f funktionarSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. April 2019, Teil 13

Redaktion

Berlin (Weltexpresso) -  Der Film verbindet sehr private Erinnerungen mit Aufnahmen von öffentlichen Auftritten Ihres Vaters. Es bleibt aber eine große Distanz. Es gibt kaum Verbindendes oder auch Alltägliches. Warum?

Die Entscheidung, was im Film landet und was ausgeschlossen ist, war im Grunde ganz einfach: Ausgeschlossen war jede Art von Privatheit, die privat bleibt, weil mir zu ihr nichts einfällt, weil sich an sie kein Gedanke knüpft, der über das Private hinausgeht. Ich hätte ganz anderes und viel mehr erzählen können. Das wäre dann aber ein Roman. Ich habe zum Beispiel das Verhältnis meines Vaters zu seiner Mutter ausgelassen, obwohl sich in dieser Beziehung vermutlich sein emotionales Verhältnis zur Partei gebildet hat – indem die Partei an die Stelle der Mutter trat. Aber das hätte dem Film seine politische Dimension genommen. Es ist eben kein Porträt, schon gar keine Biografie. Ich kann nicht von meinem Vater sprechen, ohne von mir zu reden, von meiner eigenen historischen Erfahrung, deren Teil er ist. Ich habe auch meine Geschichte, wie sie im Film aufscheint, wie ein Material betrachtet. Ein Erinnerungsmaterial. Das war nötig, um überhaupt damit umgehen zu können. Diese Distanzierung war auch die einzige Möglichkeit um das Ganze aushalten zu können. Aber es schien mir auch ästhetisch notwendig. Weil nur so die Lücken und Brüche entstehen, an denen sich Fragen bilden. Eine Narration ohne Leerstellen ist eine Fiktion, insofern ist der Film realistisch.


Warum haben Sie diesen Film erst jetzt, 30 Jahre nach dem Mauerfall, gemacht?

Weil man den historischen Abstand braucht. Es hat auch etwas mit dem eigenen Lebensalter zu tun. Da werden irgendwann die Fragen drängender. Man
spricht ja immer aus der eigenen Gegenwart heraus, auch wenn man von der Vergangenheit spricht. Erst als ich angefangen habe, so lange auf die Erinnerungstücke, die Bilder zu schauen, dass sie sich langsam meinem Auge entfernten, wurden sie durchlässig. Es geht nicht um die Geschichte meines Vaters oder unserer Beziehung als Beispiel oder Symptom, sondern um die Erfahrung, die im Biografischen gespeichert ist, ob wir sie nun verstehen oder
nicht.


Der Film lässt sich nur schwer einordnen. Welche Vorstellungen von dem fertigen Film hatten Sie am Anfang und wie haben sich diese im Laufe der  
Arbeit verändert?

Ich hatte am Anfang keine Vorstellung. Es wäre mir obszön vorgekommen, eine zu haben. Ich habe mich durch den Film gezwungen, meine Erinnerungen und meinen Vater anzusehen. Ich brauchte diesen Zwang, um mir diesen Film abzuringen. Drehen, Schneiden und Recherchieren fielen zusammen. Alles, was Chris Wright und ich am Anfang geschnitten haben, ist nicht im Film geblieben. Chris hat mich durch die dunklen Zonen geführt. Wir haben Themen oder Stationen oder Gedanken zu Inseln montiert. Diese Inseln wurden hin und her geschoben, ergänzt, reduziert usw. Das war nicht nur ein formaler Prozess, es war auch ein Denkprozess. Manchmal gingen wir auch zu weit dabei. Dann haben wir herausgefunden, dass wir jetzt in einem Terrain landen, das den Film oder richtiger einen Film auch überstrapaziert.


Haben sich Ihr Bild von Ihrem Vaters und das der DDR im Laufe der Arbeit verändert?

Ich habe die Akten und das meiste Archivmaterial zum ersten Mal bei der Arbeit am Film gesehen. Das waren Entdeckungen: Mein Vater, der noch ganz klar sprach, aber auch eine DDR, die ich selbst nicht erlebt habe. Diese Gesprächsrunde aus dem Jahre 1967 war wirklich ein zentrales Erlebnis. Da sieht man, wie die Leute damals sprachen. In ihrer Mitte ein Betriebsleiter. Proletarische Aufsteiger waren das Beste, das die DDR hervorgebracht hat. Oder auch die ganzen Berichte, die mein Vater als Staatssekretär ans Politbüro schrieb, in denen deutlich wird, wie stark die Partei in der Defensive war und nur noch versucht hat, es allen Recht zu machen. Man merkt, dass der Weg in den Westen gar kein Bruch war, sondern sich länger vorbereitete. Ich habe auch die Fotos, die ich selbst gemacht hatte, durch die Arbeit am Film nach 30 Jahren wieder angeschaut.


Immer Bilder ohne Menschen.

Ja, ich habe die DDR schon wie ein Museum fotografiert. Als hätte ich schon damals von ihrem Verschwinden gewusst, oder als wäre sie schon verschwunden. Das war sie ja in gewisser Weise auch. Nicht nur mein Vater war abwesend. Ich hatte auch das Entscheidende nicht erlebt: den Krieg, den Neuanfang, die großen Versuche in den 60ern, die auch meine Eltern nicht mehr erinnern konnten. Dass die Einschusslöcher an den Fassaden noch sichtbar waren, war tröstlich, sie haben einen mit der Geschichte verbunden.


Man hat den Eindruck, dass Sie noch viel mehr zu erzählen hätten, als im Film...

Ja, es gibt Gedanken, die nicht mehr im Film gelandet sind. Zum Beispiel die Frage, ob mein Vater jemals in der DDR angekommen ist. Er war ja schon 37, als der Staat gegründet wurde. Da ist ja ein Mensch schon fertig. Oder die unheimliche Vorstellung, dass das Ende der DDR jetzt 30 Jahre her ist und mir doch nah und klar in Erinnerung ist. Und dass ich versuche, mir vorzustellen, dass dieses eine Bild meiner Eltern im Garten nur gut 20 Jahre nach der Befreiung von Ausschwitz entstand. Aber damit muss man leben, dass immer ein Rest bleibt. Es gibt Filme, die sind wie Bestattungen. Ich glaube, es ist gut, dass ein Film seinen Stoff nicht frisst und auch nicht den Eindruck erweckt, als hätte er sein Thema „erledigt“. Es bleibt noch Vielen vieles zu sagen.

Foto:
© Salzgeber

Info:
Kinostart: 11. April 2019
DER FUNKTIONÄR
ein Film von Andreas Goldstein
DE 2018, 72 Min., deutsche OF

Regie . . . . Andreas Goldstein
Buch . . . . .Andreas Goldstein
Montage . .Chris Wright
Kamera . .  Jakobine Motz