f thedinner2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Juni 2017, Teil 19

Filmheft

New York (Weltexpresso) - Ein cleverer, ein verrätselter, ein hochintelligenter Film. Lange lässt uns Regisseur Oren Moverman im Unklaren, worum es in THE DINNER überhaupt geht, spannt uns auf die Folter mit raffinierten Andeutungen und verschachtelten Hinweisen.
Wenn die Informationen dann schließlich präsentiert werden – hübsch nacheinander wie die lukullischen Köstlichkeiten im wichtigsten Schauplatz der Geschichte, einem edlen Nobelrestaurant –, wird mit jeder neuen Erkenntnis vor allem eines klar: dass so ziemlich gar nichts klar ist. Wer in diesem grimmig-grotesken Familienclinch glaubt, die Wahrheit für sich gepachtet zu haben, der liegt garantiert daneben. Und wer denkt, er habe alles verstanden und jeden durchschaut, sollte lieber noch einmal ganz genau hinsehen.

Ein furchtbares Dilemma steht im Zentrum der Story, die Moverman, gefeierter Schöpfer ähnlich raffinierter Independent-Perlen wie THE MESSENGER und RAMPART, sehr frei dem weltweiten Bestseller „Angerichtet“ von Herman Koch entlehnt hat. Alles kreist um die Frage, wie Eltern damit umgehen sollen, wenn ihre Teenager-Söhne vom bildungsbürgerlichen Weg abkommen – und nicht nur ein bisschen pubertären Mist bauen, sondern so richtig daneben langen. Muss man sie um jeden Preis beschützen, zumal wenn die Chance besteht, dass sie ungeschoren davonkommen? Oder gehört es zur moralischen Pflicht der Erziehungsberechtigten, die Missetäter ihrer gerechten Strafe zuzuführen, selbst wenn damit Lebenspläne durchkreuzt werden? Es sind unangenehme, quälende Fragen, die der Film da auf äußerst unterhaltsame Weise verhandelt. Und schon früh ahnen wir, dass es darauf keine simplen Antworten geben wird.

Zwei Elternpaare müssen sich, gleichsam zwischen Aperitif und Digestif, diesem Konflikt stellen. Wobei es zum Reiz der Exposition gehört, dass sie sich zunächst mit allen Mitteln dagegen wehren, das Unaussprechliche auszusprechen. Was zum Teil daran liegt, dass Stan Lohman (Richard Gere) und sein jüngerer Bruder Paul (Steve Coogan) auch ohne die aktuelle Krisensituation ein äußerst angespanntes Verhältnis haben. Dass der charmante, weltgewandte Politiker Stan immer schon auf der Sonnenseite stand, während er selbst zu jenen Menschen zählt, die ständig um die eigenen Probleme kreisen, ist für den labilen, zum Zynismus neigenden Paul nur schwer zu verkraften. So wird Stan gleich von zwei Seiten angezickt, denn auch seine deutlich jüngere Frau Katelyn (Rebecca Hall) ist nicht sonderlich gut auf den Herrn Abgeordneten zu sprechen. Für Pauls Frau Claire (Laura Linney) bleibt da nur, ausgleichend auf die unruhige Tischgesellschaft zu wirken und eine mögliche Eskalation zu verhindern.

Wie dieses grandiose Schauspieler-Quartett lange um den buchstäblichen heißen Brei herumredet (tatsächlich bekommen sie im Lauf des Abends einen appetitlichen Gourmet-Happen nach dem anderen kredenzt), macht THE DINNER allein schon sehenswert: als bissige Sozialstudie über den krampfhaften Versuch einer honorigen Gesellschaft, das Gesicht zu wahren. Moverman aber will noch mehr. Raffiniert webt er zwei weitere Erzählebenen in seine Menüfolge: Rückblendensplitter, die zum einen das besagte, von den 16-jährigen Michael (Charlie Plummer) und Rick (Seamus Davey-Fitzpatrick) begangene Verbrechen schildern, zum anderen die komplizierte Familienhistorie der Lohmans aufdröseln. So wird nach und nach deutlich, dass jeder der Protagonisten eine eigene Agenda, ein tiefer liegendes Geheimnis hat – und dass den Worten wie den Bildern nicht immer zu trauen ist.

Mit THE DINNER ist Moverman das richtige Werk zur richtigen Zeit gelungen. Ohne vordergründig zu politisieren, thematisiert er Fragen, die in Zeiten wegbrechender Sicherheiten und verfallender Wertvorstellungen uns allen unter den Nägeln brennen. Das macht ihn zu einem wichtigen, einem spannenden, einem hochbrisanten Film, der im Wettbewerb der diesjährigen Internationalen Filmfestspiele Berlin seine gefeierte Weltpremiere erlebte.

Foto: © Verleih

Info: Abdruck aus dem Presseheft zum Film

STAB

Regie und Drehbuch OREN MOVERMAN
Nach dem Roman
„Angerichtet“ von HERMAN KOCH
Produktion COTTY CHUBB, LAWRENCE INGLEE,
EDDIE VAISMAN, JULIA LEBEDEV

BESETZUNG  und .....................SYNCHRONSTIMME

Stan Lohman RICHARD GERE   Hubertus Bengsch
Claire Lohman LAURA LINNEY   Katrin Fröhlich
Paul Lohman STEVE COOGAN   Marcus Off
Katelyn Lohman REBECCA HALL Marie Bierstedt
Barbara Lohman CHLOË SEVIGNY Luise Helm
Michael Lohman CHARLIE PLUMMER Cedric Eich
Rick Lohman SEAMUS DAVEY-FITZPATRICK Amadeus Strobl
Beau Lohman MILES J. HARVEY David Kunze
Nina ADEPERO ODUYE               Katharina Spiering
Antonio JOEL BISSONNETTE      Patrice Luc Doumeyrou