f callasSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Mai 2018, Teil 5

N.N.

Paris/New York (Weltexpresso) - Die Geschichte hört sich an wie mäßig gut erfunden: Nach einem Opernabend in der Met sucht der damals 28-jährige in New York lebende französische Fotograf, Schauspieler und Filmemacher Tom Volf im Januar 2013 im Netz nach Interpretationen von Donizettis „Maria Stuarda“– und trifft auf die ihm bis dato unbekannte Maria Callas. Den Rest der Nacht verbringt er – von ihrer Stimme und ihrer Erscheinung zutiefst berührt – damit, zu sehen und zu hören, was Google und Youtube über die Ausnahme-Sängerin des 20. Jahrhunderts hergeben. Und ist fortan besessen von der Idee, das Maximum über Leben, Lieben und Leiden der Primadonna assoluta der 1950er und 60er Jahre für sich in Erfahrung zu bringen.

Schon bald hat er nicht nur fast alles gelesen, was über sie geschrieben wurde, sondern trifft sich auch mit Menschen, die ihr persönlich begegnet sind – mit ihrer Freundin Nadia Stancioff etwa, die ihr als Presseassistentin von Pasolini beim Dreh von „Medea“ 1969 begegnet war; mit Franco Zeffirelli, Viscontis Assistent zu Zeiten seiner „Vestalin“-Inszenierung an der Mailänder Scala 1954; mit Georges Prêtre, einem bevorzugten Dirigenten der Sopranistin; mit Robert Sutherland, der sie als Pianist auf ihrer letzten Tournee 1974 begleitete; und nicht zuletzt mit Ferruccio und Bruna, denen der vorliegende Film bezeichnenderweise gewidmet ist: Der „Majordomus“ und die Haushälterin haben „la Signora“, wie sie sie zu nennen pflegten, über 25 Jahre ihres Lebens begleitet und betreut. Ferruccio war es auch, der ein einmaliges Dokument aus der Schublade zog und Volf anvertraute: die einzige noch existierende Kopie eines Interviews, das der britische Starjournalist David Frost 1970 mit der Callas führte und in dem er auch sehr persönliche Themen nicht ausklammerte – das Interview bildet eine Art Rückgrat des gesamten Films.

Was Volf schon zu Beginn seiner Recherchen auffällt, ist, dass die persönlichen Zeugnisse, die Maria Callas in Gesprächen, Briefen und ihren unvollendeten Lebenserinnerungen abgibt, so gar nicht zusammenpassen wollen mit dem Bild, das in der Öffentlichkeit über sie kursierte und das auch ihr Image für die Nachwelt mit prägte: das einer kapriziösen Diva, die ein schillerndes Privatleben führte, sich mit Opernintendanten überwarf und Vorstellungen platzen ließ.

„Es wurden so viele Lügen und Halbwahrheiten über sie verbreitet. Das ist geradezu lächerlich“, befindet Tom Volf im Interview, und so verfestigte sich im spätberufenen Fan der Vorsatz, der Jahrhunderterscheinung Maria Callas mit einem Dokumentarfilm Gerechtigkeit zu verschaffen: Er zeigt das – bewusst subjektive – Bild einer zutiefst zerrissenen Frau, die ihr Leben ihrer schicksalhaften Begabung opferte und dabei unter vielen Begleiterscheinungen ihrer Karriere und ihres Ruhms schwer litt – vom Verzicht auf Familienleben und Kinder bis hin zur steten Verfolgung durch impertinente Paparazzi.

Im Film lässt der Regisseur Callas ausschließlich selbst sprechen – in zahlreichen Interviewausschnitten, in einer kleinen Auswahl aus 400 erhaltenen Briefen und nicht zuletzt natürlich in ihrem Gesang. Die Briefe sind in der Mehrzahl an Elvira de Hidalgo gerichtet, die Gesangslehrerin, die die Meisterschülerin seit ihrer Jugend in Athen begleitet hatte und ihr eine lebenslange Vertraute blieb. Die Arien, die Volf als repräsentativ und wesentlich auserkor, von Casta Diva über La Habanera bis zur Klage aus dem ersten Akt von La sonnambula, spiegeln innerhalb der Chronologie des Films ganz gezielt die jeweilige Lebensphase und -situation des Menschen Maria Callas wider, von den Anfängen ihres Aufstiegs zum Weltruhm bis zu den Schicksalsschlägen der Trennung von Aristoteles Onassis, dessen Heirat mit Jacqueline Kennedy und seines Todes 1975. Die Stücke sind mit Untertiteln versehen, um dem Zuschauer den gelebten Anspruch der Primadonna zu vermitteln, dass sie in jede ihrer Interpretationen ihr ganzes Selbst legt.

