Bildschirmfoto 2018 08 30 um 18.38.11Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 30. August 2018,    Teil 6

N.N.

Berlin  (Weltexpresso) – Gerade hat Detlev Buck ein Screening hinter sich gebracht, letzte Abnahmen, es gibt kaum noch Anmerkungen. Die Sache ist klar: ASPHALTGORILLAS ist kurz vor der Fertigstellung. Jetzt sitzt Buck (wie ihn hier alle nennen) in einem dieser überteuerten Restaurants vor dem CineStar am Potsdamer Platz, zieht sich nen Matjes mit Kartoffeln rein und fände es schon gut, wenn man das Interview so führen könnte, dass er nach der Premiere nicht die gleichen Fragen immer wieder beantworten muss.

Hey Buck, der Film ist fertig! Wie geht’s dir?

Also es ist ja immer so, in dem Moment, wo du es machst, ist es das Schwerste und Wichtigste überhaupt und dann relativiert sich das aber auch jedes Mal. Ich freu mich erstmal, dass er fertig ist! Und das weit unter Budget! Was auch kein Schwein interessiert. Das ist nicht selbstverständlich, ich habe schon einige schwarze Löcher erlebt. Du fängst in Deutschland immer wieder von vorne an, du musst dich dauernd erklären und alles begründen. Das hat also Jahre gedauert. Und weil ich den Ferdinand gut kenne, war es so, dass ich ungern aufgebe.



Apropos erklären und begründen. ASPHALTGORILLAS beruht auf einer Kurzgeschichte von Ferdinand von Schirach. Ich stell jetzt gleich mal die Frage, die du wahrscheinlich noch ganz oft beantworten musst –

... na hoffentlich nicht ...


– nämlich: „Von der Kurzgeschichte zum Drehbuch – wie war das?“

Was mich an der Geschichte getriggert hat, war die Verwirrung. Das ist in unserem Film der zweite Akt. „Der Schlüssel“ ist ja auch mit die witzigste Geschichte, die Schirach gemacht hat. Das ist nicht so unbedingt sein Stil. Und der dritte Akt – das gibt‘s ja alles gar nicht, das ist basierend auf seiner Geschichte hinzugefabelt worden. Und man musste die Hauptfigur vollkommen neu erfinden, weil der ATRIS in der Kurzgeschichte nicht zu gebrauchen ist für den Film. Einfach, weil er dämlich ist. Der ist richtig dumm. Erst mit den Autoren Cüneyt Kaya und Constantin Lieb gab‘s dann immer mehr profunde Backstories aus dem realen Leben.


Bildschirmfoto 2018 08 30 um 14.38.51Kida Khodr Ramadan hat über Cüneyt Kaya gesagt „der ist ausm Wedding, der kennt die Straße“ – hat das Buch von seiner Street Credibility profitiert?

Ja, ganz viele Figuren sind aus dem wahren Leben. Ob das MO ist, der versucht, philosophisch die Welt zu erklären und dann mit einem Clownelefant durch die Gegend läuft, die rauchende Mutter, die dich verheiraten will, oder der Moment, wenn das Mädchen mit in die Wohnung der Familie kommt und du erzählst, dass das „wie alleine wohnen ist“. Cüneyt hatte auch Bekannte, die sich als Freunde von reichen Frauen aushalten ließen, ein Auto und Taschengeld bekommen haben und wenn sie langweilig wurden, dann aber auch abgesetzt wurden. Und das ist FRANKY.


...der von Jannis Niewöhner mit einer bemerkenswerten Energie gespielt wird.

f aspahlt2Das ist ein Hochstapler, das ist einer, der die Zündschnur von zwei Seiten anzündet, das ist für einen Schauspieler ein gefundenes Fressen! Die Rolle gibt Jannis die Möglichkeit, mal was zu spielen, was er noch nie gemacht hat. FRANKY weiß, dass er keinen Stich mehr hat beim Vater. Er weiß, wenn er mit diesen 200.000 nicht was riskiert, ist er raus. Das ist die Energie, das hat was Fatalistisches. Und dass OXANA ihm am Ende verzeiht, gibt ihm Hoffnung. Ich mochte das sehr, wie Jannis und Steffi das gespielt haben. Sie lebt in einer rosa Wolke und das ist irrsinnig langweilig! Sie ist fasziniert von diesem Hasardeur, weil er ein Träumer ist. Der ja auch nicht weiß, was mit PLATON passiert ist, aber sagt: Vielleicht können wir ihn suchen? Er ist eigentlich ein Romantiker!


