f cyro4Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. März 2019, Teil 9: Ein Gespräch mit Thomas Solivérès

N.N.

Paris( Weltexpresso) - Wie kam es dazu, dass Sie die Rolle des Edmond Rostand spielen?

Ich kannte Alexis seit einigen Jahren ziemlich gut, aber außer für einen Kurzfilm hatte ich nie mit ihm gearbeitet. Als wir dann eines Tages gemeinsam im Theater waren, erzählte er mir, dass er vorhabe, seinen Edmond ins Kino zu bringen, dass er einen Darsteller für die Titelrolle suche und dass er es sehr gern sähe, wenn ich Probeaufnahmen machen würde. Und er reichte mir einen ziemlich langen Text und sagte, ich hätte zwei Wochen, um ihn auswendig zu lernen. Das war echt wenig Zeit, aber ich glaube, er wollte auch testen, wie motiviert ich war. Für mich war es nicht die erste große Kinorolle, aber es war die erste derart vielschichtige, eine Charakterrolle, und noch dazu in einem Historienfilm.

Ich habe mir ein Bein ausgerissen, bin zu den Probeaufnahmen gegangen und habe sie trotz wahnsinnigen Lampenfiebers gut hingekriegt. Und dann ging es los! Dass ich Edmond Rostand spielen sollte, den Schöpfer von Cyrano, einer der sagenumwobensten Figuren der Theaterliteratur ...Ich schwebte auf Wolken.


Wie ist es, so eine berühmte Persönlichkeit zu spielen?

Das ist Wahnsinn, denn seit ich mit der Schauspielerei angefangen hatte – und ich weiß nicht genau, warum – träumte ich von einem Biopic. VORHANG AUF FÜR CYRANO ist ja nicht wirklich eines, aber fast. Jedenfalls habe ich mich darauf vorbereitet, als wäre es eines. Ich habe alles über Edmond Rostand gelesen, was ich finden konnte, über sein Leben, seine Werke, den Briefwechsel mit seiner Frau, über seine Epoche, das Paris seiner Zeit, seine Zeitgenossen. Ich habe mich auch mit Alexis viel über ihn ausgetauscht und über die Art und Weise, wie ich ihn seiner Vorstellung nach spielen sollte. Die Vorbereitungsphase zu den Dreharbeiten hat riesigen Spaß gemacht.

Ich habe mir auch die beiden Darsteller angeschaut, die Edmond auf der Bühne spielen, Guillaume Sentou und Benjamin Wangermee. Es ging mir nicht darum, bei ihnen irgendetwas abzuschauen, sondern die Atmosphäre und das Tempo der Aufführung zu erspüren, denn das Drehbuch bewegt sich nah am Theaterstück. Guillaumes Edmond ist ein ganz anderer als der von Benjamin, und alle beide haben wenig mit meiner Interpretation zu tun, vor allem, weil man auf der Bühne anders spielt als vor der Kamera. Im Theater muss die Stimme „getragen“ sein, man richtet sich nach vorne; im Kino ist es genau andersherum, die Kamera sucht dich. Das sind zwei völlig unterschiedliche Spieltechniken, und ich mag beide sehr gern. Und so versuche ich immer zwischen Bühne und Set abzuwechseln.


Gibt es Ähnlichkeiten, die Sie persönlich mit der Figur des Edmond haben?

Davon abgesehen, dass die Rolle vom Alter her genau auf mich passte, hat Alexis mir keine Erklärung gegeben, warum er mich für die Rolle wollte. Aber weil er die Persönlichkeit des Autors von Cyrano von Grund auf studiert hatte, wusste er, dass es zwischen ihm und mir Ähnlichkeiten gibt: die Sorge, keinen Erfolg zu haben, der Mangel an Selbstbewusstsein, der Anspruch an die eigene Arbeit, ein ausgeprägter Hang zur Träumerei usw. Wenn ein Schauspieler so viel mit einer Figur gemeinsam hat, fühlt er sich ihr zwangsläufig nahe. So ging es mir mit Edmond. Er war mir sofort vertraut. Um ihn zu verkörpern, habe ich viel von meiner eigenen Persönlichkeit in ihn hineingelegt. Als die Dreharbeiten zu Ende waren, hatte ich auch Mühe, ihn abzustreifen. Mir gelingt es noch nicht wie Olivier Gourmet, mich von meinen Rollen zu distanzieren. (Lacht.)


Wie ging die äußerliche Verwandlung von statten?

Ich liebe es, ganz anders auszusehen und ein anderer zu werden. Deshalb mag ich auch meinen Beruf so gern. Mich in Edmond zu verwandeln war gleichermaßen Arbeit wie Vergnügen. Erst haben wir den passenden Bart gefunden, dann haben wir die Frisur in Angriff genommen, was schwieriger war. Rostand fielen die Haare aus, ich habe volles Haar. Man hat sie mir also nach hinten gekämmt und an den Kopf geklebt und die Geheimratsecken ausrasiert. Um seine beginnende Kahlheit auszugleichen, die ihm viel Kummer bereitet hat, kleidete sich Rostand immer wahnsinnig elegant. Also mussten auch meine Anzüge und Hemden besonders sorgfältig ausgewählt werden. Rostand war sehr schlank, ich habe also ein bisschen abgenommen, um dünner zu erscheinen.

