f ichwunscheschoneslebenSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 15. Juni 2017, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wie in einem V laufen zwei Erzählstränge, zwei Personen auf einander zu, aber sie selber entscheiden im Film, ob daraus ein X wird, also die Begegnung trennende Folgen hat, oder ob es zu einem Y kommt, einem gemeinsamen weiteren Weg.

Nein, es geht mal nicht um Mann und Frau, sondern um Mutter und Mutter. Denn erst als die in Paris Lebende und Arbeitende als Mutter eines Kindes, das einfach arabisch aussieht, sich ihrer eigenen Herkunft versichern will, schlägt für Elisa (Céline Sallette) die Stunde der Wahrheit. Der leibliche Vater des Kindes hat nämlich mit dem arabischen Einschlag des Sohnes Noé (Elyes Aguis) nichts zu tun, also muß dies in ihrer Familie liegen. Aber ihre Familie liegt im Dunkeln, das Elisa nie lüften wollte. Sie selbst ist ein adoptiertes Kind und war bisher damit zufrieden.

Dieser Film ist einer der leisen, der sanften Töne. Holzhämmer fehlen hier gänzlich. Schon wie Elisa mit den Fragen nach den Wurzeln konfrontiert wird, ist so lebensecht wie feinsinnig. Denn Noah wird in der Schule ob seines arabischen Aussehens gehänselt, was zur Folge hat, daß er sich nun mit den richtigen arabischen Schülern solidarisiert. Er wird zum Araber gemacht, bzw. macht dies selbst. Nein, Schweinefleisch will er in der Schulkantine nicht mehr essen. Die Mutter soll dies durchsetzen.

Aber die Mutter weiß, daß dies nicht nützt, daß sie endlich an die Wurzeln ihrer eigenen Existenz rühren muß und geht dorthin, wo sie herkam, wo sie geboren wurde. Sie verdingt sich vorübergehend als Praxisvertretung als Physiotherapeutin an ihrem Geburtsort Dunkerque, Dünkirchen, und meldet den Sohn in der zugehörigen Schule an. Wir wissen weit vor der Mutter, daß sie hier in der Schule, in der Kantine, ihre eigene Mutter Annette (Anne Benoit) finden wird, die, ohne dies zu wissen, ihrem Enkel schon achtsam begegnet ist, tatsächlich ein besonderes Auge auf ihn wirft. Wie wissen das, aber für Elisa ist das noch ein weiter Weg, Gewißheit zu erlangen. Und für Annette auch.

Warum nutzt die Regisseurin Ounie Lecomte nicht die Ausgangslage und macht aus dem Film eine Detektivgeschichte: eine Frau auf der Suche nach ihrer Mutter. Eine Art Thriller. So sind wir Zuschauer die Eingeweihten, wissen immer mehr als Elisa und folgen ihren so oft vergeblichen Schritten sicher mit mehr Mitgefühl, als wenn wir selber in die Detektivrolle geschlüpft wären. In der Parallelerzählung sind wir deshalb als Eingeweihte erst recht auf der Seite der jungen Frau, die bei der Recherche ständig an Mauern stößt. Einmal gibt es das Amt, die Adoptionsbehörde, nicht mehr, ein andermal ist alles so vertraulich, daß keine Auskünfte gegeben werden dürfen, ein weiteres Mal wird ihr erklärt, daß ihre Mutter nicht will, daß bekannt wird, wer sie ist, und wieder ein weiteres Mal wird vorgeschlagen, daß Elisa an ihre potentielle Mutter einen Brief schreiben soll, was sie tut...

Wenn man hört, daß die Regisseurin Ounie Lecomte selber bei Adoptiveltern aufgewachsen ist, versteht man noch besser, wie sie dies Kammerspiel um die Fragen der biologischen Nachweise feinsinnig inszeniert. Denn dies sind Fragen, die man sich sonst nicht stellt: Müßten sich Mutter und Tochter, seit der Geburt getrennt, nicht automatisch erkennen, wenn sie sich als Erwachsene begegnen. Wer merkt dies schneller? Mutter oder Tochter?

Aber noch wichtiger: warum hat die Mutter ihr Kind hergegeben, die schlimmste Ablehnung, die einem Menschen im Leben passieren kann. Und für die Mutter sehr oft der herbste Verlust. Und was ist mit dem Vater, was mit den jeweiligen Familien. Wußten die davon oder nicht? Es gibt keine Gleichung, in der alles aufgeht, sondern nur unendlich viele einzelne Schicksale, die auf der Suche nach Wahrheit und Klarheit sind, so wie Elisa, von der ja alles ausgeht.

So kann sie nicht wissen – eben weil Körper sich nicht automatisch erkennen – daß ihre Mutter als Patientin längst auf ihrer Liege liegt. Denn sie hatte einen Unfall und braucht Physiotherapie. Auch hierin ist die Geschichte gut ausgedacht, am Drehbuch hat die Regisseurin mitgearbeitet. Denn eine Physiotherapeutin kommt körperlich Menschen so nahe, wie keine andere Profession. Sie geht sozusagen unter die Haut der Patienten.

Aber die fährt eher aus der Haut als die professionelle Elisa. Wie die beiden nun sich gegenseitig erkennen, ist ein so diffiziler Prozeß, den man ansehen muß, weil Worte das nicht ausdrücken können. Darum wurde ja auch dieser Film gedreht, den wirklich eine innere Spannung trägt, auch wenn man manchmal den beiden zurufen möchte: Erkennt Euch doch endlich.

Foto: © Verleih

Info:

Regie: Ounie Lecomte
mit: Céline Sallette, Anne Benoit, Elyes Aguis, Françoise Lebrun, LouisDo de Lencquesaing, Pascal Elso, Micha Lescot, Catherine Mouchet u.a.
Drehbuch: Ounie Lecomte, Agnès de Sacy
Kamera: Caroline Champetier
Schnitt: Tina Baz