... mit einem gewissen Hang zum Risiko?

Es gibt ja solche Freunde im Leben, ich hatte auch so einen – ich sag mal, wenn der auftauchte, gab‘s immer wieder Überraschungen. Die ziehen eine gewisse Portion Abenteuer an. Und das ist FRANKY. Der sucht das, der ist so gestrickt. Und auf seine seltsame Art und Weise lernt er am Ende etwas. Dass diese Frau nicht eine Puppe ist, dass die Liebe echt ist, dass er sich auf seinen Freund ATRIS verlassen kann.


Für ATRIS sieht‘s am Ende ja auch ziemlich gut aus.

Das ist eigentlich die klassische Heldenreise. Er hält sich nicht an das, was die ihm vorbestimmte Welt von ihm will. Er will nicht die Frau, die für ihn ausgesucht wurde, nicht den Beruf, der für ihn bestimmt wurde. Er zögert und hadert, am Anfang ist ATRIS vollkommen handlungsunfähig. Er ist ein Gefangener. Er braucht einen call to adventure und er nutzt MARIE. Als er sie rennen sieht, sieht er sich rennen. Indem er sie rettet, rettet er sich. Und das ist unberechenbar, er ist vollkommen verunsichert. Bis sie am nächsten Tag etwas beschreibt, was nie stattgefunden hat. Und dann beginnt das Abenteuer.


MARIE ist eine sehr geheimnisvolle Figur, die in weiten Teilen unerklärt bleibt.

Bildschirmfoto 2018 08 30 um 18.37.52MARIE ist eine Film Noir Figur. Sie kennt sich ja selber nicht. Sie ist immer auf der Durchreise, ohne Geld, ohne Zuhause. So wie es eben viele gibt in Berlin, die hier so durchschneien. Viele, ich sag mal „Auskenner“, neigen dazu, alles erklären zu wollen. Aber dadurch wird es nicht besser, sondern langweiliger. Es gibt einfach Menschen, da weißt du nicht genau, was los ist. Und nur wenn du sie kennenlernst, kriegst du eine Ahnung. Deswegen nimmt ATRIS sie auseinander und fragt „Kannst du dich auf dich selbst verlassen?“. Weil er ihr vertraut hat und weil sie jetzt abzischen will. Sie hat ihn gerettet, den Antagonisten umgebracht, räumt noch richtig auf – und dann geht sie. Mit dem Rest hab ich nichts zu tun. Emanzipation ist die Hälfte. Deine Geschichte ist nicht meine Geschichte! Ich finde sowas konsequent. Die ist einfach autark! Aber er liebt sie und weiß auch, dass er da nicht mehr loskommt. Und dann haben sie ein Happy End.


Auch die anderen Frauenfiguren in dem Film weichen ziemlich vom Gangsterfilm-Klischee ab. Das sind ja keine girly Girls.

Die Frauen sind sehr stark! Die halten den Gorillas den Spiegel vor. So wie MARIE, die einen auf Macho macht und die Gangster damit bloßstellt, wenn sie sagt: „Mit dieser Hand, die du mir eben gereicht hast, hab ich ihm vorhin einen runtergeholt – ist das ein Problem für dich?“ Die können damit nicht umgehen. Untereinander, ja, aber wenn eine Frau so redet, dann ist sie ne Schlampe? Das ist so absurd. Und das war der Reiz an dem Film; dass das gegen die Erwartungen geht. Eine Julia Engelmann und einen SSIO als Pärchen zusammenzuschmeißen, ist eigentlich auch Quatsch. Aber sie ist blond und schnell und sexy und dominiert ihn dann auch völlig!


Gute Überleitung zur Besetzung. Fangen wir mit den ganzen kleinen Nebenauftritten an: Das ist ja der Wahnsinn! Wie habt ihr die ganzen Leute aus der Berliner Szene zusammengekriegt?!

Ein kleiner Schlüssel war, dass Pierre Baigorry Bock hatte, die Filmmusik zu machen. In dem Moment, wo das einen gewissen Faktor hat, dass die sagen, ah der und der ist cool und ist dabei, haben die dann kein Problem. Und das war dann die Mischung: Du hast SXTN, du hast Capital Bra mit dem Ton aus Hohenschönhausen, du hast SSIO, der es in gewisser Weise auch gut fand, dass Julia Engelmann seine Frau ist, die ihn dominiert.


Und vor diesem Panorama tritt dann ein Cast auf, der neben jungen Shootingstars viele bekannte Gesichter und Ikonen der Zwielichtigkeit versammelt.

