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Kategorie: Film & Fernsehen
f yuli1Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Januar 2019, Teil 5

Icíar Bollaín 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) -  Was mich von Anfang an an der Geschichte von Carlos Acosta faszinierte, war der Umstand, dass er nie mit dem Tanzen anfangen wollte. Das ist nicht die übliche Geschichte von einem, der unaufhaltsam seiner Berufung folgt. Es ist die Geschichte von jemand, der gegen seinen Willen zum Tänzer wurde, der von seinem Vater dazu gedrängt wurde.
Das ist der Ursprung der starken Konfrontation, die Paul zum Fluchtpunkt seines Drehbuchs gemacht hat: Carlos’ Beziehung zwischen Liebe und Hass zu seinem Vater, dem er schließlich. trotz allem, seine Autobiografie gewidmet hat.

Im Film können wir sehen, wie Carlos’ Leben in den letzten 40 Jahren der kubanischen Geschichte verortet ist. Seine Familie und er erleben, wie so viele andere Kubaner auch, eine ganze Reihe von Schlüsselmomenten: Die Trennung, wenn die Familie der Mutter nach Miami geht; die sogenannte „Spezialperiode“, die Krise nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion; die „Balsero-Krise“ 1994, als zehntausende Kubaner auf Flößen in die USA flüchteten. Aber die Geschichte von Carlos ist ebenso die faszinierende Reise eines Urenkels einer Sklavin der Acosta-Plantagen, der in einem bescheidenen Außenbezirk von Havanna aufwuchs und der erste schwarze Romeo am Londoner Royal Ballet wurde, der Barrieren einriss und den Weg für diejenigen ebnete, die nach ihm kamen.

Neben der großen Aufgabe, ein Kind für die Rolle des Yuli und die anderen Schauspieler mit dem nötigen Charisma und der Energie zu finden, um diese Rollen spielen zu können, sah ich mich als Regisseurin einer zusätzlichen Herausforderung gegenüber: Nämlich die Geschichte auch durch ein zusätzliches Medium zu erzählen, dem Tanz. YULI ist von heute, aus der Gegenwart heraus erzählt. Der Film beginnt in einem Theater in Havanna, wo Carlos Acosta – von ihm selbst gespielt – mit seinem Ensemble eine Tanzperformance über sein eigenes Leben probt. Von diesem Ausgangspunkt nimmt uns der Film zurück in seine Kindheit, zum rebellischen Kind Yuli, später in seine Jugend, wo wir den überwältigenden Tänzer erleben, zu dem er wurde. Vergangenheit und Gegenwart, Fiktion und Tanz werden ineinander verwoben, mitunter innerhalb einer einzigen Szene – eine faszinierende und anspruchsvolle Herausforderung.

Neben Carlos spielen wunderbare renommierte Schauspielerinnen wie Laura de la Uz, junge Talente wie Cesar Dominguez und Andrea Doimeadiós, der charismatische Santiago Alfonso als Vater und Edilson Olbera Nuñez als Kind, der ein spektakuläres Debüt gibt – ein fantastischer Cast. Zusätzlich zu dem langen und aufreibenden Castingprozess, den es dafür brauchte, verlangte YULI im Vorfeld noch etwas ganz anderes, die Arbeit an der Choreografie. Zusammen mit María Rovira stürzten wir uns in den aufregenden Prozess, Tanzstücke zu schaffen, die nicht abstrakt sein durften, sondern vielmehr eine narrative Form brauchten.

Der Tanz, getragen von der inspirierenden Musik, die Alberto Iglesias schon in der Vorbereitung komponierte, hatte wichtige Teile der Geschichte zu erzählen: Die Einsamkeit von Carlos im Internat, weit weg von Zuhause, sein rasant wachsender Erfolg und Ruhm gleich zu Beginn seiner Karriere, die Liebe seines Vaters und dessen Gewalttätigkeit... Diese Szenen zu meistern und zu gestalten, zusammen mit der Crew, Kamera, Licht, Szenenbild, Ton, Schnitt, zusammen mit Carlos Acosta, der die Rolle seines eigenen Vaters tanzt, zusammen mit den herausragenden ITänzern seines Ensembles, war für mich die größte und außergewöhnlichste Erfahrung, die ich in meiner Laufbahn als Regisseurin gemacht habe. Ich hoffe, das Publikum wird es so genießen, diese Szenen zu sehen, wie es uns Spaß gemacht hat, an ihnen zu arbeiten.


