Bildschirmfoto 2018 09 10 um 02.38.07Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 6. September 2018, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Film kommt erst spät auf ZENOBIA zu sprechen, die für PALMYRA so etwas wie das Markenzeichen wurde, paßt ihre Existenz und das, was wir über ihr Leben als Königin von Palmyra wissen – sie selbst nannte sich äußerst selbstbewußt sogar Augusta, also Kaiserin -  in die Geschichte des Orients. Aber auch hier wollen wir uns zurückhalten, obwohl spätestens jetzt über den gesamten, heute syrischen Raum zu sprechen wäre, in dem ein Völkergemisch zusammenkam, das zwei mächtigen Reichen, ja Geschichtsepochen seinen Lebensraum abtrotzen mußte: dem riesigen ägyptischen Reich und dem Zweistromland, Mesopotamien, mit, seit den Sumerern, den Akkadern, den Babyloniern wechselnden Herrschern. Hier herrschte niemals Ruhe, sondern immer eine sehr lebendige Streitkultur und labile Wüstenkulturen, denen die Römer eine festere Struktur gaben. Und deshalb ist die Ruinenstadt PALMYRA ein Schmelztiegel dieses Landes gewesen, dem im 3. Jahrhundert n.Chr. Odaenathus Gestalt gab, in dem er mit Duldung Roms zum Platzfürsten in Kleinasien aufstieg, schließlich hatte er die Perser besiegt, während die Römer gerade davor vom persischen Großkönig geschlagen worden waren. Aber der Sieg nützte ihm nichts, er wurde ermordet.

Seine Tochter und Nachfolgerin ist Zenobia, die zwar nicht mit Kleopatra oder Dido mithalten kann, aber in diese Kategorie von mächtigen, schönen, gebildeten Frauen gehört, die als Herrscherinnen des Orients überliefert sind. Zwar konnte sie nur fünf Jahre Palmyra regieren, denn längst war die Region den Römern zu aufmüpfig geworden und Kaiser Aurelian stellte unter Zerstörung der Stadt die alten Herrschaftsverhältnisse wieder her. Aber Zenobia durfte ihren Kopf und ihr Leben behalten, wurde erst gedemütigt durch die Straßen Roms geführt und hatte dann dort ein gutes Leben. Ihr Abbild wird sehr oft verwechselt mit dem weiblichen Grabrelief aus Palmyra, beispielsweise dem einer reich geschmückten Dame, das im Frankfurter Liebieghaus eines von drei Grabreliefs ausmacht, die völlig ohne Kontext sind, und denen dieser Film ebenfalls den historisch-archäologischen Hintergrund geben kann. Denn die Grabtürme von Palmyra sind so eindrucksvoll wie die Tempelruinen und sind wie diese vom IS zerstört worden. Der Film zeigt auch dies und beschreibt Funktion der Reliefs als Abbilder der Verstorbenen, die nicht ähnlich sehen mußten, aber die Person charakterisierten.

Im Film wird auch deutlich, wie die damals noch vorhandenen Gebäude, wenngleich oft nur in den Grundmauern: der Löwe von Allat, Hadriansbogen, Baaltempel, Tempel des Baalschamin, die imponierende Säulenstraße, den Grabturm, das Archäologiemuseum zum Teil im ersten Angriff im August 2015 des IS gesprengt und fast der ganze Rest erneut im Oktober. Doch es stand noch der so eindrucksvolle Tetrapylon, wo sich die Kollonaden kreuzen mit der Ost-West-Achse, in jeder römisch empfundenen Stadt wesentlich. Doch auch der fiel in den Scharmützeln, wo der IS mal Palmyra aufgeben mußte, dann wieder eroberte wie im Frühjahr 2017.

