f garyMutterundSohninPolenNACHTRAG Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 7. Februar 2019, Teil 7

N.N. 

Paris (Weltexpresso) - Kannten Sie Frühes Versprechen, bevor Eric Barbier Ihnen die Rolle der Nina anbot?

Nein. Ich kannte Romain Gary kaum, wusste nur von seiner Liebesbeziehung zu Jean Seberg und hatte lediglich seinen unter Pseudonym veröffentlichten Roman Gros-Câlin gelesen. Erst als ich das Drehbuch bekam, entdeckte ich Frühes Versprechen. Ich war extrem berührt von der Reichhaltigkeit der Geschichte, der Kraft der Figuren und dem Ton des Films. Von der Schreibweise Eric Barbiers habe ich mich total mitreißen lassen. Erst später, nachdem ich den Roman endlich gelesen hatte und Erics Arbeit an der Adaption beurteilen konnte, wurde mir bewusst, wie treu er der Vorlage geblieben war. Ich glaube, dass es für mich vorteilhaft war, nicht zu viel über Romain Gary zu wissen, weil ich mich so ohne zu viele Befürchtungen in das Projekt stürzen konnte.


Wie sind Sie an Ihre Figur herangegangen?

Eric hat mir alle möglichen Dokumente gezeigt. Ich schaute mir Fotos von Nina an und erforschte alle Spuren, die von ihr übrig geblieben waren. Aber es gab nicht viel über sie. Eigentlich habe ich mir die Figur von Garys Mutter angeeignet, indem ich an meine eigene Großmutter gedacht habe. Diese beiden Frauen, die etwa gleichaltrig waren, stammten aus derselben Welt, derselben Kultur. In meinen Augen ähnelten sie sich. Meine Großmutter war weniger vereinnahmend als Nina, aber auch eine starke Persönlichkeit. Ganz offensichtlich hatte sie ein ähnliches Verhältnis zu meinem Vater. Gary wuchs wie ein Einzelkind bei seiner Mutter auf, er war der Sohn schlechthin. Meine Großmutter dagegen hatte nur Töchter, die sie nicht wertschätzte und ihren geliebten Sohn. Ihm gegenüber war sie sehr anspruchsvoll, aber nicht so sehr wie die possessive Mutter in Frühes Versprechen.


Heißt das, dass die Gefühle, die Sie bei der Lektüre des Drehbuchs und später des Romans, empfunden haben, auf intime Weise in Einklang waren mit Ihren Erinnerungen, mit der Geschichte Ihrer Familie väterlicherseits?

Oh ja! Da gibt es natürlich viele Unterschiede, aber auch einen gemeinsamen Hintergrund. Mein Vater wurde in Frankreich geboren, empfand allerdings, obwohl er Osteuropa nie betreten hatte, eine Nostalgie für diese Wurzeln, die er mir sehr früh weitervermittelt hat. Auch den Umstand, aus einer jüdischen Tradition zu stammen, ohne dass je von Religion die Rede war. Die Familie meines Vaters verließ Russland im Jahr 1917. Mein Vater hat die Geschichte seiner Eltern, die vor der Revolution nach Frankreich flohen, immer sehr ausgeschmückt. Ich erinnere mich zum Beispiel an eine Geschichte mit falschen Papieren... Mein Vater und meine Großmutter – sie starb, als ich 13 war – haben den Krieg immer wie einen Abenteuerroman geschildert.


Und wie steht es um das Thema dieses erträumten und von Romain Garys Mutter idealisierten Frankreichs, das in Frühes Versprechen im Mittelpunkt steht?

Das war mir nicht sofort klar, aber es leuchtet mir ein. Meine Großeltern wollten nicht in die Vereinigten Staaten, wie so viele andere. Sie träumten von Frankreich, der französischen Kultur und hatten ein sehr idealisiertes Verhältnis zur Kunst! Was sie ihren Kindern für Namen verpasst haben, ist schon amüsant. Französischer als Lucien, Jacqueline, Liliane ging es kaum...


Also haben Sie letztlich das Bild, das Sie sich von Ihrer Großmutter machten, auf Ihre Rolle der Nina projiziert?

