f vom ende einer geschichte 11Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Juni 2018, Teil 6

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Überlegt man es sich nach dem Anschauen des Films so recht, dann weiß und fühlt man, daß man den dem Film zugrundeliegenden Roman überhaupt nicht verfilmen kann. Denn das Trügerische der Erinnerung, das insbesondere die Hauptperson Tony Webster (Jim Broadbent) überfällt, läßt sich in Sprache gut ausdrücken, wird aber auf der Leinwand viel zu gegenständlich, so daß genau das Flirrende und Changierende der eigenen Erinnerung verloren geht und alles eindeutig wird, womit aber die Geschichte flöten geht.

Dabei hat sich Regisseur Ritesh Batra große Mühe gegeben, über ein ausgezeichnetes Schauspielerensemble das Interesse am Film und dessen Qualität hoch anzusiedeln. Und uns ist es zu billig, dieses ungute Gefühl, das sich beim Verfolgen des Geschehens vor unseren Augen einstellt, allein auf das Drehbuch von Nick Payne zurückzuführen, der die einigermaßen geniale Vorlage von Julian Barnes in Filmform bringen mußte. Der Roman von Barnes hat im Jahr 2011 mit Recht die höchste literarische Auszeichnung Englands, ach was, des ehemaligen Commonwealth errungen gerade wegen der Uneindeutigkeit, mit der sich Tony Webster einerseits ganz konkret erinnert, dann andererseits feststellen muß, auf schwankendem Boden zu stehen und das sichere Fundament der Erinnerung als eigene Fälschung zu erkennen, wobei das Warum, warum er die Wahrheit nicht ertragen konnte, das bleibt, was den Leser/ den Zuschauer fesselt, denn auch wir wollen Gewißheit – und bekommen sie nicht. Im Roman auf jeden Fall nicht, weshalb er spannend bleibt und uns die angebliche Wahrheit im Film nicht mehr interessiert.

Die Person, um die das Geschehen kreist, ist tot, ist schon sehr lange tot. Es ist der bester Freund des jungen Tony, doch muß man leider sagen, es war der beste Freund, denn Adrian Finn (Joe Alwyn) hatte sich in jungen Jahren umgebracht. Das alles kommt wieder hoch, als der nun alte Tony, der von seiner Frau geschieden ist und dessen Tochter ein Kind erwartet, von einer Erbschaft hört. Ausgerechnet ihm hat die Mutter seiner ersten Liebe Veronika ein Tagebuch vermacht. Diese Sarah Ford (Emily Mortimer) hatte ihre guten Gründe, doch kann dies Tony erst einmal nicht erkennen, denn deren Tochter Veronica Ford (Charlotte Rampling) will das Tagebuch nicht herausgeben.

Auf jeden Fall ist es mit dem übersichtlichen Leben des Tony vorbei, der ohne großen Aufwand ein kleines Geschäft in London betreibt, wo er sich auf gebrauchte Leica-Kameras spezialisiert hat und der Tochter Susie (Michelle Dockery) wegen mit seiner geschiedenen, recht patenten Frau Margaret (Harriet Walter), die Anwältin ist, den Kontakt hält. Die allerdings hat sich gerade ein Bein gebrochen und fällt als Begleitung für die Schwangere beim Geburtsvorbereitungskurs aus, weshalb Tony das übernehmen muß. Seine Ex-Frau, die Anwältin zieht er nun auch zu Rate, was er machen solle, wenn seine Jugendliebe Veronika ihm das Tagebuch nicht herausgibt.

Natürlich haben längst die Rückblenden eingesetzt, die uns vorbereiten auf das, worum es geht, was nämlich den Schleier der Erinnerung – diesen so zutreffenden und so poetischen Begriff und Buchtitel hat Professor Johannes Fried, Mediävist, gewählt, als er unter dem Schwert der Zuverlässigkeit von Erinnerung über die problematischen Voraussetzungen der Geschichtswissenschaft schrieb – also den Schleier der Erinnerung zu heben und zu schauen, was denn nun darunter liegt. Die beiden jungen Tony und Veronica werden von Billy Howle und Freya Mavor verkörpert. Und diese Rückblenden sind zwar interessant, aber das Hin und Her ist so willkürlich, daß sich nicht Klärung einstellt, sondern eher Unruhe. Dies tut dem Zuschauen nicht gut, auch wenn die Unruhe, die nach und nach den zuvor so lethargischen und im Alltagstrott lebenden Tony gut tut, ihn aus seinem Kokon herausschält und wieder lebendig werden läßt.

Was nun damals passierte, muß hier ein Geheimnis bleiben, ist es doch der rote Faden des Films. Auf jeden Fall ist in dieser Fassung nicht die Vergangenheit das Hauptmotiv, sondern die Masse der Szenen spielt im Heute, mit den beiden Stars, die aber ihre Qualitäten nicht zeigen können, da die Vielschichtigkeit verloren geht, weil die Vergangenheit doch nicht ernst genug genommen wird – im Film.

Fotos:
Tony Webster (JIM BROADBENT) und Veronica Ford (CHARLOTTE RAMPLING) reden über ihre Vergangenheit. © Wildbunch Germany

Tony Webster (BILLY HOWLE) beim gemeinsamen Abendessen mit Veronica (FREYA MAVOR), ihrem Vater David (JAMES WILBY), ihrem Bruder Jack (EDWARD HOLCROFT) und ihrer Mutter Sarah Ford (EMILY MORTIMER). Copyright Wildbunch Germany


Info:

Ein Film von Ritesh Batra nach dem gleichnamigen Roman von Julian Barnes mit Jim Broadbent, Charlotte Rampling, Harriet Walter, Michelle Dockery, Emily Mortimer u.v.m.