f polanski2Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Mai 2018, Teil 8

N.N.

Paris (Weltexpresso) - Was hat Sie an dem Roman „Nach einer wahren Geschichte“ so gereizt?

Ich hatte von der Autorin Delphine de Vigan vorher noch nie ein Buch gelesen. Meine Frau Emmanuelle Seigner gab mir den Roman und meinte: „Lies ihn. Da ist vielleicht etwas, das dich interessieren könnte.“ Mir gefiel dann sofort diese Konfrontation der beiden Hauptfiguren. So eine Auseinandersetzung zwischen zwei Frauen hatte ich vorher noch nie gefilmt. Aber vor allem das Thema der Schreibblockade faszinierte mich. Es erinnert mich an meine eigenen Ängste, die mich als Regisseur heimsuchen, wenn ich einen Film beendet habe und der nächste noch nicht feststeht.


Im Roman von Delphine de Vigan findet man ja auch viele Ihrer Vorlieben wieder: das Spiel zwischen Realität und Fiktion, das Gefangensein und wie sich diese beiden Frauen gegenseitig manipulieren.

Nun, das sind Motive, die in meinen Filmen häufig vorkommen: die Konfusion zwischen Traum und Wirklichkeit in Der Mieter (Le Locataire, 1976) oder die Buchverfilmungen von Die Neun Pforten (The Ninth Gate, 1999) oder Der Ghostwriter (The Ghost Writer, 2010).


Wann dachten Sie an das Duo Emmanuelle Seigner und Eva Green?

f polanski3Bereits beim Schreiben des Drehbuchs. Mir war klar, dass Emmanuelle die Schriftstellerin spielen würde. Eva Green hatte ich niemals kennengelernt, kannte aber ihre Filme. Besonders gefiel sie mir in Sin City II: A Dame to kill for (2014) von Roberto Rodriguez. Eva ist ebenso schön wie angsteinflößend. Sie wäre perfekt in der Rolle der Stiefmutter in Schneewittchen.


Wie sind Sie bei der Adaption des Buches vorgegangen?

Der Roman ist sehr umfangreich und doch gibt es nur wenige konkrete Szenen. Es geht mehr um die Konsequenzen von Ereignissen als um die Ereignisse selber. Vieles wird nur skizziert. Dieser Literaturstil erschwert eine Adaption. Das war mir bewusst. Er steht im Gegensatz zu anderen Werken, aus denen man sich nur gewisse Passagen herausgreift, die man dann verfilmt.


Sie haben das Drehbuch gemeinsam mit Olivier Assayas geschrieben. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit?

Olivier Assayas hatte zwei Filme gedreht, in denen sehr moderne Frauen im Zentrum stehen, die mir vom Typ her auch für meine Frauenfiguren vorschwebten. Ich wusste, dass er schnell arbeiten kann. Er ist auch einer der wenigen französischen Regisseure, der fast jedes Jahr einen Film dreht. Und außerdem begann Oliver seine Karriere als Drehbuchautor. Daher war ich mir sicher, dass er mir helfen könnte.


In den beiden letzten Filmen von Assayas finden sich ja ähnliche Themen wie in NACH EINER WAHREN GESCHICHTE. In Die Wolken von Sils Maria (Clouds of Sils Maria, 2014) geht es um Manipulation und die Frage nach der Rolle des Künstlers und in Personal Shopper (2016) um ein Klima der Angst...

Das sind in der Tat zwei Filme, die mir besonders gut gefallen haben.


Wie haben Sie zusammengearbeitet?

Olivier hat sich sofort an die Arbeit gemacht und aus dem Roman alles herausgefiltert, was sich für ein Drehbuch eignet. Wir befanden uns auf derselben Wellenlänge. Das war sehr angenehm. Ab einem gewissen Moment haben wir dann per Skype weitergearbeitet. Es war Sommer, wir waren beide mit unseren Familien unterwegs und haben dann per Bildschirm viel miteinander kommuniziert. Unsere Texte schickten wir uns per Mail.


Im Roman geht es ja um den Gegensatz zwischen Autoren, die sehr in der Realität verhaftet bleiben und denen, die mehr aus ihrer Fantasie schöpfen...

Wir haben diese Kontroverse beibehalten, aber in eher bekömmlichen Dosen für einen Kinozuschauer: Dafür haben wir uns sehr mit diesem geheimen Buch beschäftigt, das die Figur der Elle von der Autorin verlangt. Dabei geht es ja um das Familiendrama der Autorin.


Elle ist eine interessante Figur. Schon bei ihrem ersten Auftritt mit der leicht verzerrten Stimme aus dem Off setzen Sie auf Verwirrung beim Zuschauer...

