ber zur SacheRückblick auf die Berlinale-Retrospektive 2019

Claus Wecker

Berlin (Weltexpresso) - Ein kultureller Wandel hierzulande lässt sich auch an den Themen der Berlinale-Retrospektiven ablesen. Noch 2006 ging es in der filmhistorische Sektion der Festspiele um "Traumfrauen. Stars im Film der fünfziger Jahre" und ein Jahr später um "City Girls. Frauenbilder im Stummfilm".  Auch mit der Einschränkung, dass die burschikosen It-Girls den Männern ganz schön selbstbewusst auf die Füße traten, dominierte in den Filmen der Stummfilmzeit doch der männliche Blick. Und von den Traumfrauen der Fünfziger wurde wohl vornehmlich in männlichen Köpfen geträumt.

Die diesjährige Retrospektive untersuchte hingegen die "Perspektiven von Filmemacherinnen" anhand ihrer deutschen Arbeiten aus der Zeit von 1968 bis 1999. Es überwogen die Spiel- und Dokumentarfilme aus der BRD,  während die DDR mit nur drei Spielfilmen (und fünf Kurzfilmen) unterrepräsentiert war.  Ausgangspunkt sei die Rückschau aus dem Jahr 2016 "Deutschland 1966 - Filmische Perspektiven in Ost und West" gewesen, erläuterte Rainer Rother, der Leiter der Deutschen Kinemathek und somit auch der Berlinale-Retrospektive, vorab das Programm.

Dessen Schwerpunkt lag auf der westdeutschen Emanzipationsbewegung der Frauen als Bestandteil der 68-Bewegung. Mit den Männern demonstrierten sie  gegen den Vietnamkrieg und die Notstandsgesetze, gegen diese kämpften sie für ihre Gleicberechtigung, was heute gerne als Miteinander beschönigt wird. Wir Männer waren aber keineswegs begeistert und belächelten verständnislos ihre Forderungen. Wir wollten (und wollen wohl auch heute noch)  lieber von den Damen bewundert werden.

ZUR SACHE SCHÄTZCHEN schlug aus diesem problematischen Geschlechterverhältnis komödiantische Funken und wurde 1968 zu einem der größten Publikumserfolge im Kino. "Man sollte endlich die Langeweile aus den deutschen Kinos vertreiben – denn das haben die Herren vom Jungen Deutschen Film bisher kaum geschafft", provozierte die Regisseurin May Spils.

In den "Frauenfilmen" ging es weniger lustig zu – sie wandten sich den gesellschaftlichen Problemen ihrer Geschlechtsgenossinnen zu. Beim Wiedersehen wirken die Filme heute nicht so aggressiv anklagend wie zu ihrer Entstehungszeit und in ihren Schilderungen differenzierter als manch männliches Werk. Es war damals eben ungewohnt, dass Frauen plötzlich nicht nur für Filmschnitt und Kostüme zuständig waren und vielleicht noch am Drehbuch mitschrieben, sondern auch die Regie und somit das Kommando am Set führten und die Themen nach ihrem Gusto bestimmten.

Exemplarisch ist immer noch Helke Sanders DIE ALLSEITIG REDUZIERTE PERSÖNLICHKEIT – REDUPERS von 1978, ein essayhafter Spielfilm über eine alleinerziehende, berufstätige Mutter in West-Berlin. Der Titel spielt auf das sozialistische Ideal von der "allseits eintwickelten Persönlichkeit" an. Im Gegensatz dazu ist die Persönlichkeit der berufstätigen Mutter von ihren verschiedenen Aufgaben bestimmt. Der Film besitzt eine fragmentarische Struktur, die Handlung ist mit Dokumentaraufnahmen unterlegt.

