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Kategorie: Film & Fernsehen

Diana Richardson: Wie Sex glücklich macht. Der neue Stil des Liebens

 

Felicitas Schubert

 

Kassel (Weltexpresso) – Eigentlich sollte dieser Artikel schon vorvorgestern erscheinen, als die DVD SLOW SEX herauskam, aber bei diesem Thema, das seit ADAM und EVA aktuell ist, kommt es auf den Tag nicht darauf an. Hauptsache, Sie sind neugierig, was sich hinter SLOW SEX verbirgt.

 

Richtig schade, daß wir keinen deutschen Begriff dafür haben, für das, was gemeint ist. Aber, wenn Sie sich den Film anschauen, dann wissen Sie sofort, daß dies nichts Neues unter der Sonne ist, sondern daß vernünftige, liebesfähige und gefühlvolle Menschen diese Art von zärtlichem Umgang miteinander und der vollen Konzentration aufeinander immer schon ausübten. Um was es geht? Kurz gesagt, darum, daß die seit den sechziger Jahren tobende Sexwelle menschliches Handeln im Bereich der Liebe und des Liebens immer im finalen Akt als krönendem Schlußpunkt enden ließ, dabei aber, dieses Ziel der gegenseitigen Befriedigung, also der Orgasmen im Liebesspiel vor Augen, diese oft vor lauter Anspannung, sie zu erreichen, eben nicht erreichen konnten und darum glaubten, auf den gesamten Bereich des Liebens verzichten zu sollen, verzichten zu müssen.

 

Was die DVD SLOW SEX nun nahelegt, ist, sich endlich auf alles andere zu beziehen, was Körper und Geist im Verein mit den Gefühlen möglich machen. Hierbei geht es nicht um eine Alternativstrategie, die greifen könnte, wenn der Beischlaf nicht gelingt oder nicht mit dem ersehnten Gefühl von Nähe und tiefen Glück verbunden ist, sondern es geht – ob Akt hin oder her also – um eine eigenständige Form des körperlichen und geistigen Miteinanders, die zwei Menschen glücklich macht. Wir sagen das so ausdrücklich, weil es ein falscher Eindruck wäre, die die DVD durchaus etwas nahelegt, als ob dieser Slow Sex nur dann stattfinden solle, wenn der 'richtige' nicht klappt.

 

Nein, auch wenn er klappt, fehlt der Liebe eine sinnliche Komponente, wenn man sie auf den Beischlaf reduzieren täte. Daß diese Art des zärtlichen und aufeinander bezogenen geistig-körperlichen Umgangs denen allerdings, die aus welchen Gründen auch immer, wozu Alter genauso zählt wie Krankheiten oder seelische Verspannungen, auch eine Kompensation bieten kann, das ist dann genau so richtig. Was aber vermittelt die DVD?

 

Wir waren verblüfft. Denn wir fanden keine Anleitung, also wie bei Yoga körperliche Vorbilder, die den heute oft so unsinnlichen Liebespartnern erst einmal nahebringen, was es bedeutet, über die Haut des anderen zu streichen oder bestimmte Körperregionen zu streicheln oder einfach, dicht neben einander zu sitzen und sich im Musikhören ineinander- und die Musik zu vertiefen. Wir fanden stattdessen viele Kurzgeschichten in Form von Paar-Interviews, die von sich erzählten, woran sie bisher Mangel litten und was sie sich, seit sie SLOW SEX ausüben, füreinander und miteinander bedeuten.

 

Die gesamte DVD ist in eine Einleitung und 11 Kapitel gegliedert. Die Einleitung umfaßt, was auch oben angedeutet ist, daß unter SEX IN UNSERER GESELLSCHAFT immer nur das eine verstanden wird. Da sagen wir schon „Halt!“ Denn tatsächlich ist der Begriff des SEX im Deutschen auch sehr viel stärker als im Englischen auf den Vollzug des Aktes gerichtet. Früher sagte man LIEBE MACHEN und meinte damit alles, was zwei Leuten einfällt, die Seele und Körper vereinen wollen, wozu auch der Beischlaf mit Orgasmen gehören kann, aber nicht zwangsläufig alles auf ihn hinauslief.