ICÍAR BOLLAÍN Regie

Geboren 1967 in Madrid. Schauspieldebüt 1983 in Víctor Erices EL SUR – DER SÜDEN, es folgten u.a. Rollen in MALAVENTURA (1998, R: Manuel Gutiérrez Aragón), SUBLET (1991, R: Chus Gutiérrez), TOCANDO FONDO (1993, R: José Luis Cuerda) und LAND AND FREEDOM (1995, Regie: Ken Loach), NOS MIRAN (2002, R: Norberto Pérez), LA BALSA DE PIEDRA (2003, R: George Sluizer – Ensemblepreis auf dem Ft. Lauderdale International Film Festival) und LA NOCHE DEL HERMANO (R: Santiago García de Leániz). Für LEO (2000, R: José Luis Borau) wurde Icíar Bollaín zum Spanischen Filmpreis Goya als Beste Schauspielerin nominiert.

1995 drehte Icíar Bollaín 1995 mit HOLA, ¿ESTÁS SOLA? ihren ersten Spielfilm als Regisseurin, der u.a. in Valladolid mit dem Regie-Nachwuchspreis ausgezeichnet wurde. Es folgten BLUMEN AUS EINER ANDEREN WELT (1999, u.a. ausgezeichnet in der Semaine de la Critique in Cannes sowie zweifach zum Goya nominiert), ÖFFNE MEINE AUGEN (2003, u.a. Bester Film in San Sebastián; sieben Goyas, darunter Bester Film) und MATAHARIS (2007, u.a. zwei Goya-Nominierungen).

TAMBIÉN LA LLUVIA – UND DANN DER REGEN (2010) war Icíar Bollaíns erste Zusammenarbeit mit ihrem Lebensgefährten, dem Drehbuchautor Paul Laverty. Der Film wurde u.a. mit dem Panorama-Publikumspreis der Berlinale, dem Spanischen Kritikerpreis und dem Premio ACE in den Kategorien Bester Film und Beste Regie ausgezeichnet und war die spanische Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film. Nach KATMANDÚ (2011) und dem Dokumentarfilm EN TIERRA EXTRAÑA (2014) folgte 2016 der zweite Film mit Paul Laverty, EL OLIVO – DER OLIVENBAUM (u.a. Goya für Anna Castillo als beste Nachwuchsschauspielerin, drei weitere Goya-Nominierungen und spanische Oscar-Nominierung als bester fremdsprachiger Film). 2018 erhielt Icíar Bollaín den Ehrenpreis der Semana Internacional de Cine de Valladolid 2018.

Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller

Carlos Acosta            CARLOS ACOSTA
Pedro                         SANTIOAGO ALFONSO
Carlos Acosta (Kind) EDILSON MANUEL OLBERA NUÑEZ
Carlos Acosta (jung) KEYVIN MARTÍNEZ
Chery                        LAURA DE LA ZU
María                        YERLÍN PEREZ
Mario                        MARIO SERGIO ELÍAS
Berta                        ANDREA DOIMEADÍOS
Opito                        CÉSAR DOMÍNGUEZ
Lehrerin 1                 YAILENE SIERRA
Reiseführer               HÉCTOR NOAS
Enrique                     CARLOS ENRIQUE ALMIRANTE
Großmutter               YEYE BÁEZ
Mireya                       GILDA BELLO
Estefanía                   AMELIA FERNÁNDEZ
Marilín BETIZA BISMARK
Marilín (Kind) ANYELEY KWEI
Lehrerin 2 YANELIS BROOKS