f hausmeerSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. März 2019, Teil 1

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Es passiert so selten, daß ein kleines Leben, auch wenn es drei Geschwister sind, die nach Hause, ins Haus am Meer fahren, weil der Vater jäh gestorben ist, daß ein solches Leben sich mischt mit der großen Weltpolitik auf eine Art und Weise, die natürlich ist, nichts Aufgesetztes hat.

Wir sind in einer traumhaften kleinen Bucht nahe Marseilles und allein diese Aufnahmen auf sich wirken zu lassen, daß es so etwas noch gibt, macht einen glücklich. Aber die, die dort wohnten waren es nicht mehr, denn die Häuser, die sich an die Anhöhe schmiegen, sind fast alle leer, die Bewohner sind weg und nur im Sommer bevölkern Touristen die Bucht, das alles keine kalte Pracht, sondern eine warme. Das gilt auch für das Elternhaus, ein kleines Fischrestaurant, das der Vater mit einem der Söhne, mit Armand (Gérard Meylan, führt, der Vater, den wir gerade noch kennenlernen, wenn er die Terrasse mit der weiten Sicht übers Meer betritt, im Rücken die Schlucht und die hohe Eisenbahnbrücke, und doch tatsächlich sagt, wenn wir das richtig gehört haben: „Was soll‘s“ und tot umfällt.

So richtig verstehen wir das aber erst in dem Moment, wenn alle drei Kinder angereist sind, um die es im Film gehen wird. Da ist neben Armand die Schwester Angèle, eine Theaterschauspielerin (Ariane Ascaride), die mit dem Vater nichts mehr zu tun haben wollte, und Joseph, von dem es heißt, er sei ein idealistischer Gewerkschaftler (Jean-Pierre Darroussin). Neben den Erinnerungen beim Durchstreifen des kleinen Ortes oder des Elternhauses, die viele gemeinsam erlebten Szenen heraufbeschwören, drängen sich den Geschwistern die Frage auf, wie es weitergehen soll. Wobei die Antwort schon vor der Frage erfolgt: denn es ist allen klar, daß sie ihre vertraute Umgebung, ihre Beschäftigung, ihre persönlichen Bande nicht aufgeben wollen und alle Vernunftgründe für den Verkauf des Hauses und das Verlassen der Bucht sprechen.

Wenn wir erst vor kurzem feststellten, daß sich deutsche Filme vorwiegend um Beziehungsprobleme drehen, meist Mann und Frau, während sich französische Filme stärker um die Familie und die Beziehungen untereinander kümmern, so ist dieser Film die nächste Bestätigung für eine solche These. Regisseur Robert Guédiguian gehört mit seinen vielen Filmen zu denen, die Familie im Blick haben und der auch in der Besetzung der Schauspieler Familie ausübt. Die Darstellerin der Angèle ist seine Frau, die Darsteller der Brüder beiden seit langem vertraut und in vielen Filmen dabei.

Zu Beginn werden zwischen den Geschwistern erst die Jahre der Entfremdung zwischen ihnen zum Thema. Angèle will eigentlich sofort wieder weg, aber nach und nach – und wir sind dabei und spüren die atmosphärische Veränderung fortlaufend – wird die Vergegenwärtigung der gemeinsamen Vergangenheit zu einer Basis für eine gemeinsame Zukunft. Nein, nicht in dem Sinn, daß nun alle hierherziehen und das Restaurant gemeinsam betreiben. Die Lösung liegt auf einer anderen Ebene – und die imponiert.

Schon zu Beginn hatten wir die Spürtrupps erlebt, die die Bucht auf der Suche nach Überlebenden eines verunglückten Flüchtlingsbootes durchstreiften. Soldaten? Polizei? Auf jeden Fall bedrohlich, bei allem Schutz, den sie doch ausüben sollen. Und als die Geschwister immer wieder spazierengehen, finden Sie auf einem der Gänge auf der Anhöhe verborgen unter Zweigen Sachen von Kindern und später die Kinder selbst, die das Bootsunglück überlebt haben und nun Angst vor Entdeckung haben.

Hier also ist die Schnittstelle, wenn das verhandelbare Leben von Dreien mit Flüchtlingskindern zusammenstößt, von denen man ja weiß, wie traumatisiert sie sind und wie ihre ‚Karriere‘ in Lagern weitergeht, erst recht, wenn sie überlebt haben und die Eltern tot sind. Und man kann sich bei diesen Worten alles Mögliche vorstellen, wie diese Geschichte weitergeht. Aber es kommt ganz anders. Fein und leise gelingt es dem Film so unterschiedliche Ausgangslagen elegant, unaufdringlich und sinnreich weiterzuführen.

Nein, weiter verraten wollen wir nichts, nur dies, daß man das Gefühl gewinnt, echtes Leben vor einem zu sehen, so kompliziert wie es ist, so verschlungen wie es ist, so traurig wie es sein kann, so fröhlich, wie man es leben sollte. Auf jeden Fall leben.

Foto:
© Verleih

Info:
Darsteller
Angèle         Ariane ASCARIDE
Joseph        Jean-Pierre DARROUSSIN
Armand       Gérard MEYLAN
Martin         Jacques BOUDET
Bérangère   Anaïs DEMOUSTIER
Benjamin    Robinson STÉVENIN
Yvan           Yann TREGOUËT