Das ist ja das Konzept im Buch. Existiert sie wirklich, oder ist sie nur eine Wahnvorstellung? Es ist unmöglich, das mit hundertprozentiger Sicherheit zu sagen.


Aber legen Sie nicht ein paar Indizien aus, die eher für die Wahnvorstellung sprechen?

Die Figur der Elle musste ambivalent sein. Das war die Herausforderung beim Regieführen. Ich musste Zweifel und Unsicherheit säen. Diesen Aspekt habe ich auch all meinen Mitarbeitern vermittelt.


Je mehr die Geschichte fortschreitet, desto mehr ahmen beide Frauen einander nach, oder?

Genau diesen Umstand mochte ich an dem Buch. Das war nicht leicht, denn Eva und Emmanuelle ähneln sich überhaupt nicht.


Aber dann entsteht zwischen beiden plötzlich eine große Intimität?

Ich wollte die Grenzen bis zur Homosexualität ausloten, ohne dass sie diese Grenze überschreiten.


Wollten Sie auch wieder mit dem Thema der Schizophrenie spielen?

Es ist keine Obsession von mir, aber das Thema interessiert mich. Ich habe das ja in Ekel (Repulsion, 1965) mit Catherine Deneuve schon einmal filmisch behandelt als etwas, das dem Schaffungsprozess nahekommt.


Kann es sein, dass Sie diesmal weniger mit Spannungselementen arbeiten als in Ihren früheren Thrillern?

Wie wollen Sie das vergleichen? Das kann man nicht so verallgemeinern. Ich bin sehr eklektisch in meinen Entscheidungen. Was für den einen Film richtig ist, muss bei einem anderen Film nicht mehr richtig sein.


Sie kippen gegen Ende dann fast in den Horrorfilm. Viele Kritiker haben dabei an Misery (1990) von Rob Reiner nach Stephen King gedacht...

Sie haben definitiv Recht. Delphine de Vigan dachte an Stephen King, als sie ihr Buch schrieb.


Sie haben öfter Literatur verfilmt. Wie wichtig ist Ihnen dabei die Werktreue?

Die ist entscheidend. Wenn ich ein Werk adaptiere, dann möchte ich die Absichten des Autors in Bilder übersetzen. Schon als Kind war ich enttäuscht, wenn ich bei Verfilmungen nicht mehr die Geschichte vorfand, die ich liebte. Viele Figuren, die ich mochte, waren verschwunden, andere kamen hinzu. Das machte mich verrückt. Und so habe ich mir geschworen: Falls ich eines Tages Filmemacher werde, dann werde ich die Bücher, die ich verfilme, nicht verraten. Könnte man sich denn eine „Macbeth“-Adaption ohne Hexen vorstellen?


Warum haben Sie so viele Literaturverfilmungen gedreht?

Meine ersten Filme basierten auf Originaldrehbüchern, die ich geschrieben hatte. Später wurde ich faul. Ich habe niemals behauptet, schriftstellerisches Talent zu besitzen. Ich leide sehr, wenn ich schreibe. Ich weiß aus Erfahrung, dass es nichts Schrecklicheres gibt als eine leere Seite. Man fühlt sich dann schon besser, wenn man irgendetwas zu Papier gebracht hat.


Und doch können Sie sich über diesen Schmerz lustig machen. Es gibt in Ihrem Film viele Einstellungen, in denen Delphine regungslos vor ihrem Computer sitzt. Das ist fast schon komisch...

Ich kenne solche Situationen und dieses Milieu einfach. Als ich zusammen mit meinem Drehbuchautor Gérard Brach Ekel schrieb, fragten uns danach viele Journalisten, ob wir vorher viele psychiatrische Kliniken aufgesucht hätten. Dabei hatten wir keine einzige besucht. Die Szenen entstanden einfach ganz instinktiv und kamen dann von alleine. Wie aber entsteht der Instinkt, wenn nicht durch die Fähigkeit zu beobachten? Sagen wir es einmal so: Ich kann beobachten und drücke das in meinen Filmen aus.


 Es wirkt schon fast wie eine Karikatur, wie Sie die künstlerischen und literarischen Zirkel beschreiben...

Es sind alles Kleinbürger. Dabei vergesse ich nicht, dass ich auch einer bin. Sie übrigens auch...


Elle hält nicht viel von Delphines neuem Buchprojekt. Dennoch sagt sie ihr: „Deine Verleger werden es lieben und gut vermarkten, weil du davor einen so erfolgreichen Roman geschrieben hast...“

Jeder Künstler steht eines Tages vor diesem Dilemma: Macht er eine Sache, die sich gut verkauft und prostituiert sich ein wenig oder versucht er sich an etwas Ambitioniertem, das kommerziell weniger Erfolg haben wird, ihm aber eine größere Befriedigung verschafft? Man ist laufend zwischen diesen beiden Begierden hin und her gerissen.


