f tigermilch3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. August 2017, Teil 7

Filmheft

Berlin (Weltexpresso) – ROMAN: Im Jahr 2013 erschien der Roman „Tigermilch“, der von einem Sommer in Berlin erzählt, von zwei jungen Mädchen, die endlich wissen wollen, was das Leben alles kann. Unter der Leichtigkeit der Sommerferien liegen jedoch ganz aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen wie Integration, Abschiebung, der kulturelle Clash unterschiedlicher Ethnien in einer Berliner Sozialwohnanlage.

2014 wurde das Buch für den deutschen Jugendbuchpreis nominiert, Worte wie „Tanz am Abgrund“ oder „verstörende Erfahrung“ standen in der Jurybegründung. Stefanie de Velasco, die junge Autorin, sagt dazu eher trocken: „Ich habe lange in Neukölln gewohnt und im Bekann- tenkreis mitbekommen, mit welchen Dingen man sich da herumschlagen muss. Das ist etwas anderes als bei Mädchen, die in Zehlendorf Block öte lernen und den Rest des Tages an ihrer WhatsApp hängen.“


BERLIN

Dass hier eine Geschichte so hart und zart daherkam, wie man es heute kaum mehr kennt, und dass sie mal nicht in Mitte angesiedelt war, sondern im wilderen, ärmeren Ex-Westberlin, el auch Ute Wieland auf, der Regisseurin, die Berlin und das Coming-of-Age-Genre schon früher gekreuzt hat: „Diese beiden Mädchen sind vor allem Berlinerinnen, die passen in Deutschland nirgends anders hin. Also ist das auch ein Film über die Energie von Berlin, das hat dazu beigetragen, dass ich das Projekt machen wollte. Ich lebe nun seit 17 Jahren hier, es war mir wichtig, eine andere Seite dieser Stadt zu zeigen, eine der Siedlungen, in denen Bosnier, Serben, Iraker, Deutsche miteinander wohnen.“

PRODUKTION

Natürlich war Berlin nicht der einzige Grund, „Tigermilch“ zu ver lmen. „Ich habe den Roman in die Finger bekommen und sofort ge- dacht: Ich will das machen. So hat mich die Geschichte fasziniert“, erzählt Ute Wieland. Sie traf sich mit Stefanie de Velasco, und ziemlich schnell war klar, dass die beiden zusammenarbeiten wollten. Das Projekt wurde weitergetragen zu der Produzentin Susanne Freyer, mit der Ute Wieland schon einige Projekte realisiert hatte. „Susanne Freyer ist meine Lieblingsproduzentin, ich schätze sie sehr. Also habe ich ihr das Buch gegeben und gesagt: Lies das.“

„Ich habe anfangs schon gestutzt bei dem Buch“, sagt Susanne Freyer dazu, denn natürlich passierten im Roman „Tigermilch“ Dinge, die nicht alltäglich waren für das Coming-of-Age-Genre. Andererseits bekam die Geschichte dadurch einen zeitgemäßen Aspekt, der in Deutschland in diesem Genre selten sichtbar wird - trotzdem verlor sie nicht an Humor oder emotionaler Tiefe. Dass hier ein toller Kinostoff brachlag, war klar. Susanne Freyer erklärt: „Erst habe ich zu Ute gesagt: Bist du verrückt? Das willst du ver lmen? Aber dann habe ich weitergelesen und war genauso entzückt wie Ute. Ich fand die Geschichte komisch, dramatisch, ungeheuer berührend. Am liebsten hätte ich selber den Sommer mit den beiden Mädchen verbracht.“

Also schrieb Ute Wieland ein „Tigermilch“-Drehbuch, und prompt wurde ihre Adaption des Romans für den deutschen Drehbuchpreis als 'Bestes unver lmtes Drehbuch' nominiert. Über Susanne Freyer ging das Projekt dann mit der Bitte um Koproduktion an die Constantin Film. „Lustigerweise hatten wir uns das Buch „Tigermilch“ auch schon eine Weile angeschaut“, erzählt Oliver Berben, und so nahm der Plan jetzt konkrete Form an. „Wir gewannen sehr schnell Partner für das Projekt, zu allererst die Constantin Film, die den Stoff sehr spannend fand“, erinnert sich Susanne Freyer. Dann konnte allmählich die Suche nach den Darstellern beginnen.