Ich mag dieses Ensemble sehr gerne, weil das so ein Haufen ist. Es ist nicht normal, es ist nicht so austariert. Es verbindet Dinge, die eigentlich gar nicht passen können.

Mit Stefanie Giesinger ist ja auch ein Model unter den SchauspielerInnen.

Ich glaube, ich habe Steffi fünfmal gecasted. Sie wurde immer besser und wollte diese Rolle dann unbedingt. Man hat richtig gemerkt, dass sie einen Need hat, ein Bedürfnis, nicht nur ein Bild abzugeben, sondern auch ein Gefühl – und plötzlich konnte sie in der Szene weinen! Und in dem Moment merkt man, jemand fühlt etwas! Das war echt. Sie war auch sehr stolz, mit Aleksei Guskov zu spielen, der in Russland ein Star ist. Und dann hatte das plötzlich so eine Aura.


Hast du Sorge, dir vorwerfen lassen zu müssen, Stefanie Giesinger sei vor allem wegen ihrer Millionen an Instagram-Followern in dem Film?

Wer mich kennt, weiß eigentlich, dass ich gerne Dinge ausprobiere und mische und nicht sage, ah ja das ist eine etablierte Kraft, ich nehme sie und fertig. Das habe ich schon mit Heike Makatsch in MÄNNERPENSION so gemacht. Damals gab‘s noch keine Follower, aber die Heike war bei MTV. Ich finde das erstmal legitim, weil Kino im Moment alle Kanäle suchen muss, um Aufmerksamkeit zu generieren. Man muss da ja auch umdenken! Und ich finde, wenn das eine Qualität hat, dann sollte man es machen – warum nicht? Aber das ist weder eine Bedingung noch habe ich mich jemals aus Prinzip dagegen verschlossen.


Hat das Kino gerade eine harte Zeit?

Es gibt eine Ratlosigkeit im Kino. In der Serie ist ja gerade so Honeymoon, oder wie man diese Golden Times nennen mag ... es ist alles möglich! Im Kino überwiegt die Angst und auch die Skepsis ... und man muss es dann aber trotzdem wagen und edgy sein!


Tatsächlich finde ich diesen Film von seiner Struktur her ziemlich edgy: Im Gegensatz zu vielen anderen Filmen kann man nach den ersten 30 Minuten noch nicht ahnen, wie die Geschichte ausgeht.

Mir gefällt das nicht, wenn ich im Kopf schneller bin als der Film. Wenn ich bei jeder Situation meines Tages vorher wüsste, wie der wird, wäre das ja auch irre fad. Es gibt Leute, die so leben und dagegen ist nichts zu sagen. Und es gibt Leute, die genau solche Filme wollen, die Erwartungshaltungen komplett bedienen. Das interessiert mich nicht. Es darf alles, es darf nur nicht langweilig sein.


Aber am Kino hältst du fest?

Ich mag, dass Kino eine Fabel erzählt. Dass es nicht nur noch um ein System geht wie bei GAME OF THRONES, da gibt es kein Ende, es kann ewig gehen. Für mich ist die Schönheit von Kino, dass in komprimierter Form eine Geschichte erzählt wird, die mir entweder was sagt oder nicht. Die Fabel ist nicht real, aber die Gefühle sind real. Was will dir diese Geschichte sagen? Hör nicht auf zu träumen, man darf nicht in die Knie gehen, man braucht jemanden, den man liebt und der einen liebt und – Geld.


Ach, Geld. Das ist doch eh zum größten Teil fiktiv.

Einen Gegenwert gibt es überhaupt nicht mehr! Dass nur Geld gedruckt wird, dessen Wert an anderer Stelle in z.B. Gold existiert, ist völliger Blödsinn (an dieser Stelle zieht Buck ein Magazin aus der Tasche, schiebt sich seine Lesebrille auf die Nase und beginnt, zu blättern) – es gibt hier einen ganz tollen Bericht in der brand eins, die ich sehr schätze. Der handelt davon, dass Geld natürlich auch die Basis für Demokratie war. Und FRANKY will da ran, er will partizipieren! Da ist ein schöner Satz drin, „wo es nur Geld gibt und keine Idee, wird Geld wertlos“ – und FRANKYs Idee ist eben, wir schlagen denen allen ein Schnippchen und nehmen eine Abkürzung.


Wenn man überlegt, dass der Versuch, Geld aufzutreiben, auch im Alltag das ist, was einen so am meisten versklavt, dann hört das fast ein bisschen revolutionär an.

