f gary RomainGaryundseineMutter 1NACHTRAG Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Februar 2019, Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schade, daß dieser Film bei der Masse der anlaufenden Filme doch untergegangen ist, denn er ist für alle diejenigen geradezu sensationell, denen der Name Romain Gary noch etwas sagt. Ein so berühmter französischer Schriftsteller der Nachkriegszeit, der einfach gekonnt schrieb und 30 Romane hinterließ, die alle gute Kritiken und massenhaft Auflagen hatten. Uns ist er aber deshalb immer in Erinnerung geblieben, weil er die Filmikone der Zeit, die US-Schauspielerin Jean Seberg heiraten ...durfte, wollten wir schon schreiben, denn wir fanden sie viel wundervoller als ihn, den schon älteren Exilanten, bei dem man nie so richtig wußte, woran man war.

Das kann man jetzt alles nachholen und – um es ehrlich zu sagen – man muß diesen Romain Gary gar nicht kennen, keine Zeile von ihm gelesen haben, um diesen Film atemlos anzuschauen. Dafür muß man nur Interesse haben für Mütter, die in ihre Söhne ihr ganzes Leben stecken, von den edlen Söhnen ihre eigene Existenzberechtigung ableiten, eine Zwangsliebe, aus der die wenigsten Söhne herausfinden, also alles in allem doch eher eine Lebenssituation, die man bei anderen als obskure Geschichte goutiert, als sie selber zu erleben, zu durchleben, mit einem Wort: zu erleiden wünscht.

In Frankreich wird Garys Biographie mit dem Schwerpunkt der Mutter sogar in der Schule zum Thema. Das Buch ist hervorragend geschrieben. In Frankreich wird er auch nicht, wie bei uns, allein als Schriftsteller wahrgenommen. Für die Franzosen ist er der einzige Romancier, der zwei Mal den Prix Goncourt gewann, was nur möglich war, weil er den prämierten Roman unter anderem Namen veröffentlichte, insgesamt kam er auf mindestens fünf Pseudonyme), Kriegsheld wurde, französischer Diplomat – das hat er mit André Lewin gemeinsam, der in den Dreißigern als Andreas Levin aus Deutschland nach Frankreich flüchten konnte, auf der Flucht den Eltern erzählte, er würde einst französischer Botschafter, was eintrat: daß aus Asylanten Botschafter werden, gibt es in Deutschland noch nicht! Aber außerdem waren beide zu Franzosen Gewordenen für Frankreich bei der UNO - er hat auch Filme gedreht, sich um Theater gekümmert, er war einfach ein Intellektueller mit einem künstlerischem Touch – und der besagten sensationellen Ehefrau, um die es im Film aber nicht geht, dessen Inhalt seine Jahre als Sohn sind.

Doch, doch, der Titel paßt, denn er verweist auf den lebenslangen Druck auf solche Söhne (viel seltener Töchter), deren Existenz bestimmt, die Erwartungen der Mütter, ihre Sehnsüchte, Wünsche und Träume zu erfüllen. Das sind dann die angeblich so selbstlosen Mütter, die alles für ihre Kinder tun, weil sie eben auch alles von ihnen erwarten, mit dem Mehrwert auch die Nobilitierung für sich selbst, für diese Mütter. Charlotte Gainsbourg gibt ihr eindrucksvoll und furchterregend Gestalt, wenn wir – auf die Rahmenhandlung in den 60er Jahren gehen wir jetzt nicht ein – sie als unerbittliche Mutter erleben, die ein Selbstbewußtsein aus dem Nichts entwickelt. Als Roman Kacew am 8. Mai 1914 in Vilnius geboren, war er damals Untertan im Russischen Kaiserreich. Natürlich ist das eine Ausstattungsoper, wenn wir die Wohnungen die Bekleidung der Zeit mit ihren Stoffen, Mustern und Schnitten im Detail betrachten, aber in diesem Film hat es eine zusätzliche Berechtigung, denn die Mutter Nina Owczyńska will die Damen der Gesellschaft besser anziehen und baut sich ein kleines Atelier. Sie hat eine künstlerische Ader, die sich in Geld umsetzen soll, denn der Vater hat längst eine andere und die Familie verlassen.

