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Kategorie: Film & Fernsehen
f JacekuDagmaraSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 14. März 2019, Teil 9

N.N.

Warschau (Weltexpresso) - Identifizieren Sie sich mit Jacek?

Es gibt für mich eine starke Verbindung zu ihm. Diese Figur, die Verärgerung, Lachen und Erstaunen hervorruft, nicht nur in seiner Familie, sondern im ganzen Dorf, berührt mich mit ihrer reinen und natürlichen Energie, ihrer Ehrlichkeit in einer Welt voller Störungen. Jacek besitzt alle Charakterzüge eines romantischen Helden. Er ist die Definition von Freiheit. Zusammen mit Michał Englert, dem Kameramann und Koautor des Drehbuchs, hinterfragen Sie die Rolle der Herkunft einer Person für ihr Leben.


Denken Sie, dass Jaceks Familie für ihn auf eine Art zum Stigma wird?

Zu Beginn des Films ist seine Familie zugleich seine Stärke und sein Schwachpunkt. Er ist, wie er ist, wegen ihnen und dank ihrer. Wer er wird, nachdem der Unfall passiert ist, ist ebenfalls Ergebnis ihres Umgangs mit Jacek. Die Familie hat Probleme, den neuen, anderen Jacek anzunehmen. Seine Mutter denkt sogar, dass er überhaupt nicht Jacek ist und drückt ihre Zweifel aus, sehr typisch für Polen und ihre Sicht auf Transplantationen. Denn diese wären nicht „im Einklang mit der Religion“. Diese typisch katholische polnische Familie ist eher ein Fluch für den Helden – weshalb er ihrer entfliehen möchte. Die Einzige, die ihn akzeptiert, ist seine Schwester.

Wir zeigen eine polnische Familie an einem Wendepunkt. Vielleicht verurteilen manche Menschen diese Familie und ihre Verhältnisse, andere werden sie als eine ganz normale Familie aus der Provinz wahrnehmen. Ich überlasse es dem Publikum, sich eine eigene Meinung zu bilden. Natürlich sind sie ein wenig dysfunktional, aber welche Familie ist das nicht?

Wie dem auch sei, mein Ziel ist es nicht, eine Familie aus dem ländlichen Polen zu stigmatisieren. Der Film ist ein Märchen über ein menschliches Wesen, das zum Sonderling wird – nicht nur zum Außenseiter, sondern zu einem Abtrünnigen, in einem gewissen Sinne sogar zu einem Sünder.


Es ist aber nicht das erste Mal, dass Sie die polnische Provinz zeigen.

Ich kenne das Polen außerhalb der Großstädte sehr gut. Während meiner Kindheit verbrachte ich jedes Jahr viel Zeit mit meinen Eltern in einem masurischen Dorf. Bis heute ermöglichen mir diese Erfahrungen Einblicke in die Leute auf dem Land und ich fahre mit meinen Kindern und Freunden immer noch ins Landhaus meiner Eltern.

Die Handlung des Films spielt im wunderschönen und unberührten südlichen Teil Polens, aber in erster Linie interessiert mich dieser junge Mann, der eine Art von Dilemma und Mysterium erlebt, der von wilder Natur umgeben ist und auf eine gewisse Weise auch unter wilden Menschen lebt. Die Welt auf dem Lande ist gleichzeitig schön und grausam, die Menschen können bösartig sein. Alles wirkt dort einfacher, die Regeln des Lebens sind klarer, urtümlicher. Das ländliche Leben basiert auf Beziehungen und auf der Koexistenz mit der Natur. Als Mensch kann man sich nicht von seinen Wurzeln befreien, sie werden einen immer wieder umfangen.

Mir gefällt es, dieses Polen zu zeigen, aber es ist gleichzeitig ein Polen, dem Jacek entfliehen möchte. Trotz dessen ungezähmter Schönheit.


Die Idee zu DIE MASKE beruht auf wahren Begebenheiten, richtig?