Ich habe mir viele Modeskizzen vom Ende des 19. Jahrhunderts und sogar auch ein paar Filme angesehen. Die Leute waren damals sorgfältiger zurechtgemacht als heute. Schminken, Frisur, Bartankleben, alle Kleider anlegen – Hemd, Weste, Jacke etc. – ich war schon immer gut beschäftigt, mich äußerlich in Edmond zu verwandeln. Es war wie ein Ritual, und es hat mich nicht gestört, im Gegenteil. Das Kostüm ist sozusagen der Haupteingang zum Wesen einer Figur. Die äußeren Veränderungen helfen einem, in die Rolle zu schlüpfen.


Und was musste man beachten um zu sprechen wie Edmond? Die Sprache ist sicherlich eine Herausforderung.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte man eine andere Art zu sprechen. Die Leute im richtigen Leben, und Schauspieler erst recht, hatten einen ganz speziellen, elaborierten Tonfall. Daran haben Alexis und ich viel gearbeitet. Für ihn kam es keinesfalls infrage, „modern“ zu spielen, also ohne zu artikulieren, geschweige denn, dass man vor sich hin genuschelt hätte. Da er außerdem eine ganz genaue Textwiedergabe verlangte, durfte man auch kein Wort durch ein anderes ersetzen. Selbst Auslassungen waren sakrosankt. Phrasierung, Aussprache, Natürlichkeit, Respekt vor dem Original – für all das war meine Theatererfahrung sehr hilfreich. Wenn der Originaltext auf der Bühne zu 100 Prozent maßgeblich ist, lernt man, auf Komma und Seufzer genau, teils sehr lange und lyrische Textpassagen wiederzugeben.


Wie war es unter der Regie von Alexis zu arbeiten?

Wenn man es nicht gewusst hätte, wäre man nie darauf gekommen, dass das Alexis’ erster abendfüllender Spielfilm ist.

Ich habe selten einen Regisseur getroffen, der, auch wenn er viel Erfahrung hatte, so entschlossen und selbstsicher aufgetreten ist. Alexis wusste ganz genau, was er wollte und wovon er sprach. Weil er zehn Jahre daran gearbeitet hat und sie bekanntlich monatelang erfolgreich im Theater ausprobiert hat, kannte er die Dialoge aus dem Effeff. Da war es nur selbstverständlich sich ganz und gar auf ihn einzulassen und ihm zu vertrauen. Er hatte auch keinerlei Zweifel, wo er die Kameras zu postieren hatte und wie sie sich bewegen sollten. Auch die anspruchsvollen Plansequenzen machte er zu einem zentralen Anliegen, und so mussten wir viel proben, es war echte Theaterarbeit. Genauigkeit und Anspruch sind die Begriffe, die ihn als Filmemacher wohl am treffendsten charakterisieren. Weil er mit der Wirkung jeder einzelnen Replik vertraut war, wusste er, wie man etwas sagen musste, um Lachen oder Weinen hervorzurufen.


Was haben Sie bei den Dreharbeiten gelernt?

Ich war nie auf einer Schauspielschule. Weil ich mein ganzes Wissen vom Machen her beziehe, ist meine Vorgehensweise sehr handwerklich. VORHANG AUF FÜR CYRANO hat mir viel gebracht, weil man sozusagen gleichzeitig im Theater und am Set war. Man spielte vor der Kamera, wurde aber von einem Theaterautor und -regisseur angeleitet, ein Mensch, der es gewöhnt ist, mit einem Team zu arbeiten, mit Texten, geteilten Emotionen und genauer Abstimmung. Ich habe auch den anderen viel bei der Arbeit zugesehen, vor allem Olivier Gourmet. Selten habe ich bei einem Schauspieler einen so präzisen Blick fürs Detail und so ein ausgeprägtes Gespür für sein Gegenüber erlebt. Ehe ich ihn am Set traf, habe ich ihn mir noch einmal in Der Sohn von den Brüdern Dardenne angesehen. Er spielt unglaublich, sehr eindrucksvoll. Er ist ein so überzeugender Schauspieler und zugleich ein unkomplizierter, netter und außergewöhnlich menschlicher Kollege. Er wertet nie, sondern hilft einfach. Man kann sich eine Scheibe abschneiden von ihm. Er wird mir in Erinnerung bleiben.


Warum sollte man sich VORHANG AUF FÜR CYRANO ansehen?

Cyrano de Bergerac, das vergisst man manchmal, ist und bleibt das erfolgreichste Stück der französischen Theatergeschichte. Ich finde, es ist ein großartiges Stück. Es gibt kein anderes, das so lyrisch, humorvoll, ironisch, gefühlvoll, voller Liebe und Lust, Mut, Eleganz und Heldentum ist. Es ist ein schwelgerisches und kraftvolles Stück, das Lust macht aufs Leben, auf die Liebe und aufs Teilen. Wenn VORHANG AUF FÜR CYRANO auch so rüberkommt, ist das fantastisch. Die Bühnenversion Edmond ist ein anhaltender Riesenerfolg. Ich hoffe, dass das dem Film auch beschert sein wird.

Foto:
© Verleih

Info:
BESETZUNG
Edmond Rostand (Bühnenautor und Regisseur)                Thomas SOLIVÉRÈS
Constant Coquelin (Berühmter franz. Schauspieler – spielt Cyrano)  Olivier GOURMET
Maria Legault (Spielt Roxane)                                             Mathilde SEIGNER
Léo Volny (Schauspieler und Freund von Edmond – spielt Christian) Tom LEEB
Jeanne (Theatergarderobiere und Léos Angebetete)          Lucie BOUJENAH
Rosemonde (Edmonds Frau) .                                            Alice DE LENCQUESAING
Sarah Bernhardt (Berühmte französiche Schauspielerin)   Clémentine CÉLARIÉ
Jean Coquelin (Sohn von Constant, spielt De Guiche / Carbon)        Igor GOTESMAN