Deshalb war mir der Akzent so wichtig. Doch Eric Barbier sträubte sich, als ich ihm vorschlug, Nina mit einem Akzent zu spielen. Er hatte Angst, dass man zu sehr auf die Schauspielerin achten würde, die so tut als ob, und dachte, dass es nicht glaubwürdig wirken würde. Ich habe ihn reden lassen. Sechs Monate vor Drehbeginn begann ich, Polnisch zu lernen. Das war eine sehr intensive Arbeit. Und indem ich meinen verschiedenen Lehrern lauschte, darunter einer Schauspielerin, die mein Akzent-Coach war, schien es mir unvorstellbar, diese Frauenfigur in einigen Szenen Polnisch sprechen zu lassen und in anderen Französisch mit einem Pariser Akzent. Ich habe also behutsam versucht, meine Idee Eric nochmals schmackhaft zu machen und ihn schließlich überzeugt. So habe ich die Rolle zuerst über die polnische Sprache und den Akzent aufgebaut.


Das Ergebnis ist sehr gelungen: Man hört Ihnen eine Spur von Akzent an, der sehr überzeugend klingt und in der Tat unverzichtbar erscheint.

Ich hatte großartige Akzent-Coaches. Alleine hätte ich das nicht geschafft.


Sie mussten Nina nicht nur eine Stimme geben, sondern auch einen Körper...

Das stimmt. Ich befand mich für einen anderen Dreh in Polen, als Eric und eine Kostümbildnerin zu mir kamen, um erste Kostümproben mit mir zu machen. Doch etwas funktionierte nicht. Ich war zu dünn, um einer Frau zu ähneln, die ein Leben wie Garys Mutter gelebt hatte. Schließlich konnte ich ja nicht als verkleidete Pariserin aufkreuzen, die vorgab,  ihr Leben in den verschneiten Straßen Wilnas verbracht zu haben. Ich musste mir eine gewisse Körperfülle aneignen und keine Angst davor haben, abgelebt und älter zu wirken. Ich entschloss mich für Schminke und Perücken sowie mit falschem Hinterteil und falschen Brüsten zu spielen. Das hat mir die Freiheit verschafft, mich so weit wie möglich von mir selbst zu entfernen. Doch als die Dreharbeiten vorbei waren, machte ich mir auf einmal einen Kopf. Wie nach den Filmen von Lars von Trier. Ich fragte mich, ob ich nicht ein wenig dick aufgetragen hätte. Selbst Eric, dem ich eigentlich sehr vertraue, konnte meine Zweifel gen Drehschluss nicht zerstreuen.


Was halten Sie von der Figur? Ist es ein Segen oder ein Fluch, solch eine Mutter zu haben?

Da bin ich gespalten. Ich mag diese Mutter so gern... Dennoch glaube ich, dass sie eher ein Fluch ist, weil sie schwer auf seinen Schultern lastet. Es ist eine ständige Zerreißprobe. Andererseits gibt sie ihm so viel mit: eine starke Persönlichkeit, den großen Appetit auf das Leben. Aber ich habe mich nicht gefragt, ob sie gut oder schlecht für ihren Sohn ist. Dass sie ihn erdrückt, das ist klar. Aber ich wollte sehr buchstäblich die Liebe und die Leidenschaft nachempfinden, die diese Frau für ihren Sohn empfindet und konnte das nur auf eine sehr intensive Weise ausdrücken. Einen Abstand wollte ich gar nicht aufbauen.


War es schwer, die zutiefst komische Dimension dieser Figur zu artikulieren, mit all ihrer Härte und ihrem gleichzeitig herzzerreißenden Schicksal?

Das Drehbuch ist dermaßen gut geschrieben und vermittelt solch eine starke Empathie für die beiden Figuren. Die Handlung ist schon recht ungewöhnlich, außerdem spricht man nur sehr selten solche Dialoge. Mir hat die Rolle Spaß gemacht. Die komische Dimension war mir immer gegenwärtig, denn meine Großmutter hatte einen ganz speziellen Humor, der mir sehr ähnlich vorkam.