Ist Ihnen das auch passiert?

Natürlich.


Warum haben Sie den drei Regisseurinnen Brigitte Rouän, Noémie Lvovsky und Josée Dayan eine Rolle gegeben, ebenso wie der Journalistin Elisabeth Quin?

Damit die Szenen einfach glaubhafter wirken. Sie kommen aus diesem Milieu und kennen es. Ich finde Elisabeth Quin perfekt, wenn sie Emmanuelle interviewt. Ich musste mich nicht besonders ins Zeug legen, damit sie gut spielt. Sie ist einfach so.

Und wie haben sie auf das Rollenangebot reagiert?

Sie waren überrascht, aber haben die Rollen angenommen. Außerdem versicherten sie mir, sie hätten das für keinen anderen Regisseur gemacht. Das schmeichelte mir.


Vincent Perez ähnelt dem Lebensgefährten von Delphine de Vigan. War das Absicht?

Ich wollte schon lange mit Vincent arbeiten. Er ist ein sehr guter Schauspieler und ein schöner Mann. Ich habe ihn gerne gefilmt.


War es am Set manchmal anstrengend mit zwei Schauspielerinnen in denHauptrollen?

Ehrlich gesagt hatte ich Angst, dass sie sich mal an die Gurgel gehen könnten. Aber das Gegenteil war der Fall: Sie haben sich wunderbar verstanden und sehr effizient zusammengearbeitet.


Hat sich das Drehbuch während der Dreharbeiten noch verändert?

Auch wenn ich versuche, ein Drehbuch so wasserdicht wie möglich zu schreiben, um dem Team und der Produktion nicht so viele Probleme zu bereiten, entwickelt sich ein Drehbuch immer. Für mich ist es wie eine Gebrauchsanleitung, ein Ratgeber für alle Beteiligten.


Wie verläuft Ihre Zusammenarbeit mit Pawel Edelman, mit dem Sie seit Der Pianist (The Pianist, 2002) zusammendrehen?

Wenn ich mich mit jemandem bei der Arbeit gut verstehe, versuche ich, diese Zusammenarbeit weiterzuführen. Pawel und ich stehen uns sehr nah. Wir sprechen dieselbe Sprache. Das Licht und das visuelle Konzept macht Pawel. Ich entscheide, was im Bildrahmen zu sehen ist, was ich dort sehen möchte und wo die Kamera steht.


Diesmal haben Sie sich für eine subjektive Kamera entschieden...

Die Erzählung erfolgt in der Ich-Form. Da war es offensichtlich. Die Schwierigkeit bestand nur darin, diesen Stil ganz durchzuziehen.


Wie arbeiten Sie mit Alexandre Desplat zusammen? Es ist ja Ihre vierte Zusammenarbeit.

Wir verstehen uns gut. Wenn die Dreharbeiten beendet sind, gehe ich in sein Studio. Wir müssen dabei nicht viel miteinander reden oder viel Zeit verbringen. Er macht ein paar Probeaufnahmen und lässt mich dann die Stücke hören, wenn er sie etwas ausführlicher bearbeitet hat. Dann nehmen wir auf. Das geht sehr schnell.


Sie haben diesmal sehr schnell gearbeitet. Zwischen dem Schreiben des Drehbuchs und der Premiere in Cannes verging weniger als ein Jahr...

Wir wurden wirklich erst in letzter Sekunde fertig. Die Dreharbeiten endeten am 27. März und am 27. Mai waren wir in Cannes. Der Produzent wollte es so, und so musste ich etwas „Vorführbares“ abliefern. Daher mussten wir im Schnitt mit einem ganz anderen Tempo arbeiten. Ich konnte also keinen „fine cut“ (Feinschnitt) abliefern, wie man in Hollywood sagt. Ich habe den Film erst nach dem Festival so geschnitten, wie ich ihn haben wollte.


Bereuen Sie das?

Vielleicht. Wer NACH EINER WAHREN GESCHICHTE in Cannes gesehen hat und jetzt anschaut, sieht nicht denselben Film. Die Cannes-Fassung war eine Art Rohschnitt.


Wollen Sie immer noch den Film über die Dreyfus-Affäre drehen nach dem Roman von Robert Harris?

Auf jeden Fall. Es ist ein wichtiges und aufregendes Projekt.


Foto:
© Verleih

Info:
Das Interview ist ein Abdruck aus dem Presseheft.

BESETZUNG
Delphine    Emmanuelle Seigner
Elle            Eva Green
François    Vincent Perez
Karina       Josée Dayan
Presseagentin           Camille Chamoux
Die Dokumentaristin Brigitte Roüan
Der Nachbar             Dominique Pinon
Ausstellungsleiterin   Noémie Lvovsky
Die Journalistin         Elisabeth Quin