischen Bolschewismus, andere wiederum wollen mit Rosa Luxemburg die demokratischen Strukturen stärken und die Freiheit in der Freiheit der Andersdenkenden gewährleisten, wiederum andere wollen Spaß haben und Anarchie herrschen lassen. Auf jeden Fall sind sie durchaus für den Kommunismus, wenn es nur die Kommunisten nicht gäbe. Die will keiner.

Doch mitten im Verfahren am großen Holztisch in der Plantage ist Schluß. Julian erhält die Drehbuchförderung für seinen geplanten Film vom Scheitern der Utopie, die in der Apfelpflückwirklichkeit dagegen genau an der Drehbuchförderung scheitert. Denn mit dem Ausfall von Julian hat die Gemeinschaft ihren Sprecher und Einheizer verloren. Verloren hat auch Julian, nämlich Camille. Denn die kanadische Kunststudentin zieht mit Hong und Sancho weiter nach Italien, wo die Verhältnisse nicht so verkrustet sein sollen und noch heute mit den Vögeln gesprochen wird. Da muß man doch auf den Hund kommen.

Der Film hat etwas Spielerisches, Verspieltes bei aller gesellschaftlichen Analyse und warum ich immer wieder an den jungen Alexander Kluge denken mußte, muß ich noch herausfinden.


Foto:  Im Film sieht man die Erntehelfer beim Arbeiten, auf den Fotos meistens in den Pausen im Spiel und beim Essen wie hier © Verleih

Info:
Besetzung
JULIAN Julian Radlmaier
CAMILLE Deragh Campbell
HONG Kyung-Taek Lie
SANCHO Beniamin Forti
MÖNCH Ilia Korkashvili
ZURAB Zurab Rtveliashvili
BRUNO Bruno Derksen
ANTON Anton Gonopolski
ELFRIEDE GOTTFRIED Johanna Orsini-Rosenberg
BAUER Mex Schlüpfer