f tschis4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 22. März 2018, Teil 3

N.N. 

Berlin (Weltexpresso) - Hier in Deutschland ist zwar der Film WILLKOMMEN BEI DEN SCH'TIS als herrliche, so lustige wie subversive französiche Komödie bekannt, weniger aber sein Regisseur und Hauptdarsteller Dany Boon. Im Presseheft zum Film gibt es ein sehr sehr langes Interview, das aber richtig aufschlußreich ist, weshalb wir es in zwei Etappen veröffentlichen. Die Redaktion

Die DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN ist Ihr sechster Film als Regisseur und er kommt ziemlich genau ein Jahr nach Ihrem fünften Film Die Super-Cops – Allzeit verrückt! ins Kino. Gab es einen Grund dafür, dass Sie die Filme so schnell hintereinander gedreht haben?

Es gab keinen besonderen Grund zur Eile. Ich hatte nur sehr große Lust, diesen Film zu drehen und abgesehen davon kam Willkommen bei den Sch’tis (der auch in Nordfrankreich spielte) genau vor zehn Jahren heraus. Die Idee zu DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN stammt aus den frühen 2010er Jahren. Ich erinnere mich, dass ich damals zu Line Renaud sagte, dass wir wieder gemeinsam in der gleichen Region arbeiten würden. Seitdem fragte sie mich jedes Jahr: „Wann geht es los?“. Ich schob den Dreh des Films aber immer wieder auf, während ich weiterhin am Drehbuch arbeitete und zwischendurch andere Filme machte, darunter die Actionkomödie Die Super-Cops – Allzeit verrückt!. Danach hatte ich große Lust auf diesen Film, um wieder zu familiären, intimen und persönlichen Themen zurückzukehren.

Ich möchte noch hinzufügen, dass ich bei DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN zum zweiten Mal gemeinsam mit Sarah Kaminsky das Drehbuch schrieb, eine Autorin, mit der ich mich wunderbar verstehe. Wir ergänzen uns perfekt. Wir werfen uns gegenseitig die Bälle zu und sparen damit viel Zeit. Wir verbrachten ganze Tage mit Schreiben, von morgens bis abends. So war die erste Version des Drehbuchs innerhalb von zwei Monaten fertig – ich allein hätte dafür sechs Monate gebraucht.


Die Grundidee des Films hat Sie also über sieben Jahre begleitet. Wissen Sie noch, wie sie entstanden ist?

Natürlich. Ich habe mich immer zu meinen Wurzeln und meiner Identität als Sch’ti bekannt, und dem unprätentiösen Kleinstadtmilieu, in dem ich aufgewachsen bin. Der Großteil meiner Figuren, ob auf der Leinwand oder der Bühne, sind einfache und sehr echte Menschen. Sie haben eine clowneske Seite an sich und entsprechen den Menschen, denen ich in meiner Jugend hätte begegnen können. Ich fühle mich ihnen sehr verbunden. Ich karikiere sie, aber mache mich nie über sie lustig. Eines Tages habe ich mir die Frage gestellt: Was wäre, wenn ich alles anders gemacht hätte? Wenn ich, als ich nach Paris kam, auf den schlechten Rat einiger Produzenten gehört hätte, die mir rieten, meine Herkunft zu verleugnen und mir meinen Akzent abzugewöhnen. Aus diesen Überlegungen heraus (und da ich ausgebildeter Graphikdesigner bin) ist die Hauptfigur Valentin entstanden, der sich für seine Wurzeln schämt und sich deshalb eine neue Herkunft ausdenkt, bis ihn seine Lügen irgendwann einholen... 2016 haben wir der Geschichte ein weiteres Element hinzugefügt: Auch der Bruder (gespielt von Guy Lecluyse), der Geld für die Rettung seines Biobauernhofes benötigt, belügt seine Mutter, um einen Grund zu haben, nach Paris zu fahren und seinen verschollenen Bruder Valentin wieder zu treffen... Und so bekam die Geschichte plötzlich eine größere Bedeutung, mehr Farbe und Spannung.


Wenn ich Sie richtig verstehe, ist DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN ihr bisher persönlichster Film?