Sie kommen immer wieder auf die Verbindung zwischen Frühes Versprechen und Ihrer eigenen Familiengeschichte zurück...

Ja, es stimmt, dass ich während der Arbeit oft auf meine eigene Familiengeschichte zurückkam. Von meinem Vater, meiner Familie zu sprechen, war mir ein Bedürfnis. Manchmal fragte ich mich, ob es für Eric nicht besser gewesen wäre, mit jemandem zu arbeiten, der voller Bewunderung für Gary gewesen wäre. Aber Eric war sehr großzügig mir gegenüber. Er hat mich in alle Phasen der Arbeit eingebunden und meine Meinung wirklich berücksichtigt. Die Sache mit dem Akzent, aber auch andere Dinge. Das kommt selten vor, dass ein Regisseur so auf seine Schauspieler hört. Und es hat mir gut getan, so viel Anerkennung für meine Arbeit zu erhalten, zu spüren, dass ich ihn überraschen konnte...


Nina ist eine recht undurchsichtige Figur, von der man nur weiß, wie besessen sie von ihrem Sohn ist. Verbirgt sie ein Geheimnis?

In einer Szene fragt der Kleine, warum seine Mutter nie von seinem Vater spricht, und meine Figur antwortet darauf ausweichend. Eric hat mir gesagt, dass er schließlich auf jede Anspielung auf den Vater verzichtet hätte. Das fand ich gut.


Der Film macht eine etwas monströse Mutter aus ihr, die sowohl Mutter als auch Vater ist.

Ja. Eric hatte mir die monströse Seite der Figur geschildert. Ein Monster voller Lebenskraft und Sturheit. Ich erinnere mich an eine Einstellung, an der ihm viel lag. Nina geht die verschneiten Straßen entlang, und es war, als ob Eric ein Monster im Anmarsch filmte...


Welche Szenen waren für Sie am schwierigsten zu drehen?

Da fallen mir besonders zwei Dinge ein. Zuallererst das Polnische, das war wirklich sehr schwer. Wir mussten den Dreh mit den Szenen in Wilna beginnen, und dass ich meine Rolle gleich mit all den Szenen auf Polnisch beginnen musste, stellte für mich eine enorme Herausforderung dar. Da gibt es unter anderem eine lange Szene am Anfang des Films, die sowohl in der Wohnung als auch im Hof spielt, wenn ich von Polizisten belästigt werde. Ich schreie herum, es muss schnell gehen, und das alles auf Polnisch... Die zweite Schwierigkeit bestand in den Szenen mit dem kleinen Pawel, der Romain als Kind spielt. Ich liebe dieses Kind. Er war so rührend in seiner Rolle als Schauspieler, stolz und bescheiden zugleich. Er gehorchte Eric aufs Wort, doch der war manchmal etwas streng mit ihm.


War es schwierig, mit drei verschiedenen Schauspielern zu arbeiten, die den Sohn in drei unterschiedlichen Lebensabschnitten spielen?

Man gewinnt einen Schauspieler lieb, und dann wird er von einem anderen abgelöst. Das war interessant. Pawel habe ich mich sehr nahe gefühlt. Unsere Rollen haben wir uns zusammen erarbeitet. Und dann war da diese körperliche Beziehung zu ihm. Wenn ich manchmal sein Gesicht berührte, schien es, als berühre ich mein eigenes Gesicht. Mit Nemo, der Romain als Jugendlichen spielte, und mit Pierre, der ihn als Erwachsenen spielt, bestand die Schwierigkeit in der Bemühung, die Nähe zu dem Kind wieder herzustellen.

Foto:
© Verleih

Info:

BESETZUNG
NINA             CHARLOTTE GAINSBOURG
ROMAIN       PIERRE NINEY
ALEX GUBERNATIS         DIDIER BOURDON
ZAREMBA                        JEAN-PIERRE DARROUSSIN
LESLEY BLANCH             CATHERINE MCCORMACK
CAPITAINE LANGER        FINNEGAN OLDFIELD
ROMAIN (8-10 JAHRE)     PAWEL PUCHALSKI
ROMAIN (14-16 JAHRE)    NEMO SCHIFFMAN

Abdruck aus dem Presseheft