berl18 18unsaneDer Wettbewerb der 68. Berlinale vom 15. bis 25. Februar, Film 18

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Meist bündeln die Festspiele Filme mit ähnlicher Ausrichtung wie Geschichtsdramen oder Liebesfilme etc. an einem Tag. Oder es ist ganz anders wie am Mittwoch, wo auf den lautstark als Zumutung bezeichneten dreistündigen Film MEIN BRUDER HEISST ROBERT UND IST EIN IDIOT von Philip Gröning UNSANE folgte, ein waschechter Psychothriller von Steven Soderbergh.

Soderbergh, der seit seinem Debütfilm SEX, LÜGEN UND VIDEO zu den besonders interessanten Regisseuren zählt, hat mit der Berlinale eine gemeinsame Geschichte. Zudem hatte sich Soderbergh eigentlich zurückgezogen, der gegenwärtige Filmbetrieb interessierte ihn nicht mehr. Aber dann kam LUCKY LOGAN – ein richtig schöner Film - und jetzt dieser Thriller. Noch dazu hat ihm dieser Rückfall Spaß gemacht, denn er hat seine Geschichte mit dem I-Phone erzählt, dessen Technik ihm ganz neue Möglichkeiten erschloß. Gerade die Innenszenen in den geschlossenen Zellen zeigen Räume, die auf diese Weise noch klaustrophobischer wirken.

Aber kommen wir zur Geschichte, die schnell erzählt ist und bei der man aufpassen muß, nicht zuviel zu verraten. Diese Geschichte geht so: Eine junge Frau wirkt nervös, gehetzt, sie ist umgezogen, schon wieder, ist in einer neuen Stadt, schon wieder, ein neuer Arbeitgeber, schon wieder. Dazwischen dann eine Szene, die man nach der #me too- Debatte nun in Filmen erwartet, die aber längst abgedreht war, als das Ganze los ging. Das muß einen nicht wundern, denn #me too gibt es ja nur, weil es die reale Bedrohung - meist für Frauen – im Geschäft von Macht und Sex eben gibt. Hier im Film deutet der neue Chef seine Begeisterung für die neue Mitarbeiterin an und daß man bald in einem Fünf-Sterne-Hotel eine Fortbildung mache – gemeinsam natürlich...

Doch Claire Foy (Sawyer Valentini) hat ganz andere Probleme Denn fortwährend sieht sie in Männern, auch denen, mit denen sie sich freiwillig verabredet, um mit ihnen Liebe ohne spätere Fortsetzung zu machen, ganz plötzlich bei der Annäherung, beim ersten Kuß in diesen fremden Männern ihren Verfolger., einen Stalker, dessen wegen sie auf der Flucht ist, obwohl er sich ihr - gerichtlich bestätigt – nicht nähern darf. Wir erleben wie sie fälschlich in anderen Männern diesen einen sieht. Aber erst am Schluß wissen wir, daß sie guten Grund hatte, vorsichtig zu sein.

Als George ( Joshua Leonardo) das erste Mal auftaucht und Claire hysterisch „David!“ schreit, weiß der Zuschauer nicht, ob es die Phantasie, also ein Verfolgungswahn der jungen Frau ist ,oder es tatsächlich David Strine ist, der Stalker, der sich in die Klinik eingeschlichen hat. Dort nämlich wird Claire festgehalten, obwohl sie nur zu einem Gespräch über ihre Verfolgungssituation gekommen war, aber bei der Anmeldung alle möglichen Papiere unterschrieben hat, darunter auch ihr Einverständnis, eine Woche in dieser geschlossenen Klinik zu verweilen. Doch dies kommt gleich. Bleiben wir bei der Situation, daß Claire in dem Pfleger ihren Stalker zu erkennen glaubt.

Das ist doch eher unwahrscheinlich, denkt man, woher soll der den gewußt haben, daß sie dort eine psychologische Beratung einholt - und ist schon in die Falle des Regisseurs gelaufen. Denn die Spannung kann in der ersten Hälfte des Films nur gehalten werden, wenn noch nicht ganz klar ist, wer hier welche Rolle spielt. Das ist hervorragend gemacht. Der zweite Teil ist dann eindeutig und man hält, fest im Kinosessel gebannt, zur Heldin, der man nicht nur ihr Überleben wünscht, sondern auch, daß der Kerl, der in seinem Liebes- und Besitzwahn alle Vertrauten von Claire einfach umbringt. Sie aber nicht, denn sie hat vorgesorgt.

Soderbergh verschachtelt hier gekonnt zwei Stränge: eine individuelle Geschichte einer, von einem Psychopathen bedrohten jungen Frau und einen Mißstand im Gesundheitswesen der USA, wo tatsächlich solche Kliniken, die Gewinn erwirtschaften müssen, psychisch angeschlagene und deshalb Hilfe suchende Leute zu ihrer Unterschrift verführen und sie eine Woche einsperren, mit Medikamenten abfüllen und ruhiggestellten. Denn diesen Aufenthalt müssen die Krankenversicherungen zahlen. Dann nichts mehr, weswegen die Patienten nach einer Woche aus der Klinik fliegen.

Die individuelle Geschichte einer bedrohten jungen Frau wäre nicht neu, aber die Verbindung mit kriminellen Kliniken ist es schon, zusätzlich bringt zudem der Zusammenhang von Inhalt und Form (I-Phone) eine neue, besondere Dimension auf die Leinwand. Soderbergh gibt dann zu, daß die Kamera unaufhörlich vor den Gesichtern rumgefuchtelt wurde, denn man sieht ununterbrochen Großaufnahmen der Gesichter, was natürlich bei einem Psychothriller, der Horrorelemente enthält die richtige Optik ist: aufgerissene Augen, angstvolle Mienen etc. Das Handy schaffe eine Intimität, die eine herkömmliche Kamera einfach nicht vermittle.

Aber, der Zuschauer achtet nicht auf formale Elemente, er muß und wird sich mit Sawyer verbunden fühlen, wozu die Technik eben zusätzlich zur Geschichte ihren Anteil hat. Das Ganze ist ein guter Thriller, aber kein Filmkunstwerk.

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