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Kategorie: Film & Fernsehen
Lebenden reparierenSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Dezember 2017, Teil 7

Margarete Frühling

München (Weltexpresso) - In Le Havre verabschiedet sich der 17jährige Simon (Gabin Verdet) an einem frühen Morgen von seiner Freundin Juliette (Galatéa Bellugi) und trifft sich mit zwei Freunden, um zum Surfen ans Meer zu fahren. Auf dem Rückweg haben die drei einen Autounfall. Weil seine Freunde angeschnallt waren, kommen sie mit Knochenbrüchen davon. Simon allerdings schlägt mit dem Kopf auf die Windschutzscheibe auf. Als ihn die Sanitäter aus dem Auto ziehen, schlägt sein Herz noch, allerdings ist der Hirntod schon eingetreten.

Seine Eltern Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) wollen nicht wahrhaben, dass Simon, der beinahe unverletzt im Krankenhaus liegt, tot sein wird, wenn die Apparate, die ihn atmen lassen, abgestellt werden. Sie werden vom Stationsarzt Pierre Révol (Bouli Lanners) und dem Oberpfleger Thomas Rémige (Tahar Rahim) vor eine schwere Entscheidung gestellt, denn sie werden gebeten, Simons Organe zu spenden. Der Arzt macht den Eltern klar, dass ein hirntoter Körper schnell verfällt und dass die Entscheidung, ob Simons Organe zu Transplantationszwecken entnommen werden dürfen, sehr schnell fallen muss. Nach kurzen Bedenken, geben Simons Eltern ihre Zustimmung. Da Organspenden anonym sind, wird Simons Herz jemanden retten, den seine Eltern nicht kennen lernen werden.

Zur gleichen Zeit erfährt in Paris die etwas 45jährige Musikerin und zweifache Mutter Claire (Anne Dorval), dass ihr schwaches Herz jederzeit versagen kann. Sie benötigt dringend ein Spenderherz. Sie hat Glück, denn ihre Werte stimmen mit Simons überein und sie steht ganz oben auf der Warteliste.

Während Claire auf einen passendes Spenderherz wartet, versucht sie, ein besseres Verhältnis zu ihren beiden erwachsenen Söhnen Maxime (Finnegan Oldfield) und Sam (Théo Cholbi) sowie ihrer ehemaligen Partnerin Anne Guérande (Alice Taglioni) aufzubauen. Auch Claire muss jetzt entscheiden, ob sie einer Transplantation zustimmt. Viel Zeit hat sie dazu nicht.

Klinikpersonal aus Paris macht sich mit einem Flugzeug auf den Weg nach Le Havre, denn dem medizinischen Fachpersonal in beiden Städten läuft die Zeit davon. Nachdem der Pfleger Thomas den letzten Wunsch von Simons Eltern und seiner Freundin Juliette erfüllt hat, beginnen die Ärzte Simons Herz zu entnehmen und es anschließend nach Paris zur lebensrettenden Operation für Claire zu bringen.


Der Film "Die Lebenden reparieren" beruht auf dem gleichnamigen Roman der französische Autorin Maylis de Kerangal, der 2015 in Deutschland bei Suhrkamp erschienen ist. Der Titel geht übrigens auf einen Satz aus Anton Tschechows "Platonov" (1880) zurück und lautet vollständig: "Die Toten begraben, die Lebenden reparieren". Der Roman ist bewusst sachlich gehalten, wenn er die Geschichte eines Spenderherzens innerhalb von 24 Stunden beschreibt.

Genau diesen Stil hat auch die französische Regisseurin Katell Quillévéré beibehalten. Deshalb zeigt sie auch die Professionalität des Klinikpersonals, die trotz aller Zugewandtheit eine persönliche Abgrenzung benötigen, z.B. wenn der Pfleger Thomas sich ein Video über einen teuren nordafrikanischen Singvogel ansieht, den er unbedingt kaufen will, oder wenn der Krankenschwester, die Simon betreut, klar wird, dass sie professionell bleiben muss.

Die Regisseurin hat ein Gespür für Details und erzählt die Geschichte dramaturgisch kühn. Sie konnte für ihren Film bekannte Schauspieler/innen gewinnen wie z.B. Roman Polanskis Ehefrau Emmanuelle Seigner als Simons Mutter, die durch Xavier Dolans Filme bekannte Kanadierin Anne Dorval als Claire, den belgischen Schauspieler Bouli Lanners als Stationsarzt oder den auch in Deutschland durch Fatih Akins "The Cut" bekannten Tahar Rahim als Thomas.

Einige Zuschauer mögen sich daran stören, dass in "Die Lebenden reparieren" detailgenau eine Herztransplantation gefilmt wurde. Dies gehört aber zum Konzept des Films, der nicht nur eine Tragödie zeigt, sondern der auch deutlich machen will, wie der Tod eines Menschen einem anderen Menschen helfen kann, wieder ein aktives Leben genießen zu können.

Leider sind die beiden Hälften des Films nicht gleich stark. Dem zweiten Teil über Claire fehlen etwas die Komplexität und der atemberaubende Schwung der ersten Hälfte. Trotzdem ist der Regisseurin Katell Quillévéré mitreißendes Medizin-Drama gelungen.

Der Film, der bereits 2016 auf dem Filmfestival von Venedig Premiere hatte, kommt jetzt endlich auch in die deutschen Kinos. Er ist trotz des sachlichen Stils und des traurigen Themas ein sehr positiver Film. Er ist natürlich auch eine Werbung für eine Organspende. "Die Lebenden reparieren" ist ein absolut sehenswerter Film, der ganz sicher auch nach dem Kinobesuch die Zuschauer zur Diskussion anregt.

Foto: Marianne (Emmanuelle Seigner) und Vincent (Kool Shen) nehmen Abschied von ihrem Sohn Simon (Gabin Verdet) © Wild Bunch Germany

Info:
Die Lebenden reparieren (Frankreich, Belgien 2016)
Originaltitel: Réparer les vivants
Genre: Drama
Filmlänge: 103 Min.
Regie: Katell Quillévéré
Drehbuch: Katell Quillévéré, Gilles Taurand, nach dem gleichnamigen Roman Réparer les vivants von Maylis de Kerangal (2013)
Darsteller: Tahar Rahim, Emmanuelle Seigner, Anne Dorval, Bouli Lanners, Kool Shen, Gabin Verdet u.a.
Verleih: Wild Bunch Germany
FSK: ab 12 Jahren
Kinostart: 07.12.2017