CASTING

Der Castingprozess zog sich in die Länge. Patrick Dreikauss, ein erfahrener Kinder- und Jugend-Caster, stellte der Produktion eine Menge interessanter Mädchen vor. Emily Kusche und Flora Li Thiemann waren schon relativ früh dabei, wurden aber anfangs aus logistischen Gründen zurückgestellt. Mit Jugendlichen unter 16 oder gar unter 15 Jahren zu arbeiten ist schwierig. Sie gehen noch zur Schule, man braucht andere Drehgenehmigungen, die Anzahl der erlaubten Arbeitsstunden am Set ist sehr niedrig. Also stand am Anfang der Beset- zung der Versuch, ältere Jugendliche zu casten, die jünger aussahen. Aber es stellte sich heraus, dass die Unterschiede in diesem Alter bemerkenswert sind: Es zeigt sich in jeder Bewegung, wie groß die Erfahrung oder die Unschuld der Jugendlichen ist. Jener stürmische Schritt ins Leben, der die meisten Vierzehnjährigen auszeichnet, wird innerhalb einer kurzen Zeitspanne deutlich vorsichtiger.

Genau in diesem Moment des Umbruchs hatte Stefanie de Velasco ihre Charaktere angelegt: „Solche Figuren zu besetzen ist schwierig. Sie müssen etwas Kindliches haben und trotzdem etwas Erwachsenes, in diesem Zwischenstadium muss man sie einfangen. Auf Fotos erkennt man Jugendliche in dem Alter nach wenigen Monaten oft nicht mehr wieder, weil sie sich so verändert haben.“ Susanne Freyer stimmt zu: „Es gab die Hoffnung, die 14-Jährigen etwas älter zu besetzen, damit wir freier sind in der Gestaltung unseres Drehplans. Ute und ich hatten aber bald das Gefühl, 15- oder 16-Jährige sind zu alt, um das zu spielen, was die beiden Mädchen können und zeigen müssen. Außerdem waren wir infiziert von Emily und Flora Li. Wir wussten, sie sind die Richtigen.“ Dementsprechend anders wurden die Dreharbeiten angelegt. Sie fanden nun weniger an Originalmotiven statt, dafür mehr im Studio. Die Wohnungen der Mädchen etwa wurden dort eingerichtet, um ohne Zeitverlust von einer in die andere wechseln zu können.


REGIE

Mit 14-jährigen Mädchen einen Film zu machen, der von Sexualität erzählt, und zwar nicht nur in einer romantischen Variante, sondern konkreter als das sonst in diesem Alter gezeigt wird - das war die große Herausforderung bei TIGERMILCH. „Man muss behutsam mit den Mädchen arbeiten. So etwas zu spielen erfordert sehr viel Vorbereitung, viele Gespräche, und die Mädchen haben dabei großen Mut aufgebracht“, sagt Ute Wieland. Zu einer halbwegs entspannten Stimmung trug sicherlich auch die Präsenz vieler Frauen am Set bei, denn jede von ihnen brachte Sensibilität und Verständnis für die Protagonistinnen mit. Für die heikleren Parts des Stoffes hatten die Mädchen außerdem selbstverständlich Body-Doubles.

Grundsätzlich aber lag es an Ute Wieland, dass ihre Darstellerinnen sich sicher fühlten. Sie hat Erfahrung mit Dreharbeiten in diesem Genre, sie hat bei den zwei Teilen von FRECHE MÄDCHEN mit Jugendlichen gearbeitet. Stefanie de Velasco, die Ute Wieland vom Film FC VENUS her kennt, bestätigt das: „Ich kenne Ute Wieland. Ich habe früher als Schauspielerin mit ihr gearbeitet. Ich bin beruhigt, dass jemand wie sie mein Buch ver lmt. Das ist ein harter Stoff, man muss die Mädchen ein bisschen schützen, aber ich weiß, wie Ute ihre Darstellerinnen behütet.“ Das bestätigt Flora Li Thiemann: „Ute kann sich immer in die Lage der Figuren versetzen. Es ist ihr echt wichtig, dass wir die Szenen verstehen und wissen, wo wir sind oder was wir da tun.“

Das führte dazu, dass die Mädchen eine Distanz zu den Figuren schaffen konnten, und auch die Distanz der Figuren zu ihren Taten er- kannten. So sagt Flora Li Thiemann über Nini und Jameelah: „Wenn die auf den Strich gehen, dann verkleiden sie sich, dann schminken sie sich, dann geben sie sich andere Namen. Sie werden sozusagen zu einer anderen Person, und dann ist es auch egal, was sie dort machen, weil das nicht zu ihrem eigenen Leben dazugehört.“ Man erkennt die Leichtigkeit, die Ute Wieland in die schwierigen Szenen brachte, auch am Kommentar von Narges Rashidi, „sehr einfühlsam; keine Dramen“, oder an dem von David Ali Rashed, dem frechen Amir aus „Tigermilch“: „Ich bin ja nicht so dreherfahren, aber ich denke, dass sie schon recht entspannt ist für'n Regisseur.“

Foto: © Verleih

Info:
Besetzung
Nini Lindemann           Flora Li Thiemann
Jameelah Bashir          Emily Kusche
Amir Begovic               David Ali Rashed
Noura Bashir                Narges Rashidi
Annika Lindemann       Gisa Flake
Rainer Maas                 Heiko Pinkowski
Krankenschwester       Stefanie De Velasco