Definitiv. Wenn Valentin mit seiner Mutter spricht, erkenne ich mich darin wieder. Ich sehe meinen Vater in der Figur, die Pierre Richard spielt. Übrigens, in der Szene, in der ich mich nach all den Jahren mit ihm ausspreche, bin ich in Tränen ausgebrochen. Und zwar so stark, dass ich die Szenen nicht verwenden konnte, da sie nicht zu schneiden waren. Die Emotionen waren zu stark. Mir ist bewusst geworden, dass das Thema familiäre Wurzeln viele Menschen anspricht, unabhängig vom sozialen Herkunftsmilieu. Für unsere Eltern bleiben wir immer Kinder und wir haben gegenüber ihnen immer noch die Einstellung an uns: „Kannst Du mich bitte zur Schule fahren, aber mich nicht direkt davor, sondern zwei Straßen weiter absetzen.“ Ich liebe meine Mutter. Sie ist eine sehr lustige Frau, die von meinem Leben eine ziemlich romantische Vorstellung hat, seitdem ich das Milieu gewechselt habe. Es ist nicht besser oder schlechter, nur die Regeln sind andere. Meine Mutter fühlt sich darin nicht wohl, aber bittet mich nett und höflich zu bleiben. Als Willkommen bei den Sch’tis im Elysée Palast gezeigt wurde, wollte meine Mutter nicht mitkommen, aus Angst, sich falsch zu benehmen. Ich habe darauf bestanden, ihr ein Kleid gekauft und gesagt, dass all ihre Kinder und Enkelkinder auch eingeladen seien. Schließlich hat sie ja gesagt. Und als sie sah, dass es kein Dinner sondern ein Buffet gab, war sie erleichtert, denn sie hatte Angst, sich mit den Gläsern und dem Besteck zu vertun! Ihre Interessen liegen einfach woanders. Ein anderes Beispiel: Als Willkommen bei den Sch’tis am Startwochenende in den französischen Kinos alle Rekorde gebrochen hatte, habe ich stolz meine Mutter angerufen, um ihr davon zu erzählen. Und ihre erste Reaktion war: „Kaufe dir bloß kein neues Auto“. Sie machte sich Sorgen, dass ich mein Geld zu schnell ausgeben könnte. Man bleibt eben immer arm im Kopf.

Zu „Super-Hypochonder“ habe ich ihr als Erinnerung für sie selbst und ihre Freundinnen Film-Postkarten gegeben, aber sie hat sie auf dem Markt verteilt, um für den Film zu werben. Als ich ihr sagte, das sei nicht nötig, hat sie geantwortet: „Sei nicht so stolz“. Für meine Mutter ist nichts selbstverständlich und im Grunde hat sie Recht. Man muss sich immer wieder selbst in Frage stellen, denn alles kann sich von einem Tag auf den anderen ändern und daran ändert auch der Bekanntheitsgrad nichts.



Familiäre Bindungen sind für Sie eine Basis, die niemals verschwinden kann, richtig?

Ganz genau und das gilt unabhängig von unserer Geschichte. Die Beziehung zu meinem Vater war schwierig: Wir liebten uns sehr, verstanden uns aber nicht immer. Er hatte kein Verständnis dafür, dass ich Künstler werden wollte. Ich hatte studiert und ein Diplom erworben. Für ihn war die logische Konsequenz, dass ich Angestellter mit einem Gehaltszettel und einem abgesicherten Job werde und in die Rentenkasse einzahle. Beamter zu sein, war für ihn der heilige Gral. Leider starb er, bevor ich erfolgreich wurde, und ich weiß, dass seine größte Angst war, dass ich obdachlos werden könnte, denn zu Beginn meines Berufslebens war ich sehr arm. Ich bin natürlich traurig, dass er meinen Erfolg nicht mehr erleben konnte, ich glaube er wäre stolz darauf gewesen. Das heißt: Einen Film auf dieser Basis zu schreiben und zu produzieren, in meiner Region, war für mich berechtigt und kam von Innen heraus. Als ich früher meine Sketche schrieb und Probleme mit einer Figur hatte, ließ ich sie Sch’ti sprechen. Das erlaubte mir, ihre Wahrheit, ihre Aufrichtigkeit und ihre lustige Seite zu finden. Nachdem ich der Bühne den Rücken zugekehrt habe, war der richtige Moment gekommen, all das auch im Kino zu thematisieren.


Umso mehr da seit Willkommen bei den Sch’tis zehn Jahre vergangen sind und man Ihnen nicht vorwerfen kann, auf der Welle dieses großen Erfolgs geschwommen zu sein.

