Drucken
Kategorie: Film & Fernsehen
f carperDie anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 17. Januar 2019, Teil 7

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Solche wie Zain (Zain Al Rafeea) braucht man überall. Solche, die nicht blind gehorchen, sondern sich ihre Gedanken machen, auch wenn sie erst zwölf Jahr sind und in Beirut leben. Und wenn man das heutige Leben in Beirut kennt, dann weiß man, daß die ganz Jungen am allermeisten Grund zum Aufbegehren haben, wie Zain, der seine eigenen Eltern verklagt, daß sie ihn gezeugt und zur Welt gebracht haben.

Eine Welt, die auf ihn und andere junge Menschen nicht vorbereitet ist. Deshalb ist der Klagegrund auch der, daß er auf die Welt kam, obwohl seine Eltern, Souad und Selim (Kawthar al Haddad, Fadi Kamel Youssef) sich weder um ihn kümmern können, noch die Gesellschaft dafür geradesteht. Das fängt schon mit dem Alter an. Zwölf, das ist geschätzt, denn er hat keine Geburtsurkunde, aber auch keine Aufenthaltspapiere oder irgendeinen Schein, der nachweist, daß es ihn überhaupt gibt. Der einzige Beweis seiner Existenz ist er selber. Aber mach das mal in einer Gesellschaft, in der alles über Papiere oder digitale Beweise läuft. Da bist Du, obwohl Du da bist, nicht existent.

Aber im Gefängnis kann man auch ohne Papiere landen, wie es Zain ergeht, der aus Gründen, die wir gleich sehr gut verstehen werden, seinen Lebensunterhalt zusammenklaute. Und hier bewahrheitet sich, was man sonst als Resozialisierung erhofft, im Gefängnis wird er sich seiner Situation so richtig bewußt und fällt weitreichende Entscheidungen. Daß er zwölf sein soll, hat der Arzt gesagt, der bei ihm zwar einen kleinen Wuchs, aber keine Milchzähne mehr findet. Und eine solche Festlegung ist doch unerhört und verstößt auch gegen die Menschenrechte, wenn man nicht weiß, wann man geboren wurde. Überhaupt wird sich das Gefängnis noch als Segen für Zain herausstellen.

Wäre er draußen bei seiner Familie, angeblich in Freiheit, dann müßte er weiterhin für den Kleinhändler Assad (Cedra Izam) Botengänge erledigen und neidisch zuschauen, wie andere Kinder in die Schule gehen dürfen. Das möchte er nämlich auch, und die Mutter würde das erlauben, nicht aber der Vater. Für den ist das Kokolores, er selber war auch nicht drinnen, in der Schule, und Zain soll sich nützlich bei seinem Chef machen, denn Assad wird auch als zukünftiger Ehemann der süßen Sahar gehandelt, zudem wohnt man billig in dessen schäbiger Absteige. Zain liebt seine kleine Schwester, sie ist doch erst elf Jahre, was soll sie mit einem älteren dicken Mann. Eklig und gemein ist das. Immer war Zain ihr Beschützer und will es auch bleiben.

Doch die Eltern hintertreiben das und verkaufen ihre Tochter für ein paar Hühner an Assad, der im Gegenzug verspricht, die Familie in seiner primitiven Behausung weiter wohnen zu lassen. Und das war nun der Hammer und hat das Faß zum Überlaufen gebracht. Der Verkauf seiner Schwester wie ein Stück Vieh und dazu gegen ihren Willen, ruft bei ihm als Reaktion hervor, abzuhauen aus einer solchen Familie. Woher wir das alles wissen?

Geschickt nutzt die libanesische Regisseurin Nadine Labaki den Prozeß, der als Folge der Klage Zains gegen seine Eltern vor Gericht abläuft. Dort stellt der Richter nämlich Fragen nach der Vorgeschichte. Und die Vorgeschichte ist das Leben von Zain, so daß der Zuschauer nun durch Rückblenden erfährt, wie es zu dieser Situation gekommen ist. Mit jedem Filmmeter sozusagen, will man dem kleinen Jungen den Rücken stärken, denn er führt an, was nicht zu widerlegen ist, daß man ihm keine Chance gegeben hat.

Letztlich nutzt er mehr Chancen, als er überhaupt hatte. Er ist einer von denen, die ständig in anderen das Gefühl von Helfen hervorlockt, weil er selber so hilfsbereit ist und Schwächere unterstützt. Wie er sich nämlich erst einmal nach der Flucht von zu Hause länger durchs Leben schlägt, ist spannend und bunt erzählt, denn auf seinen Wegen trifft er wunderliche Leute, weil eigentlich die ganze Welt aus je eigenen, durchaus komischen, aber meist liebenswerten Gestalten besteht, wenn man sich abseits des 'Normalen', sei es Bürgertum, Kleinbürgertum oder die Ärmsten der Armen aufhält.

Das führt dazu, daß er auf einmal durch böses Eingreifen der Polizei seine hilfreiche große Freundin Rahil (Yordanos Shifera) verliert, aber deren noch kleines Baby im Arm halt. Was Zain alles einfällt, um das Baby am Leben zu erhalten und sich selbst auch, das kommt dann im Prozeß zur Sprache, wo seine Anwältin Nadine die Regisseurin ist und dessen Ausgang wir nicht verraten wollen. Nur das eine. Tatsächlich gab es von ihm keine Geburtsurkunde. Die Eltern hatten das Geld für eine Registrierung sparen wollen...

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG

Zain ZAIN AL RAFEEA

Rahil (Yonas’ Mutter) YORDANOS SHIFERAW

Yonas BOLUWATIFE TREASURE BANKOLE

Souad (Zains Mutter) KAWTHAR AL HADDAD

Selim (Zains Vater) FADI KAMEL YOUSSEF

Sahar (Zains Schwester) CEDRA IZAM

Aspro ALAA CHOUCHNIEH

Nadine NADINE LABAKI