Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen
f wim wenders papst film 102 v gseagaleriexlSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. Juni 2018, Teil 11

N.N.

Rom/Paris/Berlin (Weltexpresso) - Herr Wenders, warum nun ein Film über den Papst?

Es wäre mir wohl nie in den Sinn gekommen, oder vermessen erschienen, einen Film mit dem Papst als Protagonisten machen zu wollen. Ich könnte sagen, es war der Papst, der mich ausgesucht hat, aber natürlich war er es nicht selbst, sondern die Kommunikationsabteilung des Vatikans. Ich war jedenfalls ziemlich überrascht, als Ende 2013 ein Brief mit dem Briefkopf des Vatikans in unserem Büro eintraf, mit der Frage, ob ich bereit wäre, nach Rom zu kommen und über ein mögliches Projekt zu sprechen. Ich habe geantwortet, dass ich mich sehr geehrt fühlen würde.

Dann haben wir auch bald geredet. Das Projekt war völlig offen, ich hatte tatsächlich Carte Blanche. Ich war noch nicht sofort frei und musste natürlich erst mal ein Konzept schreiben. Bis dann auch die Finanzierung gesichert war, die einen Teil des Budgets und der Erlöse für ein wohltätiges Projekt des Papstes selber vorsah, hat es dann noch eine ganze Weile gedauert. Wir haben letztendlich Anfang 2016 mit den Dreharbeiten begonnen.


Wie verliefen diese Dreharbeiten im Vatikan, sind Sie auf Schwierigkeiten gestoßen?

Die Zusammenarbeit mit dem Vatikan war überraschend einfach und problemlos. Wir hatten insgesamt viermal die Möglichkeit, mehrere Stunden mit Papst Franziskus zu drehen und bekamen zudem einen exklusiven Zugang zu dem unglaublichen Archiv des Vatikans. Nicht ganz so einfach war es, vier verschiedene und geeignete Drehorte im Vatikan zu finden. In einem Raum, den ich besonders mochte, stellte sich heraus, dass der Ton dort furchtbar klang und wir ein gewaltiges Echo hatten. Andere Orte, an denen wir hätten drehen können, waren definitiv zu klein... Aber das war das Einzige, was uns wirklich Schwierigkeiten bereitet hat – die Wahl zwischen wunderschönen, aber gewaltigen Räumlichkeiten im Vatikan und zu kleinen Räumen, die nicht genügend Platz für unser Kamerateam boten.


Sie sprachen bereits das Konzept für PAPST FRANZISKUS – EIN MANN SEINES WORTES an. Fiel es Ihnen leicht, Papst Franziskus in den Mittelpunkt dieses Konzeptes zu stellen?

Ich habe nach einigem Überlegen vorgeschlagen, nicht einen biografischen Film über Papst Franziskus zu machen, sondern einen Film mit ihm. Der einzigartige Zugang zum Vatikan erlaubte es, eine Plattform zu schaffen, mit deren Hilfe der Papst direkt mit den Zuschauern über alle seine Themen und Anliegen kommunizieren konnte, in dem er nicht mir Frage und Antwort stehen würde, sondern Auge in Auge mit der ganzen Welt sein könnte, als ob er jedermanns Fragen beantworten würde. Es ging mir sozusagen nicht um ihn als Person, sondern um seine Ideen.

Die Tatsache, dass so ein Film bisher noch nie gemacht wurde, ist charakteristisch für seine Offenheit gegenüber allen Menschen, nicht nur gegenüber Christen, sondern auch für Menschen anderer Religionen und für die sozialen Probleme unserer Welt, insbesondere auch die immense Herausforderung der drohenden Klimakatastrophe. Damit ist er einzigartig. Ich bin der festen Überzeugung, dass Franziskus nicht zu einem früheren Zeitpunkt zum Papst hätte gewählt werden können. So ein Film war also eine historisch einmalige Chance, und ich war mir der Verantwortung, die damit einherging, sehr bewusst. Das war mitunter eine große Last, die auf meinen Schultern lag. Es hat mir ja keiner gesagt, was ich tun sollte. Die Freiheit, die man mir ließ, war zwar fantastisch, aber manchmal wünschte ich mir schon, es hätte ein paar feste definierte Parameter gegeben. So musste ich mich völlig auf meinen eigenen Instinkt verlassen.


Aus welchem Grund haben Sie sich entschieden, einige Reenactment-Szenen vom Leben des Heiligen Franz von Assisi zu drehen?