Es stimmt, dass ich seitdem sehr unterschiedliche Filme gemacht habe. Ich wollte nie eine Fortsetzung der Sch’tis machen und werde das auch nie tun. Ich nehme mir einen meiner Lehrer zum Vorbild, Gérard Oury, den ich sehr bewundere und dessen Filme ich meinen Kindern zeige. Oury hatte gigantische Erfolge, aber er hat nie eine Fortsetzung gedreht, selbst wenn er immer wieder mit den gleichen Schauspielern gearbeitet hat. Jetzt werden Sie mir sagen, dass Nichts zu verzollen auch mit dem Norden zu tun hatte, denn die Geschichte spielte an der französisch-belgischen Grenze. Aber um in meine Region zurückzukehren, brauchte ich eine starke und ganz andere Idee. Ich bin übrigens sehr glücklich über die ersten Reaktionen der Zuschauer, denen wir DIE SCH’TIS IN PARIS – EINE FAMILIE AUF ABWEGEN gezeigt haben: Sie amüsieren sich über die komödiantischen Szenen, sind aber auch berührt von den emotionalen Momenten.


Vielleicht liegt das ja auch daran, dass die meisten Franzosen aus der Provinz kommen und dass sie alle eines Tages mit dem „Parisianismus“, der Begegnung mit Paris, konfrontiert werden, über den Sie sich im Film lustig machen?

Ja genau. Diese Wesensart, der Schein, das Beurteilen... Ich verwende ein eher klassisches Schema der Komödie: den Schock, die Konfrontation der Gegensätze. Auf der einen Seite steht die bodenständige Familie aus dem Norden und auf der anderen Seite diese etwas realitätsferne, mondäne Bourgeoisie. Aber wenn das funktioniert, liegt das glaube ich auch daran, dass das Ganze sehr aufrichtig ist. Ich inszeniere vor allem Liebesgeschichten. Zwischen Brüdern, Eltern und ihren Kindern, und nun zum ersten Mal auch einem Paar. Beziehungsweise eigentlich zwischen mehreren Paaren, denn Gus (gespielt von Guy Lecluyse) entdeckt, dass Valentin früher mit seiner Frau Louloute (gespielt von Valérie Bonneton) flirtete.


Der Film erzählt vom äußeren Schein: Valentin und seine Frau Constance (Laurence Arné) sind zeitgenössische Möbeldesigner, von sehr hippen und extrem ungemütlichen Möbeln.

Das sind Möbel, die ich zum Teil mit Hervé Ballet, meinem Chefdekorateur entworfen habe, der mit seinem Team eine außergewöhnliche Leistung erbracht hat. Es war mir wichtig, dass die manchmal etwas hochtrabende Seite der Designerwelt auf der Leinwand sichtbar wird. Man sollte nicht zu viel karikieren, aber diese Seite gibt es wirklich! Es geht um die essenzielle Frage, ob man sein Wissen und seine Bildung teilt oder sein Wissen nur zur Schau stellt. Im künstlerischen Milieu ist meist das Zweite vorherrschend. Manche sehen ihre Erfüllung darin, mehr als die anderen zu glänzen, indem sie auf sie herabsehen. Außerdem wirkt man weniger naiv, wenn man etwas Schlechtes über die Arbeit der anderen sagt. Ich hatte immer das Gefühl, dass man in Paris den anderen weniger wohlwollend gegenübersteht, als dort, wo ich herkomme. Man kann sich unter dem Einfluss dieses Pariser Geistes verändern. Aber Jacques Grange zum Beispiel, dessen Arbeit als Dekorateur ich sehr bewundere, ist ein echter mondäner Pariser, aber im guten Sinne des Wortes. Kultiviert, geistreich, erfinderisch, mit dem Geschmack und dem Talent, Epochen zu vermischen. Und wenn er etwas Schlechtes über die Arbeit der anderen sagt, ist es immer lustig, nie grausam. Ich kenne auch Innendesigner, die schlichte Designerstücke entwerfen, ohne sich ums Wohlergehen der Nutzer zu sorgen. „Der Komfort des Nichts“ ist ein Satz, den ich aus dem Mund eines Dekorateurs gehört habe. Meine Figur des Valentin ist gar nicht so karikaturistisch und sie baut auf einer Lüge auf. Es ist daher nur logisch, dass seine Kreationen wackelig sind.

FORTSETZUNG FOLGT

Foto: 
© Verleih

Info: 
BESETZUNG

Valentin                       Dany Boon
Constance                  Laurence Arné
Mutter                         Line Renaud
Gustave                      Guy Lecluyse
Louloute                     Valérie Bonneton
Schwiegervater          François Berléand
Vater                           Pierre Richard