Ja, diese ergeben den Hintergrund für die Handlung des Films. Zum einen ist der Bau der größten Christusstatue in Świebodzin wichtig. Sie ist größer als die Statue in Rio de Janeiro. Zum anderen geht es um die erste Gesichtstransplantation, mit der das Leben eines Patienten gerettet wurde. Sie wurde von den Mediziner*innen am Onkologischen Zentrum in Gliwice vollzogen. Ich habe umfassende Informationen zu diesen beiden Ereignissen gesammelt und wir sprachen auch mit Grzegorz Galasiński, bei dem die Operation vorgenommen wurde. Das Treffen mit ihm half uns sehr.


Wie wichtig war die Charakterzeichnung der Hauptfigur Jacek für den Film?

Sie war essentiell. Während Jacek vor dem Unfall einfach ein gutaussehender, charmanter Junge voller Leben ist, musste seine Erscheinung nach dem Unglück Ablehnung hervorrufen, obwohl sein Charme erhalten bleiben sollte. Das war eine schwierige Aufgabe. Jacek nach dem Unfall ist eine Person, die Menschen verängstigen kann. Die Operation war vom medizinischen Standpunkt aus gesehen erfolgreich, weil sie sein Leben rettete. Aber unter ästhetischen Gesichtspunkten fragt man sich, wie man mit solche einem Gesicht leben kann, wie man in der Familie klarkommt, auf der Arbeit, auf der Straße, mit einer Frau.

In Mateusz Kościukiewicz, der Jacek spielt, war dies alles schon angelegt, die Ausstrahlung des jungen, geradlinigen Mannes, der mit Hoffnung und Glauben an die Zukunft durchs Leben geht, aber auch die Person, die nach einem Unglück den Platz in seiner Familie und in dem Dorf, aus dem er kommt, neu definieren muss.


Alle in seinem Umfeld lehnen Jaceks Erscheinung ab, außer seine Schwester und sein Großvater, während er eigentlich nur zu seinem Leben vor dem Unfall zurückkehren möchte...

Das fand ich faszinierend. Er hat sich innerlich nicht verändert, nur seine Körperlichkeit ist anders. Er verspürt keinen Hass auf das Schicksal. Jacek beugt sich nicht und verzweifelt nicht, es gibt keinen Groll und keine Lebensverachtung in ihm. Er weiß, dass das Leben weitergehen kann, aber es sind die Leute um ihn herum, die ihm keine Chance geben.


Mateusz Kościukiewicz verbrachte täglich mehrere Stunden in der Maske um das Gesicht von Jacek nach dem Unfall zu erhalten.

Waldemar Pokromski, unser Maskenbildner, begann häufig schon um 4 Uhr morgens mit der Arbeit, damit Mateusz um 8 Uhr fertig war. Es war nicht einfach, aber das Ergebnis war den Aufwand wert! Sie haben beide eine erstaunliche Leistung vollbracht, man kann es in jedem Detail erkennen. Mateusz hat sich bis zur Unkenntlichkeit verändert, aber zugleich sehen wir dieselbe Person, wenn wir ihn ansehen.


Die Beziehung zwischen Jacek und seiner Schwester scheint essentiell für die gesamte Geschichte zu sein.

Die Schwester ist die einzige, die an Jacek glaubt. Sie hilft ihm nach dem Unfall beim Umgang mit den Medien, unterstützt die Spendensammlungen für seine Genesung. Sie ist jeden Tag bei ihm, hilft ihm bei den einfachsten und schwierigsten Alltagsaufgaben, in anderen Worten: sie bringt ihm bei, wie er insLeben zurückkehren kann. Dabei vergisst oder übersieht sie häufig ihre eigene Familie. Ihre Verbindung ist sehr außergewöhnlich. Die Schwester tut alles, um Jacek in eine ausgeglichene Existenz und ins gesellschaftliche Leben zurückzubringen, damit er nicht den Glauben an sich oder andere verliert. Tatsächlich war die Schwester von Grzegorz Galasiński, dem Transplantationspatienten, der als Inspiration für die Handlung diente, genau solch ein Mensch und wir formten die Filmfigur nach ihr.


Es ist eine starke Verbindung, die einen berührt, aber das war schon vor Jaceks Unfall so.

