p zusammenhalt.detuschlandfunfWas es mit dem Zusammenhalt der Gesellschaft auf sich hat, Teil 1/3

Kurt Nelhiebel

Bremen (Weltexpresso) - Einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge ist es allen Unkenrufen zum Trotz um den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland besser bestellt, als gemeinhin angenommen werde. Ein großer Teil der Bevölkerung habe allerdings das Gefühl, dass es hierzulande nicht gerecht zugehe. Nach Ansicht des Bundesinnenministeriums funktioniert eine Gesellschaft dann gut, wenn alle friedlich und respektvoll auf der Basis gemeinsamer Werte zusammenleben, die auf der freiheitlich demokratischen Grundordnung beruhten.

Was hat es mit dem immer wieder von allen Seiten beschworenen Zusammenhalt der Gesellschaft eigentlich auf sich? Jeder weiß aus Erfahrung, dass es schon schwierig sein kann, eine Familie zusammenzuhalten, geschweige denn eine ganze Gesellschaft mit unterschiedlichen Interessen. In der Familie endet das friedliche Zusammenleben am häufigsten beim Erben, also wenn es ums Geld geht. Ist der Zusammenhalt der Gesellschaft vor diesem Hintergrund nicht ein Trugbild, das uns den Blick für die Wirklichkeit verstellt? Gäbe es diesen Zusammenhalt, dürfte die Kluft zwischen Arm und Reich nicht immer größer werden, sondern sie müsste sich mit der Zeit eher verringern. Dieses Auseinanderdriften widerspricht dem Ziel des friedlichen und respektvollen Zusammenlebens, das nach Meinung des Bundesinnenministeriums Voraussetzung ist für das gute Funktionieren der Gesellschaft. Also scheint etwas nicht in Ordnung zu sein mit der freiheitlich demokratischen Grundordnung.

Damit der gemeinschaftlich erarbeitete Reichtum gerecht verteilt werden kann, müsste Einiges neu justiert oder verändert werden. Aber manche sehen ja schon in der Forderung nach Einführung einer Grundrente einen Angriff auf die freiheitlich demokratische Grundordnung. In Erwiderung auf entsprechende Vorschläge der Sozialdemokraten erklärte der hessische Ministerpräsident und stellvertretende CDU-Vorsitzende Volker Bouffier, die SPD plane „die Beerdigung der sozialen Marktwirtschaft“. Diesen „strammen Linkskurs“, der „mehr Bürokratie, mehr Staat und Steuererhöhung“ bedeute, mache die Union nicht mit.

Dabei ist es rechtlich durchaus möglich, grundlegend etwas zu verändern. Am 20. Juli 1954 hat das Bundesverfassungsgericht nämlich Folgendes entschieden: "Die gegenwärtige Wirtschafts- und Sozialordnung ist zwar eine nach dem Grundgesetz mögliche, keineswegs aber die allein mögliche. Sie beruht auf einer vom Willen des Gesetzgebers getragenen wirtschafts- und sozialpolitischen Entscheidung, die durch eine andere Entscheidung ersetzt oder durchbrochen werden kann." Das ist eine klare Aussage, die allerdings zur Voraussetzung hat, dass sich im Bundestag dafür die notwendige Mehrheit findet. Da würden sich die Geister ganz schnell scheiden, und vom erstrebenswerten Zusammenhalt der Gesellschaft bliebe am Ende wenig übrig. Wir leben schließlich in einer Klassengesellschaft mit all ihren Antagonismen, auch wenn das die Meisten nicht wahr haben wollen.

In seiner Regierungserklärung vom 10. November 1965 verkündete Bundeskanzler Ludwig Erhard (CDU): „Nach den geschichtlichen Erfahrungen unseres Volkes, die das Bewusstsein der Abhängigkeit aller von allen geweckt und bestärkt haben, hat die deutsche Gesellschaft den Charakter einer Klassengesellschaft verloren. An ihre Stelle ist eine Leistungsgemeinschaft getreten.“ Wenige Wochen davor, am 8. August 1965, hatte Erhard auf dem Wirtschaftstag der CDU den Gewerkschaften in drohendem Ton zugerufen: „Wer dem deutschen Arbeiter einreden wollte, es herrschten immer noch Zustände eines Klassenkampfes vor, der muss sich gefallen lassen, von mir mit aller Härte angegriffen zu werden. Diese innere Verlogenheit darf nicht Bestand haben.“ Die Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände erklärte in einer Stellungnahme zum Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes: „Unser Grundgesetz will nicht den Klassenkampf, sondern die soziale Befriedung.“ Der CSU-Vorsitzende Franz Josef Strauß schrieb in dem von ihm herausgegebenen „Bayern-Kurier“ vom 18. 1. 1969: „Die Zeit des Klassenkampfes von oben nach unten und von unten nach oben gehört der Vergangenheit an.“

Ludwig Erhards Wort von der Leistungsgemeinschaft gefiel der rechtsradikalen Nationaldemokratischen Partei Deutschlands so gut, dass sie es in ihr Parteiprogramm aufnahm. Dort hieß es: „Die endgültige Überwindung des Klassenkampfes und die Bildung einer Leistungsgemeinschaft aller Schaffenden ist unser Auftrag in der industriellen Massengesellschaft.“ In welcher Gesellschaft sie sich damit bewegte, zeigt ein Blick in das „Nationalsozialistische Handbuch für Recht und Gesetzgebung“. Darin rückten die Nazis „im Streit gegen den marxistischen Klassenkampf und den ihm dienstbaren nivellistischen Kollektivismus die verantwortliche Unternehmerpersönlichkeit in den Vordergrund, (um so) die Voraussetzung für eine vertrauensvolle Gemeinschaftsarbeit zu schaffen.“ (Fortsetzung folgt).

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