Es war mir sehr wichtig, dem Zuschauer zu erzählen, warum diese Namenswahl so wichtig war. In der Geschichte der Kirche hatte noch kein Papst den Namen Franziskus angenommen. Damit war ein enormes Vermächtnis verbunden! Franz von Assisi steht für eine grundlegende Erneuerung der Kirche, für eine radikale Zuneigung zu den Armen und Ausgestoßenen und für ein völlig anderes Verhältnis zur Natur. Und genau das sind die Eckpfeiler des Pontifikats von Papst Franziskus. Also wollte ich die Geschichte von Franz von Assisi unbedingt in den Film einbinden, zumindest in einigen Grundzügen. Nach Sichtung aller Filme über das Leben des Heiligen haben wir uns letztendlich entschieden, diese Szenen selbst zu drehen. Und das ging natürlich nur in oder um Assisi. Ich wollte dafür eine ganz spezielle Aura schaffen und in jedem Fall nicht mithilfe moderner Technik. Also haben wir diese Szenen mit einer originalen Handkurbelkamera aus den 1920er-Jahren gedreht. Das wirkt eigentümlich authentisch, und gerade die Nähe zur Natur kommt in diesen „historisch“ anmutenden schwarz-weißen Aufnahmen glaubhaft herüber, denke ich. Auf jeden Fall haben die Präsenz und der Geist des Heiligen Franziskus unseren Film sehr bereichert.


Neben diesen Reenactment-Szenen und dem Archivmaterial des Vatikans sind vor allem die Interviews mit Papst Franziskus das tragende Element des Filmes. Wie wollten Sie deren Bedeutung filmisch umsetzen?

Ich wollte keine „Interviews mit dem Papst“ führen. Ich selbst wollte im Film weder als Interviewer zu sehen sein, noch sollte meine Stimme als Fragender zu hören sein. Das hätte unseren Film zu einem sehr konventionellen Projekt gemacht, was eben nicht der Offenheit von Papst Franziskus gerecht geworden wäre. Er sollte sich direkt an die Zuschauer wenden können und mit jedem, der den Film sieht, interagieren. Das war der Kernpunkt meines Konzeptes. Um das verwirklichen zu können, habe ich ein Interrotron benutzt, eine Art umfunktionierten Teleprompter. Auf dem hat Papst Franziskus mein Gesicht gesehen, als ob ich vor ihm säße, aber er hat so auch „durch mich hindurch“ direkt in die Kamera geschaut. Das hat sehr gut funktioniert und Papst Franziskus hat sich sehr schnell darauf eingestellt.


Wer hat darüber entschieden, welche Fragen dem Papst gestellt werden?

Die Fragen habe ich zusammen mit dem Produzenten des Films, David Rosier, erarbeitet. Am Ende waren es etwas mehr als fünfzig Fragen, die ich dem Papst in den insgesamt vier ausgiebigen Drehs gestellt habe. Die Herausforderung war dabei, universelle Fragen zu finden, die viele Menschen dem Papst stellen würden.

Das ursprüngliche Konzept sah sogar vor, dass wir diese Fragen tatsächlich durch andere hätten stellen lassen. Wir haben Hunderte von Menschen, darunter auch ein paar berühmte, gebeten, Fragen an den Papst zu formulieren, und wir haben sie dabei gefilmt. Während des Schnitts stellten wir dann aber fest: Wir brauchen diese Fragen nicht wirklich, weder meine noch die von anderen. Die Antworten des Papstes sprachen viel besser für sich selbst.


... und wie beurteilen Sie Papst Franziskus als Mensch?

Lange Zeit hatten wir keinen Titel für den Film. Nachdem wir das Archivmaterial gesichtet hatten und die ersten Gespräche mit ihm gefilmt hatten, hatte ich das Gefühl, ihn immer besser zu kennen. Den Papst in Flüchtlingslagern und in Gefängnissen mit vielen Menschen interagieren zu sehen, vor der UN-Vollversammlung oder vor dem amerikanischen Kongress sprechen zu hören, gab mir das Gefühl: Hier steht ein Mann, der zu seinem Wort steht. Und dann hatte ich beim Schneiden plötzlich die Idee für den Titel: EIN MANN SEINES WORTES. Genau das ist Papst Franziskus für mich – einer, der zu seinem Wort steht, der das lebt, was er predigt. Und nicht nur das. Mir wurde auch immer mehr bewusst, wie mutig er ist, geradezu furchtlos. Für mich sind es vor allem sein Mut und die Ehrlichkeit in seinem Verhalten, die mich tief beeindruckt haben.


Glauben Sie wirklich, dass Papst Franziskus zu dem steht, was er sagt?

Ich habe keinen Grund, an ihm oder am Titel des Films zu zweifeln. Es ist nicht einfach, in unserer Zeit wirklich das zu tun, was man predigt. Wir sind es gewohnt, dass Menschen, allen voran Politiker, eben nicht zu dem stehen, was sie uns glauben machen wollen. Aber gerade das ist für mich die Bedeutung unseres Filmes. Mit Papst Franziskus haben wir nicht einen Mann vor uns, der in eigener Sache unterwegs ist, sondern einen, der ganz und gar dem Allgemeinwohl verpflichtet ist. Der nicht nur Christen oder Katholiken repräsentiert, sondern die Menschheit, und die Menschlichkeit. Davor habe ich den allergrößten Respekt.