 

Wir lesen im Beiheft, daß die Autorin, die auch viele Bücher – genau sind es sechs - dazu veröffentlicht hat, in ihrem Film sagt: „SLOW SEX ist bewußter Sex“ und damit meint, man solle aus dem oft getriebenen Sexualleben das Tempo rausnehmen und mit dieser Verlangsamung zu einem glücklichen und erfüllendem Sexualleben kommen. Das ist alles nicht falsch, aber schon der Begriff Sexualleben ist eben doch ein Fachbegriff, während das Liebesleben sehr viel mehr umfaßt, nämlich all die kleinen Alltagsdinge, mit denen sich Menschen Wärme und Akzeptanz gegenseitig geben können. Wir meinen also, daß in diesem Film, der nichts Anstößiges hat, und viele gute Worte für gute Taten findet, etwas zu stark die Kompensation des stattdessen thematisiert wird, als der Hinweis, was Leuten entgeht, wenn sie das Liebemachen mechanisch durchziehen.

 

„In einer durchsexualisierten Gesellschaft, geprägt von Marketingslogans ist Performance alles. Gemessen an den stets präsenten Idealbildern kann die Realität nur enttäuschen. Das beschleunigte Lebenstempo, die überall sichtbare Inszenierung von Erotik und uneinlösbarer Perfektion machen auch aus Sex, Zweisamkeit und Liebe oft einen Wettbewerb“ ist der Ausgangspunkt für diesen Film, dessen Kapitel von ENTSPANNUNG, BEWUSSTHEIT, DER WEICHE BLICK, … BEWUSSTE BERÜHRUNG, HÖHEPUNKT UND ENTLADUNG, über männlichen und weiblichen Energiefluss, auch Sinn für Humor im elften Kapitel endet: MEHR LIEBE BEIM SEX – MEHR LIEBE IM LEBEN gehen.

 

Der Film ist auch Ausfluß von Seminaren, die Diana Richardson mit ihrem Mann Michael – beide sind Sexualtherapeuten – anbietet. Aber uns interessiert hier nur der Film, in dem wir in den verschiedenen Kapiteln immer wieder auf die gleichen Paare stoßen, die sich zu den Themen äußern und ihre Meinung sehr vertraut miteinander und im liebevollen Miteinander vortragen. Vielleicht ist die Art und Weise, wie die Paare ihre Ansichten vortragen, die Hälfte der Miete und nicht die Ansicht selbst. Denn wenn man erlebt, daß hier nicht der eine allein der Wortführer ist und der andere zustimmend nickt und schon gar nicht Menschen erlebt, wo der eine dem anderen über den Mund fährt und Konkurrenz zum Ausdruck kommt, sondern das gemeinsame Vortasten im sprachlichen Ausdruck, wie man die Veränderungen hin zum Glücklichwerden ausdrücken könnte, dann weiß man, diese zwei Menschen machen etwas richtig.

 

Kein Wunder, daß einem das bei jungen Menschen noch näher geht, als bei wirklich Älteren. Denn da denkt man – gemeinerweise – dann doch in solchen Kategorien, aha, das klappt nicht mehr mit dem erigierten Glied.... Wenn aber junge Menschen von ihrem Glück sprechen, das sie miteinander empfinden, indem nicht mehr der Akt auf Teufel komm raus das eigentliche Ziel des Beisammenseins ist, sondern sich miteinander mit allen Sinnen zu begegnen, sich wirklich aufeinander einzulassen, den anderen mit Haut und Haaren zu erforschen und sozusagen einen seelischen Beischlaf hinzubekommen, dann freut man sich mit diesen beiden, daß sie die Kurve gekratzt haben.

 

Denn darum geht es in diesem Film: zu verstehen, daß es keine Norm gibt, daß jeder Mensch anders ist und daß zwei Menschen sich immer über die Formen verständigen müssen, in denen sie sich nahe kommen – und zwar nicht verbal, in dem man darüber redet, sondern ganz einfach, indem man es tut. Schon frühere Liebesratgeber haben solche Vorschläge gemacht wie: es ist verboten, die erogenen Zonen zu berühren, woraufhin diejenigen, die sich daran hielten, merkten, daß alles zur erogenen Zone werden kann, wenn einem bewußt ist, daß es der andere ist, der einen berührt.

 

INFO:

Slow Sex. Zeit finden für die Liebe, DVD

Hersteller: Innenwelt Verlag EAN: 9783942502146 ISBN: 3942502143