Bildschirmfoto 2018 07 07 um 13.37.14Als Hommage an den großen Regisseur Claude Lanzmann, verstorben am 5. Juli, zeigt ARTE den Monumentalfilm mit 264 Minuten heute Abend

Hanno Lustig

Saarbrücken (Weltexpresso) - Elf Jahre reiste Claude Lanzmann durch Europa und sprach mit Zeitzeugen des Holocaust - mit Opfern und Tätern. Entstanden ist ein eindringlicher Dokumentarfilm (1985), der bis heute als wichtigste Auseinandersetzung mit der Judenvernichtung gilt. Sein Lebenswerk “Shoah” gilt als Meilenstein in der filmischen Auseinandersetzung mit dem Genozid an den Juden. Nicht vergessen soll werden, daß  Lanzmann auch in der Résistance gegen die Nazis kämpfte.

In der Reihe “Vier Schwestern” widmet er zudem vier Frauen, mit denen er ursprünglich für “Shoah” lange Gespräche geführt hatte, jeweils einen eigenen Dokumentarfilm. Weltexpresso hatte diese bei Fernsehwiederholungen  besprochen. 

Claude Lanzmann: „Mein Anliegen war es, einen Film zu drehen, der dieses wichtigste Ereignis der Zeitgeschichte in voller Größe rekonstruiert. Es sollte ein Werk werden, das sowohl die Geschichte dokumentiert als auch über die Geschichte reflektiert und so dem Ereignis gerecht wird. Statt mich auf bestimmte Kapitel oder Episoden der Judenvernichtung in Europa zu beschränken, wollte ich den Genozid insgesamt und in seinen gigantischen Ausmaßen erfassen. Ich wollte seine bis in die Gegenwart wirksamen, bis heute noch nicht voll aufgedeckten und ergründeten Folgen deutlich machen.“

Länge, Personenzahl und Themenvielfalt machen das Werk zum Monumentalfilm. Wichtig ist, daß Lanzmann nicht die Szenen der Erniedrigung, die Verbrechen an den Menschen zeigt, sondern die Überlebenden davon sprechen läßt. Nicht die Täter erhalten erneut Publikum, sondern die Opfer werden diejenigen, die die Wichtigen sind. Es wurde demgemäß kein einziges Archivdokument verwendet, der ganze Filmmit einem Material von 350 Stunden - wurde in der Gegenwart gedreht. Die Recherche hatte dreieinhalb Jahre gedauert und wurde in 14 Ländern durchgeführt. Zwischen 1976 und 1981 erfolgten zehn Drehperioden.

"Shoah" ist ein nichtfiktionales Werk, dessen Protagonisten - Juden, Nazis, direkte oder fernere Zeugen der Vernichtung - alle auf unterschiedliche Weise tatsächlich an den rekonstruierten Ereignissen beteiligt waren. Legende, Mythos und Fiktion zersetzen und verwässern die erbarmungslose und nackte Wirklichkeit des Holocaust. Sie führen zu einer hemmungslosen, unumschränkten Trivialisierung.

"Shoah" ist kein Dokumentarfilm, in dem die Personen in Schlips und Kragen, mit dem Abstand des Alters, gewissermaßen losgelöst von ihrer Vergangenheit, ruhig an ihrem Schreibtisch oder am Kamin ihres Wohnzimmers sitzen und ihre Erinnerungen erzählen. Die Vernichtung der europäischen Juden gehört in den Bereich der legendenhaften und mythischen Kenntnisse, was das Gegenteil von Wissen bedeutet.Legenden können nicht zerstört werden, indem ihnen Erinnerungen entgegensetzt werden, sondern nur, indem sie mit der unfassbaren Gegenwart konfrontiert werden, aus der sie hervorgegangen sind. Dies gelingt nur dadurch, dass die Vergangenheit als Gegenwart lebendig gemacht und in einer zeitlosen Aktualität wiederhergestellt wird.“

Rachel Ertel: „’Shoah’ ist kein Erinnerungsfilm. Erinnerungen sind Sache der Vergangenheit. Es ist ein Film des Erinnerns. Durch seine bohrenden Fragen setzt Claude Lanzmann das Gedächtnis der jüdischen Überlebenden in Gang, verbunden mit Sprüngen und unaussprechlichen Qualen, gewissermaßen einen entsetzlichen Geburtsvorgang einleitend, der sie zerreißt. Er entlarvt die Listen und Ausweichmanöver der polnischen Zeitzeugen ebenso wie die der Henker. ‚Shoah’ ist es gelungen - und das ist das schwarze Wunder des Films -, das Gedächtnis des Völkermords ins Bewusstsein der nachfolgenden Generationen einzupflanzen. Die Litanei der übereinstimmenden Aussagen auf Jiddisch, Hebräisch, Polnisch, Deutsch und Englisch, wiederholt vom Dolmetscher beziehungsweise in den Untertiteln, bohrt sich in den Kopf der Zuschauer. Wenn der Lokomotivführer, die Bauern, die Nazis, die Überlebenden immer wieder das Kehledurchschneiden vorführen, kann sich der Zuschauer dem Bann dieser unglaublich grausamen Bewegung nicht entziehen. Es ist kein einfaches Erinnern, sondern ein aktuelles Erleben für die Überlebenden, und für den Zuschauer eine unausweichliche Erfahrung ... Nach ‚Shoah’ werden wir sicher angesichts eines ganz gewöhnlichen Gegenstands - eines Zuges, eines Lastwagens - oder vor einer heiteren Landschaft erzittern und zusammenzucken. Das wird das Gedächtnis des Völkermords in unserem Körper sein."

Foto:
Claude Lanzmann

Regie :
Claude Lanzmann
Land :
Frankreich
Jahr :
1985
Herkunft :
ARTE F
264 Min.Verfügbar von 07/07/2018 bis 04/09/2018

Live verfügbar: ja, für 60 Tage
Nächste Ausstrahlung  auf ARTE am Samstag, 7. Juli um 20:15
In der Arte-Mediathek kann man auch die Dokumentation "Claude Lanzmann - Stime der Shoah" von Adam Benzine abrufen.

Wir weisen darauf hin, daß sowohl SHOAH wie auch die anderen Filme von Claude Lanzmann als DVD bei Absolut Medien erhältlich sind