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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2019 03 22 um 00.39.06Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 21. März 2019, Teil 16

N.N.

München (Weltexpresso) - Wie war es, als du El Capitan das erste Mal bestiegen hast? 

Einfach unfassbar. Mein Partner und ich hatten damals das große Ziel, El Capitan an nur einem Tag zu besteigen – egal wie, nicht im Free Climbing, es ging darum, alles zu tun, um oben anzukommen. Wir haben die ganze Saison dafür trainiert. Es war ein großes Abenteuer, eine große Herausforderung. Wir haben für die leichteste Route 23 Stunden benötigt. Das zu tun, hat uns eine ganz neue Welt des Kletterns eröffnet.


Du hast gesagt, dass El Capitan im Free Solo zu besteigen für dich der ultimative Aufstieg war, auf den du hingearbeitet hast, der Höhepunkt des Erfolgs. Was waren deine Gedanken an dem Morgen, als du auf El Capitan zugelaufen bist, um ihn im Free Solo zu erklettern?

Ich habe eigentlich an nichts gedacht. Der Sinn der langen Vorbereitung war, sicherzugehen, dass ich mir an dem Tag über nichts mehr Gedanken machen muss. Alle Gedanken hatte ich mir schon im Vorfeld gemacht. An dem Morgen habe ich wie auf Autopilot nur noch ausgeführt. Ich habe aber an einem anderen Ort geparkt, weil ich niemandem auf der Wiese begegnen wollte. Dadurch bin ich die gesamte Ostwand entlanggelaufen und dachte mir: „Das ist echt ein großer Fels.“ Ich wusste aber, dass ich bereit war und dass es nun losgehen konnte.


Hast du zusätzlichen Druck gespürt, weil ein Film darüber gemacht wurde?

Nicht wirklich. In vielerlei Hinsicht wollte ich das Filmprojekt sogar. Ich habe sogar extra etwas Zeitdruck ausgeübt, damit ich motiviert genug bin, um mit der Vorbereitung zu beginnen. El Cap zu erklettern ist etwas, von dem ich seit Jahren geträumt, aber es nie getan  habe, weil es zu abschreckend und zu groß war. Also brauchte ich eine Extra-Motivation, um die Sache anzugehen und mit der Arbeit zu beginnen. Meine größte Angst war, dass ich es mein ganzes Leben lang nicht versuchen würde. Es gab sechs oder sieben Jahre, in denen ich mir sagte: „Dieses Jahr erklettere ich El Cap im Solo“, und dann stand ich im Yosemite und musste feststellen: „Nein, das ist nicht das Jahr und ich werde es auch nicht versuchen.“ Ich brauchte einen Grund, um die Mühe auf mich zu nehmen und zu sehen, ob es möglich ist.


Wie ist deine Orientierung, wenn du kletterst? Schaust du oft nach unten? Wie bewusst bist du dir darüber, wie weit du dich über dem Grund befindest?

Ich bin mir dessen sehr bewusst. Ein wichtiger Teil beim Erklimmen großer Felswände besteht in dem Gefühl komplett schutzlos zu sein und in der Erkenntnis, sehr weit vom Boden entfernt zu sein. Das macht einen Großteil des Reizes für mich aus. „Ob ich nach unten schaue?“ Natürlich schaue ich nach unten. Aber in den Bewegungen des Kletterns schaut man dauernd auf seine Füße und seine Hände und das bedeutet nicht, dass ich mir Gedanken darüber mache, wie ungeschützt ich bin. In erster Linie geht es ums Klettern.


Woher kommen dein Selbstbewusstsein und dein Selbstvertrauen?

Für mich hat das viel mit Rationalismus zu tun, einer einfachen Einschätzung der objektiven Realität: Kann ich das? Und wenn ja, dann mache ich es einfach. Wenn ich etwas am Seil mehrmals gemacht habe, dann kann ich es offensichtlich körperlich schaffen, also gibt es keinen wirklichen Grund, warum ich es ohne Seil nicht schaffen sollte.


Wie ist deine Einstellung gegenüber dem Schicksal, insbesondere bei dem was du tust? Viele Leute würden sagen, dass du dich auf einem sehr schmalen Grat zwischen Leben und Tod bewegst.

Ich hoffe, sie liegen damit falsch! Aber wer weiß das schon? Ich war nie wirklich religiös oder spirituell. Ich bin kein großer Anhänger des Schicksalsglaubens. Ich glaube eher an Wahrscheinlichkeiten, Möglichkeiten und die Realität. Schicksal beeinflusst mein Denken in keiner Weise. Aber ich denke definitiv über Sterblichkeit nach und über die Tatsache, dass das Leben jederzeit vorbei sein kann. Ich bin mir sehr bewusst, dass ich nur eine begrenzte Zeit hier habe und will das Beste daraus machen, will das tun, was ich kann. Ich denke, dass mein Wunsch, beim Klettern alles zu geben, teilweise auch daher stammt, dass ich weiß, dass ich nur für eine gewisse Zeit hier bin.


Hast du bereits eine Ahnung, was die nächste große Herausforderung sein wird?

Tatsächlich nicht. Was eine „El Cap“-ähnliche Herausforderung angeht wird es, glaube ich, noch ein oder zwei Jahre dauern, bis ich wieder von etwas Großem inspiriert sein werde. Wir werden sehen.


Ich glaube, es ist fair zu sagen, dass du Sachen tust, die viele Leute aus Angstgründen niemals tun würden. Was ist hier der Unterschied? Liegt es daran, dass du gelernt hast, mit Angst umzugehen oder ist das angeboren?

Teilweise liegt es daran, dass ich so viel Zeit damit verbracht habe, Angst zu haben. Ich habe sehr viel Erfahrung mit Angst, wahrscheinlich mehr als die meisten Menschen. Und ich glaube, das erlaubt mir zu differenzieren, wann ich wirklich in Gefahr bin und wann ich entsprechend handeln sollte – egal ob diese Angst, die ich fühle, beträchtlich ist oder nicht.


Also ist es Übungssache?

Angst und die Funktionsweise des Gehirns – das ist so ein interessantes und kompliziertes Thema. Es gab mal einen Artikel im Nautilus Magazin zu einer Studie über meine Amygdala. Eine Sache, die ich dem Artikel entnommen habe ist, dass mein Gehirn an sich bereits etwas weniger aufleuchtet als normal, also stehe ich wahrscheinlich schon von Natur aus an der unteren Skala des Spektrums, was Angstreflexe angeht. Das, in Kombination mit vielen Jahren, in denen ich mich immer wieder der Angst ausgesetzt habe, führte wahrscheinlich dazu, dass ich jetzt recht abgestumpft bin.


Warum gehst du klettern?

Weil es überwältigend ist. 


Foto: 
Alex Honnold am El Capitan im Yosemite-Nationalpark
© capelight pictures

Info:
Free Solo - Ein Leben ohne Angst (USA 2018)

Regie: Elizabeth Chai Vasarhelyi, Jimmy Chin
Protagonisten: Alex Hunnold u.a.
Verleih: capelight pictures