Hauptfigur Edda (Helke Sander) ist Fotografin, also in einem dem Filmedrehen ähnlichen Beruf unterwegs. Sie fotografiert auf einer Demonstration und arbeitet an einem politisch-künstlerischen Projekt. Ihre Frauengruppe muss sich mit Dumpingpreisen gegen die männliche Konkurrenz durchsetzen.
Damit sind gleich mehrere Themen angesprochen, die für  "Frauenfilme" charakteristisch sind: das zerrissene Leben zwischen Kinderaufziehung und Erwerbsarbeit, der Kampf um Gleichstellung im Beruf und oft ein direkter Bezug zur Lebenswirklichkeit der jeweiligen Regisseurin. Die Filme handeln von Dingen, mit denen sich ihre Schöpferinnen auskennen, und das sieht man ihnen an.

Vermisst wurden wichtige Beispiele aus der Welt der Arbeiter und Angestellten wie WARUM IST FRAU B. GLÜCKLICH? (1968) von Erika Runge und ANGELIKA URBAN, VERKÄUFERIN, VERLOBT (1970) von Helma Sanders-Brahms, deren UNTER DEM PFLASTER IST DER STRAND von 1975 zu sehen war. Zusammen mit dem in Berlin gezeigten FÜR FRAUEN. 1. KAPITEL (1972) von Cristina Perincioli sind diese Filme Zeitdokumente, in denen es neben der geschlechterspezifischen auch um die gesellschaftliche Benachteiligung der Protagonistinnen geht.

Ein besonderes  Dokument ist VERRIEGELTE ZEIT (1990) von Sibylle Schönemann, die aufzuarbeiten versucht, wie sie nach einem Ausreiseantrag in der DDR verhaftet und  verurteilt wurde. In ihren Interviews mit den damals Verantwortlichen zeigt sie Beharrlichkeit, aber auch ihre Verletztheit in einer berührenden Weise. Man kann dies als eine weibliche Darstellung eines persönlich-politischen Themas bezeichnen.

Auch die Reise in die Vergangenheit ihrer Familie in einem hessischen Dorf, die Recha Jungmann 1980 unternommen hat, ist kein "Frauenthema". Vergleicht man aber die Interviews in ihrer Doku ETWAS TUT WEH (1980), die sich auch um ihren Großvater und dessen offene Ablehnung des NS-Regimes sowie um die Nazi-Vergangenheit des Dorfes drehen, mit den Interviews, die Marcel Ophüls in LE CHAGRIN ET LA PITIÉ / DAS HAUS NEBENAN geführt hat, fällt Jungmanns Behutsamkeit auf. Sie will nichts beweisen, konfrontiert nicht, stellt nicht bloß. Sie wirft einen tastend-fragenden, sehr persönlichen Blick auf ihre Familiengeschichte.

Eine besondere Beziehung zum Körper ist in einigen Filmen zu beobachten, etwa in der versponnen-bayerischen Nachkriegserzählung aus Kinderperspektive, PEPPERMINT FRIEDEN (1983), von Marianne S.W. Rosenbaum oder in Nina Grosses DER GLÄSERNE HIMMEL (1987), ein faszinierender Pariser Neo-Noir und eine der Entdeckungen der Retrospektive. Der menschliche Körper ist hier keine Maschine, sondern untrennbar mit der Person verbunden. Er will berührt, gestreichelt, angezogen und ausgezogen werden. Zu ihm haben die Frauen einen intensiveren Bezug als wir Männer. Und manchmal sieht man das auch an ihren Filmen.

Fotos:
Zur Sache, Schätzchen | Go for It, Baby
Retrospektive 2019
BRD 1968
von: May Spils
Werner Enke, Uschi Glas
© Deutsche Kinemathek / Schamoni Film & MedienKennen Sie Urban? | Do You Know Urban?

Retrospektive 2019
DDR 1971
von: Ingrid Reschke
Berndt Renné, Jenny Gröllmann, Harald Wandel
© DEFA-Stiftung / Klaus Mühlstein


Die allseitig reduzierte Persönlichkeit – Redupers | The All-Round Reduced Perso...
Retrospektive 2019
BRD 1978
von: Helke Sander
Helke Sander
Quelle: Deutsche Kinemathek, © Basis-Film Verleih


Der gläserne Himmel | The Glass Sky
Retrospektive 2019
BRD 1987
von: Nina Grosse
Helmut Berger, Sylvie Orcier
© Deutsche Kinemathek / Simona Fix