Doch das Milieu in Vilnius ist engstirnig und für die kraftvolle Frau zu eng. Sie gehen 1926 nach Warschau, wobei man wissen muß, daß aus Wilna Vilnius geworden war, die Polen die Besetzung übernommen hatten, ein Völkergemisch mit der Sehnsucht nach der weiten Welt, die sich für die osteuropäische Jüdin Nina wie für so viele auf Frankreich richtet. Deshalb siedelt sie mit ihrem Sohn tatsächlich schon 1928 nach Nizza um. Ihr Glauben an die Zukunft ihres Sohnes ist unerschütterlich. Und wenn wir ehrlich sind, interessiert uns den ganzen Film über die Person der Mutter sehr viel mehr als ihr bedauernswerter Sohn, dem Pierre Niney eine in unseren Augen sehr ansprechende Gestalt gibt. Aber er ist noch jung und im Buch kann man nachlesen, wie er unter seiner Mutter litt, aber auch von ihr partizipierte, von ihrem Mut, ihrer Begeisterung, ihrem Rückhalt, den er immer hatte. Denn sie war eine Mutter, die nicht nur forderte, sondern wie selbstverständlich stützte und Mißerfolge abfederte.

Und das alles in Frankreich, denn nur hier wird ihr Sohn die Chancen haben, die er dann auch wahrnimmt. Daß sie selbst ein Hotel führen wird, um ihm den Lebensstandard bieten und die Studienkosten zahlen zu können, kommt als pittoresker Hintergrund hinzu. Denn MENSCHEN IM HOTEL wäre eine weitere Dimension von märchenhafter Umgebung, die den Schriftsteller Romain Gary, wie er sich nennen wird, formt und ihm Menschenkenntnisse vermittelt, wie es das Aufwachsen in einer ‚normalen‘ Familie niemals könnte. Allerdings ist er auf den neuen Namen nicht von alleine gekommen. Er war der Aufforderung des Ministerium, daß er im Diplomatischen Dienst einen anderen Namen als Kacew benötige, gefolgt. Das übrigens ist wie bei den Schauspielern auch, ein großer Unterschied zu früheren Zeiten, wo leicht aussprechbare und kurze Namen favorisiert wurden.

Überhaupt ist der Film wie das Buch eine kulturhistorische Tat, denn es werden Lebensentwürfe gezeichnet, von denen man glaubt, sie seien heute nicht mehr möglich, was sicher ein Vorurteil ist, aber doch so anmutet. Dieser Film auf jeden Fall zeigt eine Mutter, die bis zum Äußersten geht, im Wunsch aus dem Sohn den tollsten Sohn der Welt, den interessantesten Mann der Welt und überhaupt den Erfolgreichsten zu machen. Als er sich ein Jahr nach dem Selbstmord (1979) seiner zweiten Frau Jean Seberg ebenfalls umbrachte (1980), hinterließ er schriftlich, daß beide Selbstmorde nichts miteinander zu tun hätten. Der Film hat mit dem Ende des Krieges und der erfolgreichen staatlichen Karriere von Romain Gary ein Ende, so daß kein Anlaß ist, über das Muttersöhnchen oder auch über den lebenslangen Ritter der Mutter Worte zu verlieren, obwohl der Zusammenhang mit der Mutter schon interessant wäre. Aber wir sind auch so froh, am Beispiel der Mutter von Romain Gary eine solche Mutterfigur näher kennenzulernen, die als Beispiel für eine klassische double bind Bindung Mutter und Sohn herhält.

Foto:
© Verleih

Info:

BESETZUNG
NINA             CHARLOTTE GAINSBOURG
ROMAIN       PIERRE NINEY
ALEX GUBERNATIS         DIDIER BOURDON
ZAREMBA                        JEAN-PIERRE DARROUSSIN
LESLEY BLANCH             CATHERINE MCCORMACK
CAPITAINE LANGER        FINNEGAN OLDFIELD
ROMAIN (8-10 JAHRE)     PAWEL PUCHALSKI
ROMAIN (14-16 JAHRE)    NEMO SCHIFFMAN