Das ist auch ein kleiner anarchistischer Aufruf! Ein paar Anarchisten braucht es ja, sonst wird es langweilig. Und sie sind ja sympathisch.


Die Kombination aus einer Idee, einer Menge Geld und einem großen Risiko klingt irgendwie auch ziemlich nach dem Beruf des Filmemachers.

Klar, was ist denn Film, das ist nichts, das ist ne IDEE! Und du gehst da mit Millionen um. Und plötzlich weiß du, das kann auch komplett in den Arsch gehen und dann fängt man an zu stammeln und das Eis wird dünn und dann wird man wie FRANKY: Du musst das machen, wovor du am meisten Angst hast! Du darfst nicht in die Knie gehen! Also mir haben sie auch manchmal vorgeworfen, dass ich die Zündschnur von zwei Seiten anzünde. Und das macht FRANKY auch. Das ist wie beim Filmemachen.


Hattest du eigentlich Berührungsängste mit dem Genre?

Ich hab eigentlich mit nichts Berührungsängste. Die Reise des Helden ist auch meine Reise. Und die Neugierde über- wiegt immer die Berührungsangst. Und sich genremäßig damit zu befassen, war mir einfach eine Freude. Während wir vier Teile BIBI UND TINA gedreht haben, haben wir dieses Ding parallel vorbereitet. Das war das Hobby, der Kontrast! Ich brauche immer ein Ying und ein Yang!


Und dieses Genre lädt ja auch dazu ein, mal richtig die Sau rauszulassen.

Ja, du musst eine Schlägerei inszenieren und dann überlegen: wie machste‘s? Mir war zum Beispiel wichtig, dass die Stangentänzerin weiter tanzt und ihm mit dem Fuß dann eine mitgibt, das also so stilisierte Dinge stattfinden, wie du sie noch nicht kennst. Kino braucht ein Bild, das unique ist.


Da steckt mehr Humor drin, als man in so einem Gerne vielleicht erwarten würde ...

Das ist immer mit einem Twinkle in the eye. Du kannst da jetzt nicht, ich sag mal Gewalt à la Haneke auffahren. Die Geschichte ist ja auch in sich schon teilweise überhöht. Zum Beispiel durch die Killerin, die mehrere Männer plattmacht. Der Stil ist das Augenzwinkern: Der Film nimmt sich gleich- zeitig nicht und wahnsinnig ernst.


Inszeniert man eigentlich anders, wenn man selber schon oft als Schauspieler am Set war?

Ich bin meistens zweite Kamera. Meistens macht Marc das Weite und ich die Nahen. Deswegen bin ich nicht am Zelt, sondern dabei. Direkt beim Schauspieler und dann spür ich das mit! Das Physische war hier ganz wichtig. Dieses Motiv der brennenden Zündschnur, es muss immer weiter tickeln, in jeder Szene.


Mit Marc Achenbach hast du auch schon BIBI UND TINA gemacht. Hast du eine Filmfamilie, mit der du immer wieder arbeitest?

Der Großteil der Gruppe kommt aus RUBBELDIEKATZ. Setdesign, Kostüm, Kamera. Das wichtigste ist, dass die Leute ein eigenes Bedürfnis haben. Man steckt zu viel Kraft da rein, als dass man Leute mitschleppen könnte. Das höhlt einen sehr aus. Das ist eine sehr irreale Arbeit. Filmemachen hat sehr viel mit Leidenschaft und Stubbornness zu tun. Also, „leidenschaftlich stur“ muss man sein.


Zum Schluss noch eine Anekdote?

Da gab‘s bestimmt welche, aber die hab‘ ich jetzt vergessen.

Vielen Dank für das Gespräch!


Fotos:
Detlev Buck
Kida Khodr Ramadan
Frank (Jannis Niewöhner) hat einen großartigen Plan, bei dem eigentlich nichts schief gehen kann. Ein Schlüssel ist dabei ein wichtiger Teil.
Atris und Marie
© 2018 Constantin Film Verleih GmbH

Info:
BESETZUNG
Info:

ATRIS GHAREB      Samuel Schneider
MARIE ............        Ella Rumpf
FRANK.............       Jannis Niewöhner
EL KEITAR.........      Kida Khodr Ramadan
MO................          Oktay Özdemir
MONGOLIN .........   Uisenma Borchu
OXANA ............       Stefanie Giesinger
RONNY.............       Georg Friedrich
KOTTI-BOSS .......   SSIO
HASSAN ...........      Erdogan Atalay
BODYGUARD OMAR  Stipe Erceg

Interview übernommen aus dem Presseheft