Das stimmt, aber gleichzeitig hört Jacek abfällige Bemerkungen über seine Erscheinungen nicht nur von den Dorfbewohner*innen, sondern auch aus der eigenen Familie. Er wird toleriert, aber wird auch zur Zielscheibe von Witzen und Spott. Die Schwester ist die einzige, die ihm das Recht auf Freiheit einräumt, darauf, mit sich selbst Frieden zu schließen. Sie akzeptiert ihn, wie er ist, sie versucht nicht, ihn zu ändern, sie fordert nicht, dass er sich anpassen soll: seine Haare schneiden, den Bart abnehmen und einen Anzug tragen soll. Sie ermutigt ihn, das Dorf zu verlassen, sie erhält das Begehren gegenüber allen anderen aufrecht, etwas anderes zu tun als dem natürlichen und vorhersehbaren Lebensweg zu folgen. Das hängt vor allem mit dem Umstand zusammen, dass sie ihre Chance verpasst hat. Ihr Bruder ist ihre Hoffnung, ihren Traum von der Flucht zu verwirklichen. Sie glaubt daran, dass er schafft, was sie nicht konnte. Deswegen glaubt sie so sehr an ihn und unterstützt ihn in allen Lebenslagen. 


DIE MASKE ist ein universeller Film, geradlinig, aber auch sehr geistreich in seiner Botschaft.

Ich mache Filme über das, was mich in Polen beschäftigt. Was mir aufstößt sind der tief wurzelnde unhinterfragte Katholizismus, Heuchelei, Menschenfeindlichkeit, der Mangel an Toleranz und die Blindheit für alles, was anders oder neu ist. Diese Elemente waren in all meinen Filmen präsent, aber DIE MASKE ist unbequemer als all die anderen. Das ist einfach so passiert. Ich kann mir nicht vorstellen, mich bestimmten Themen auf den Knien anzunähern, voller Demut oder mit einer bestimmten These, von der ich ausgehe. Ich weiß, dass ich gewisse Dinge nicht bekämpfen kann, aber ich kann mich über sie lustig machen. Ich habe den Eindruck, dass wir in Polen alle davon profitieren würden, wenn wir mehr lachen und weniger streiten würden. Und genau das ist mein Film: Jacek verliert nicht den Mut, trotz aller Schicksalsschläge und dem Verhalten seiner Verwandten. Ich sehe, was in Polen passiert, es macht mir Angst, verletzt mich und erfüllt mich mit Zorn. Aber wenn ich auf diese Weise davon erzählen würde, würde niemand zuhören wollen. Also habe ich schwarzen Humor gewählt.

Mit Michał Englert bin ich mir einig über die Art von Kino, die wir erschaffen möchten. Wir vertrauen uns gegenseitig und es scheint mir, dass wir immer größere Risiken eingehen können. Wenn es um Humor in Filmen geht, probieren wir an uns selbst aus, wie es funktionieren kann. Im polnischen Kino gibt es nicht viele Komödien, die in der Vergangenheit im Ausland geschätzt wurden. Vielleicht muss sich das ändern. Ich werde nicht als nächstes eine Komödie drehen, aber mich interessiert schwarzer Humor im polnischen Kino, denn er ist erfrischend und spricht einen auf direkte Weise an. Ich denke, es ist ein wichtiger Ansatz, Polen aus einer anderen Perspektive als aus der ernsthaften, historischen oder sogar aus einer Märtyrerperspektive zu betrachten, an die sich die Welt gewöhnt hat. Ich wollte bereits vorher viele im Land vorhandene Themen aufgreifen, oder sagen wir, Themen, die symbolisch für das gesellschaftliche Klima sind. Immer mit einer Prise Salz, aber das war in unterschiedlichem Grad erfolgreich. Nach dem Film BODY, als unser filmischer Sinn für Humor bei den Kritiker*innen in Polen und anderswo sehr geschätzt wurde, erwachte bei mir der Wunsch, zu zeigen, dass die Menschen in Polen auch mit Abstand auf sich selbst blicken können. In meinem Leben bin ich überzeugt, dass uns nur Abstand und Witz retten können.


Vor was retten können?

Nun, in erster Linie vor uns selbst.


Foto:
© Verleih

Info:
Regie:        Małgorzata Szumowska
Drehbuch: Małgorzata Szumowska und Michał Englert
Kamera:    Michał Englert
Schnitt:     Michał Englert

Dem Presseheft entnommen.