Was ist für Sie das wichtigste Thema des Films – Migration, Konsumverhalten, soziale Gerechtigkeit...?

Den Papst beschäftigen viele Themen – Umwelt und Klimaschutz, Gerechtigkeit, soziales Gleichgewicht, Armut, Migration und die Probleme von Flüchtlingen... Aber alle diese Themen lassen sich vielleicht zu einem einzigen zusammenfassen: das „Allgemeinwohl“. Das ist wirklich das beste Wort, das mir dazu einfällt. Dafür steht in unserer heutigen Welt niemand mehr. Jeder verfolgt seine eigene Agenda und seine eigenen politischen Interessen. Der Papst hingegen steht für den sozialen Ausgleich zwischen den 20 Prozent der Menschheit, die über 80 Prozent des Reichtums dieser Welt verfügen und die anderen 80 Prozent von dem leben lassen, was übrig bleibt.


Warum sollten sich Menschen PAPST FRANZISKUS – EIN MANN SEINES WORTES ansehen – ist das wirklich ein Film für jedermann?

Das war von Anfang an klar: Wir wollten keinen Film für Katholiken machen, nicht einmal nur für Christen. Das ist ein Film für jeden – denn es geht um uns alle, um jedermanns Probleme und um Themen, die jeden von uns betreffen. Der Vatikan hat meinen Ansatz sofort unterstützt, dass Menschen jeglicher Konfession oder Religion durch diesen Film angesprochen werden sollen.


Trifft das auch auf diejenigen zu, die der Religion eher skeptisch oder offen kritisch gegenüberstehen?

Vielleicht ist es sogar für jene, die mit Religion nichts am Hut haben, viel wichtiger, diesen Film zu sehen. Der Film kann meines Erachtens dabei helfen, Vorurteile abzubauen und Missverständnisse auszuräumen. Die Offenheit des Papstes und seine Einstellung, „niemals bekehren“ zu wollen, können meiner Meinung nach auch jene Menschen berühren, die sich normalerweise bei vielen seiner Themen nicht angesprochen fühlen würden.

Ich denke, es ist wichtig, die Welt im Ganzen zu betrachten und vor allem unsere Unterschiede nicht negativ zu bewerten oder zu besetzen. Das ist wirklich eine besondere Eigenschaft, an der uns Papst Franziskus durch diesen Film teilhaben lässt. Ihn interessiert nicht, woher die Menschen kommen oder woran sie glauben. Es ist also auch für Kritiker der Kirche völlig ungefährlich, sich diesen Film anzusehen.


Haben Filme für Sie so einen großen Einfluss auf den Einzelnen und die Geschehnisse in der Welt?

Ein Film allein wird die Welt nicht verändern. Aber er kann sicher dazu beitragen, die Bilder zu verändern, die wir in uns tragen, und die Art, wie wir die Welt betrachten.

Meine Hoffnung ist aber durchaus, dass Papst Franziskus Einfluss auf viele Menschen und auf das Weltgeschehen hat und dass dieser Film mit ihm auch in uns etwas auslöst und neue Bilder schafft. So wie uns Papst Franziskus im Film direkt in die Augen schaut und jeden Einzelnen von uns anspricht, kann man sich diesem Wunsch schwer entziehen.

Nein, Filme ändern die Welt nicht, aber ich glaube, das Vermächtnis dieses Papstes kann es tun. Es gibt so viele Menschen mit guten Absichten auf dieser Welt, Christen, Buddhisten, Muslime, auch Menschen ohne Konfessionszugehörigkeit... jeder von ihnen, so glaube ich, kann durch diesen Film beflügelt sein, neue Bilder von einer anderen Welt in sich zu finden.


Ist es das, was die Zuschauer vom Film mit nach Hause nehmen sollen?

Als Regisseur kann ich den Zuschauern nicht sagen, was sie aus dem Film mit nach Hause nehmen sollen. Das muss der Film schon selbst beantworten. Was ich aber aus den Reaktionen derjenigen, die den Film bisher gesehen haben, erkenne, ist, dass sie alle tief berührt waren. Berührt von der Wahrheit, die der Papst in seinen Antworten und Gedanken ausdrückt. Selbst ein paar durchaus ungläubige und hartgesottene Zuschauer hatten Tränen in den Augen.

Ich wünsche mir, dass die Zuschauer mit einem Gefühl der Hoffnung und einer Sehnsucht nach einer besseren Welt aus dem Film gehen.


Foto:
© Verleih

Info:
Das Interview ist ein Abdruck aus dem Presseheft

BESETZUNG

Rolle                                 Schauspieler
Franz von Assisi               IGNAZIO OLIVA
Erster Glaubensbruder     CARLO FACONETTI
Zweiter Glaubensbruder   DANIELE DE ANGELIS