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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2019 02 08 um 21.31.362019: Der Wettbewerb, Teil 3

Claudia Schulmerich

Berlin (Weltexpresso) – Ein Film über Pädophilie – mußt das ein? Mit solchen Gefühlen geht man in diesen Film und kommt begeistert über das, was anhand dieser Thematik über die französische Gesellschaft, über die Liebes- und Familienstrukturen und die einzelnen Charaktere abgehandelt wird, heraus.

Kein Wunder. Francois Ozon ist der Regisseur und allein für 8 FRAUEN hat sein Darstellerinnen-Ensemble 2002 den Silbernen Bären erhalten. Er selbst war viermal mit Filmen im Wettbewerb dabei. Er hat zu diesem Film auch das Drehbuch geschrieben, in dem die Struktur der Geschichte und des Films schon festgezurrt ist, die er höchst kunstvoll und außerordentlich listig uns unterschiebt. Tatsächlich ist dies nämlich ein Ensemblefilm, der mit einer Hauptperson Alexander ( Melvil POUPAUD) beginnt: ein smarter, gut verdienender Mann mit einer intakten Familie von fünf Kindern und einer liebevollen Ehefrau im bourgeoisen Milieu in Lyon, das sehr katholisch ist. Er bekommt mit, daß der Priester, der ihn in der Kindheit mißbraucht hatte, noch immer mit Jugendlichen arbeitet. Er selbst ist fromm, will der Kirche keinesfalls schaden, deshalb auch keine Öffentlichkeit herstellen, aber erwartet von seiner Kirche, daß sie den sexuellen Verbrecher bestraft, vor allem daran hindert, daß er sich weiterhin an Kindern und Jugendlichen vergreift.

Später wissen wir, daß es Hunderte sind und daß die Kirche seit jeher davon wußte, aber den Priester immer versetzte, bei jedem bekanntgewordenen Fall weiter versetzte, statt dem Unheil Herr zu werden, den Priester aus der Umgebung von Jungen zu entfernen und ihn am besten zu therapieren oder in ein Archiv zu stecken. Alexander hatte dreißig Jahre geschwiegen, aber gerade das ist das Überzeugende an seinem Verhalten, daß er jetzt als gesettelter Mann und Ehemann Genugtuung erfahren will. Es treibt ihn heftig, die Vergangenheit aufzuarbeiten. Er läßt sich auch darauf ein, daß es ein Treffen mit dem Priester – er heißt auch im Film Bernhard Preynat, denn der Film folgt wahren Geschichten – geben soll. Die Kirche und hier der zuständige Kardinal Barbarin sind es, die zum Schluß den Schwarzen Peter mit Recht zugeschoben bekommen, denn der Kardinal ist derzeit angeklagt, weil er trotz seines Wissens um die Taten schwieg und Hilfe für Kinder unterließ.

Aber so weit sind wir noch nicht. Die aufgeführte List des Regisseurs läßt lange Alexander als treibende Kraft auftreten, der nachdem die Kirche schweigt, doch an eine Anzeige denkt. Doch sein Fall ist verjährt, deshalb sucht er nach weiteren Betroffenen. Und jedesmal die gleiche Situation: nein, sie wollen nicht in die Öffentlichkeit. Was sollen die Nachbarn, die Familie, die Kinder denken. Und das ist sehr nachvollziehbar, genauso wie der Schwenk, der regelmäßig passiert, wenn diese Leute dann mitbekommen, was Leidensgenossen unternehmen. Dann machen sie doch mit.

Das gilt auch für François (Denis MÉNOCHET), der sich auch erst nicht beteiligen will und dann zur treibenden Kraft wird. Und ehe wir uns versehen, sind wir mitten drin in seinem Leben, seiner Vergangenheit, die er gerade mit Wucht angeht, den Verein der Opfer, die nicht mehr schweigen wollen, gründet und alle mit seiner Kraft und Impulsivität ansteckt, sich jetzt gemeinsam zu wehren. Er ist auch der geniale Stratege, der weiß, wie man öffentlich Aufmerksamkeit erringt. Und kaum steht das alles in den Zeitungen, gibt es Reaktionen aus der Kirche, die zuvor auf Zeit und auf Verständigung spielte.