Und nun sind wir in unsere eigene Falle getappt. Wir wollten doch gar nichts mehr von den archäologischen Wunderkerzen von Palmyra weitererzählen, die im Film von Hans Puttnies in den noch unzerstörten Ruinen von PALMYRA von 2008 sinnreich und bildmächtig ihre eigene Sprache sprechen. Wir wollten stattdessen von den zwei neuen, sehr wichtigen Erkenntnissen sprechen, die der Film vermittelt. Wir waren im ersten Teil im Jahr 1930 angekommen, als die Ruinen immer stärker internationale Bedeutung erhielten, weshalb auch die dortigen Machthaber von Archäologen aus dem Westen überzeugt wurden, daß sich die in den Ruinen von Palmyra angesiedelte Bevölkerung, die ihren Ort Tadmor (Tadmur) nannten, eine andere Bleibe suchen sollten. Tatsächlich sind alle ausgesiedelt/vertrieben worden und ein neues Tadmor wurde aus dem Boden gestampft, das vor dem Bürgerkrieg über 50 000 Einwohner zählte. Das schreibt sich so dahin, diese Umsiedelung. Aber, was es bedeutet, wenn schon die Generationen vor einem hier hausten, wegzumüssen, das sollen sich einmal beispielsweise unsere Stadtbewohner vorstellen, die schon die Krise kriegen, wenn ein Haus luxussaniert wird – oder abgerissen.

Erst seit dem 17. Jahrhundert und dann zunehmend im 19. Jahrhundert war PALMYRA für Europäer wiederentdeckt worden, eben auf der Basis der von den Römern im 3. Jahrhundert zerstörten Stadt. Das zeichnet der Film feinsinnig nach und benennt dies einschließlich der Räumung der arabischen Bewohner als ‚koloniale Souveränität‘. Aber dann die zweite neue Information: Im Film erlebt man wie ein Mann des IS wohl mit einem Gewehr auf ein Bildplakat einschlägt und dieses zerfetzt. Es zeigte den Vater des heutigen Präsidenten, Hafiz-al Assad. Als auf diesen 1980 – übrigens wurde damals PALMYRA auch Unesco-Weltkulturerbe – ein Attentat verübt wurde, wurden anschließend rund 700 Gefangene zusammengetrieben im von den Franzosen 1930 errichteten Gefängnis von Tadmur und von 60 Soldaten totgeschlagen. Das Gefängnis bekam längst einen neuen Trakt, wo bis dahin - darüber gibt Puttnies Auskunft – 20 000 Menschen verschwunden sind und ständig 5 bis 10 000 Häftlinge vegetierten. Daß also im Mai 2015 der Islamische Staat dieses Gefängnis sprengte, versteht man gut, kann aber nicht akzeptieren, daß gleichzeitig alle Unterlagen des Gefängnisses vernichtet wurden, weil so diesen verfolgten Menschen keine nachträgliche Genugtuung geschehen kann. Aber wie gut, daß Puttnies die Zerstörungswut und die Folgen in seinen Film einbaut. Denn in die eigenen Filmaufnahmen von 2008 fügt er nicht nur geschickt alte und neue Fotografien ein, sondern auch Videobotschaften, wie diesen irren Auftritt eines mit österreichischer Lautfärbung sprechenden Dschihadisten oder überhaupt Filmaufnahmen aus dem Internet, die seinen ruhigen Filmaufnahmen das zeitgemäßen hektische und kriegerische Leben hinzufügt oder auch: gegenüberstellt.

f palmyra04Nein, die geradezu lustvolle Zerstörung einzelner Ruinen von Palmyra durch Milizen des IS – effektvoll werden die Sprengsätze wie Kleinskulpturen auf den Mauern angebracht, bleiben eine Schande für den IS und ein Verlust für die Menschheit. Was der Film aber auch transportiert, das ist, daß kein IS entstanden wäre, hätten nicht politische Verbrechen diesen den Weg gebahnt. Und so kommt es, daß der Film seine wichtigste Botschaft gar nicht in den Bildern und Texten der antiken Stätte gewinnt, sondern am Schluß, wenn erstens die Einheimischen von 2008 vorgestellt werden, die die beiden Fachtouristen unterstützten, auch, die, die des Weges kamen, allesamt eindrucksvoll, was dann das Interview mit Mohamed glückhaft abschließt. Ja, nicht nur er hat Palmyra im Herzen, man hofft, daß er und andere, die Palmyra wiedersehen wollen, dies können. Denn die Aura des Ortes, die kann keine Sprengung so einfach zerstören. Das hoffen wir wenigstens.

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© Verleih

Info:
Ein Essayfilm von Hans Puttnies Deutschland 2017 – 90 Min.
Kamera, Buch und Regie: Hans Puttnies Schnitt,
Ton und Musik: Daniel Kirschbaum
Produktion: Sigrid Brügel-Puttnies
im Verleih von KAIROS Film Göttingen
www.palmyrafilm.de