Bildschirmfoto 2018 05 24 um 12.43.54Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 24. Mai 2018, Teil 4

Filmbewertungsstelle Wiesbaden

Frankfurt am Main/Wiesbaden  (Weltexpresso) - 25 Jahre nach dem Tod des Filmemachers Martin Kirchberger hat Thomas Frickel diesen Film über seinen Freund und Kollegen gemacht. Diese Zeit brauchte er, um eine Form zu finden, die zugleich Nähe und Distanz möglich macht. Denn WUNDER DER WIRKLICHKEIT ist offensichtlich ein Freundschaftsdienst, und dies macht Frickel gleich von Anfang an dadurch deutlich, dass er in der Ich-Form beginnt zu erzählen und so sein eigenes Verhältnis zu seinem Protagonisten offenbart.

Der Film beginnt mit dem tragischen Ende von Martin Kirchberger, der am 22. Dezember 1991 während der Dreharbeiten in einem Flugzeug abstürzte, bei dem neben ihm 27 andere Menschen ums Leben kamen. Ein Unfall, dessen Ursache offensichtlich die Dreharbeiten während des Fluges waren, wie im Film spätestens dann deutlich wird, wenn Frickel aus dem Untersuchungsbericht zitiert.

Hier stellt sich die Frage, was die Kunst oder besser der Künstler darf, einmal ganz anders, und es gehört zu den Qualitäten des Films, dass Frickel nicht nur die verschiedenen Aspekte dieses schwersten Unfalls, der sich in Deutschland je bei Dreharbeiten ereignete, durch Befragungen von Zeitzeugen, Verwandte und Freunde der Gestorbenen und eines der Überlebenden und Zeitdokumente wie die letzten Filmaufnahmen, die wenige Momente vor dem Absturz gemacht wurden, aufzeigt. Darüber hinaus macht der Film auch deutlich, warum Kirchberger, der in seiner Kunst auch körperlich oft mit vollem Einsatz an die Grenzen ging, sich und sein Team mit solch einer extrem leichtsinnigen Aktion in Gefahr bringen konnte.

Dazu zeichnet Frickel die künstlerische und private Biografie von Kirchberger nach, indem er dessen Arbeiten als Aktionskünstler, Zeichner, Maler, Musiker und Filmemacher in Film- und Tondokumenten vorstellt und Zeitzeugen davon erzählen lässt, unter welchen Bedingungen sie entstanden. Nebenbei liefert er dabei auch ein kleines Porträt der Künstlerszene von Rüsselsheim in den 80er Jahren, bei dem etwa ein damaliger Kulturpolitiker davon erzählt, wie schwer es war, die provokativen Arbeiten von Kirchberger gegen die herrschende konservative Grundstimmung im Provinzstädtchen zu ermöglichen.

Ebenso erzählt Frickel von den Schwierigkeiten Kirchbergers, sich als unabhängiger und unbequemer Filmemacher in der Filmbranche durchzusetzen. Die von ihm mitgegründete Künstlergruppe „Cinema Concetta“ war alles andere als erfolgreich – und tatsächlich war der Film, bei dessen Dreharbeiten Kirchberger dann umkam, der erste, für den er Filmfördergelder bewilligt bekam. Dass er sich damit dann auch die Dreharbeiten im Flugzeug, bei denen er dann starb, erst leisten konnte, ist eine der vielen bösen Ironien, die Frickel in seiner Dokumentation ausarbeitet. Er feiert auch den absurden Witz, der die Arbeiten von Kirchberger auszeichnet, und schließlich inszeniert er selber dessen letztes unvollendetes Werk „Resteessen“, von dem es nur ein Drehbuch gab.

Frickel ließ auf der Feier zur Verleihung des hessischen Filmpreises (!) Bedürftigen in einem Hinterzimmer die Reste des Festessens auftischen, wobei eine offiziell wirkende Autoritätsperson in herrischem Ton versuchte, ihnen Tischmanieren beizubringen. Frickel hat hier nicht nur Kirchbergers Methode der Verfremdung von Wirklichkeit kongenial umgesetzt, sondern er zeigt auch, wie aktuell dessen Inhalte und dessen Kunst heute noch sind. Und so wird er mit seinem Film seinem Freund und dessen Werk gerecht, wofür seinem Film das Prädikat „besonders wertvoll“ zugesprochen wird.

Foto:
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Info:

Buch und Regie
Thomas Frickel

Kamera
Voxi Bärenklau Thomas Frickel

Schnitt
Torsten Truscheit

Animationen
Lutz Garmsen