Die Bilder zum Ton stammen aus den unterschiedlichsten Quellen, vielfach handelt es sich um privates Filmmaterial, von Super 8 über 9 mm- und 16 mm-Film bis hin zu VHS-Dokumenten – darunter auch ein paar Bilder, die Grace Kelly von ihrer Freundin aufgenommen hat. Sie zeigen Callas bei offiziellen Presseterminen, bei der Ankunft an diversen Flughäfen ebenso wie vor und hinter der Bühne, im privaten Ambiente der Villa in Sirmione am Gardasee, die sie zeitweise mit ihrem Ehemann Giovanni Battista Meneghini bewohnte, in ihrer letzten Wohnung in Paris und natürlich auch anlässlich der schicksalhaften dreiwöchigen Kreuzfahrt, die sie 1959 auf Einladung von Aristoteles Onassis gemeinsam mit ihrem damaligen Mann an Bord der Yacht „Christina“ unternahm. Hier nahm die Beziehung zum milliardenschweren Reedereibesitzer Onassis ihren Anfang, die zum emotional bestimmenden Thema ihrer verbleibenden Lebenszeit werden sollte und über die sie im Gespräch mit Frost in verblüffender Offenheit Auskunft gibt.

Dass die Callas mit der hingebungsvollen Verkörperung jeder ihrer Rollen nicht nur dem damals verstaubten Genre der Oper neues Leben einhauchte – und damit ihre Konkurrentin mit der „Engelsstimme“, Renata Tebaldi, abhängte –, sondern auch zum Medienstar ihrer Epoche wurde, belegen zahlreiche Filmaufnahmen, die sie auf Augenhöhe mit Gesellschaftsgrößen, Hollywoodstars und Ikonen der 1950er- und 60er-Jahre zeigen: Jean Cocteau, Brigitte Bardot, Wallis Herzogin von Windsor, Juliette Gréco und viele andere kommen zu ihrem Pariser Debüt 1958. Später wird sie in einem Atemzug mit Marilyn Monroe, John F. Kennedy, Marlene Dietrich und Elizabeth Taylor genannt werden. Ihre Schönheit und ihre Ausstrahlung prädestinieren sie dazu, als erste Operndiva überhaupt den Rang eines internationalen Stars über die Musikwelt hinaus zu erlangen.

In noch nie gesehenen, sorgsam restaurierten und digitalisierten Aufnahmen, die ihre Provenienz und ihre Entstehungszeit aber dennoch nicht verhehlen, gelingt es Tom Volf, eine sehr private Maria Callas zu zeigen. Außerdem wurden Aufnahmen vom Pariser Debüt 1958 ebenso wie von der Londoner Inszenierung der „Carmen“ 1962 und von „Tosca“ 1964, die nur in schlechter Qualität in Schwarzweiß existierten, in HD-Qualität remastered und über eine Strecke von insgesamt 40 Minuten hinweg anhand erhaltener Photographien originalgetreu koloriert. Und auch die Tonqualität machte Volf zur Chefsache und arbeitete nicht etwa auf Basis bestehender Aufnahmen von Warner, sondern bearbeitete Originalmitschnitte, die aus dem Freundeskreis der Sängerin stammen.

Indem er den Zuschauern ihre Zerrissenheit zwischen ihrem Status als Superstar und ihrer Suche nach dem Glück als Frau und Mensch nahebringt, gibt Volf den wohl entscheidenden Hinweis auf das Geheimnis ihres Erfolgs weit über ihren Tod hinaus: „Sie war ganz einfach menschlich, aber in ihrer Kunst lag eine Magie, die über die rein stimmliche Perfektion hinausging.“

Foto:
© Verleih

Info:
Der Text ist dem Presseheft entnommen

Drehbuch und Regie
Tom Volf

Ausführende Produzenten
Emmanuelle Lepers
Gael Leiblang
Emmanuel Chain
Thierry Bizot

Koproduzent Tom Volf

Briefe gelesen von
Eva Mattes (Deutsche Synchronisation)
Fanny Ardant (Französisches Original)