Wie nun scharenweise die Opfer des Pater Preynat sich zu erkennen geben und im Verein mitmachen - längst sind ja auch noch nicht verjährte Fälle dabei, so daß der Gerichtsweg beschritten werden kann, was sie gemeinsam tun – gibt dem Geschehen und damit dem Film eine ungeheuere Dynamik. Vielleicht merken wir deshalb nicht sofort, daß der geschickte Drehbuchschreiber uns längst mit der dritten Hauptfigur bekanntmachte: Emmanuel (Swann ARLAUD), die den Rest des Films bestreitet und der den schwierigsten und härtesten Part hat. Denn die beiden anderen haben ja im Leben beruflich und privat durchaus reüssiert, er aber ist das Opfer geblieben, geschlagen mit einer krankhaft eifersüchtigen Freundin. Er selbst, eigentlich ein schmaler Hänfling, unsicher und schüchtern, kommt in Lederklamotten auf dem Motorrad daher, daß er natürlich zu Höchstgeschwindigkeiten bringt. Diese angeblichen Insignien von Männlichkeit sollen ihm suggerieren, daß er die Schande und Scham überwunden hat. Dabei wird umgekehrt ein Schuh daraus. Das alles wird so beiläufig erzählt, so unaufdringlich mit allem unterfüttert, daß man Ozon schon beim Zuschauen bewundert, wie er das alles zusammenführt, denn der Schluß bringt allen insofern eine Befreiung, weil endlich die Taten des Priesters öffentlich geworden sind und die Gerichte sprechen.

Das ist aber nur das eine. Das, was richtig unter die Haut geht, sind nicht nur die Beschreibungen der konkreten Handlungen des Priesters, also das, was er mit seiner Hand an den Genitalien der Jungen, aber auch mit Zungenküssen und Streicheleinheiten fertigbringt, sondern die Gemütsverwirrung, in die die Knaben fallen. Denn erst einmal ist es ja in ihren Augen positiv, wenn der so angesehen Pater sie aus der Herde der Mitknaben herausholt, sie durch Sonderdienste adelt. Und das nicht sofort als Mißbrauch erkannt zu haben, sondern sich auch noch gebauchpinselt gefühlt zu haben, ist eine der schlimmen Wunden der dann erwachsen Gewordenen. Sie hätten sich deutlicher wehren müssen, schreien, aber nicht schweigen. Aus Scham schweigen. Was das heißt, das Vertrauen von Kindern zu mißbrauchen, kann man hier sonnenklar erkennen. Aber auch, welche Eltern über die Mißbrauchsanzeichen bei ihren Kindern oder sogar ihren Erzählungen hinwegsahen. Doch dann gibt es auch Eltern, die dies als Fehler erkennen und jetzt handeln wollen sowie auch die, die schon immer innerhalb der Kirche den Mißbrauch zum Thema machten. Weil diese alten Briefe der Eltern für heute die Beweislast erfüllen, kann der Prozeß stattfinden, den die persönlichen Aussagen von vielen dann zum Politikum machen. Daß die örtliche Kirche der eigentliche Adressat ist, wird allen Zuschauern klar, die erleben, wie hier Betroffene das jahrzehntelange Gesetz des Schweigens brechen und dadurch eine positive Zukunft vor sich haben.

Fotos:

© berlinale.de

Info:

Alexandre Guérin Melvil POUPAUD

François Debord Denis MÉNOCHET

Emmanuel Thomassin Swann ARLAUD

Gilles Perret Eric CARAVACA

Cardinal Barbarin François MARTHOURET

Bernard Preynat Bernard VERLEY

Régine Maire Martine ERHEL

Irène Josiane BALASKO

Odile Debord Hélène VINCENT