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Kategorie: Film & Fernsehen
f moon hotel kabul film still 3goEast bis 16. April 2019 in Wiesbaden, aber auch im Filmmuseum Frankfurt, Teil 3

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ein interessanter Donnerstagabend und wir sind froh und dankbar, daß sich das Wiesbadener Festival des mittel- und osteuropäischen Films auch im Kino des Filmmuseums niederläßt, was keine Überraschung ist, denn das Festival ist mitsamt seiner Leiterin Heleen Gerritsen Teil des DFF, des Deutschen Filminstituts und Filmmuseums Frankfurt, weshalb deren Direktorin Ellen M. Harrington eine größere Rolle spielt als bisher.

In beiden Filmen am Donnerstagabend ging es um einen Selbstmord einer Frau, in dem ersten Film ist dies aber ein Mord, im zweiten Film taucht sie lebendig wieder auf und bei aller wirklich extremen Unterschiedlichkeit beider Filme – der erste ein rumänischer Film noir, der zweite ein Familiendrama aus Aserbaidschan – gibt es eine durchgehende Gemeinsamkeit: alle Frauen in beiden Filmen tragen eine leidvolle Miene und zwar nicht ein bißchen traurig, sondern tiefes Leid in den Zügen. Dafür gibt es jeweils genug Gründe. Und in beiden Filmen streichen die Frauen den Männern über's Haar, nicht umgekehrt. Dafür gibt es keine Gründe.

Im rumänischen Film MOON HOTEL KABUL verbringt der rumänische Journalist Ivan Semciuc (Florin Piersic Jr.), ein typischer abgebrühter Kriegsberichterstatter, die Nacht vor seiner Abreise in Afghanistan mit der ebenfalls rumänischen, blonden Übersetzerin Iona Preda (Ofelia Popii). Wir Zuschauer wissen mehr als er, denn wir sehen, wie diese einen kleinen Gegenstand in seinen Kulturbeutel gleiten läßt, während sie aus der Seitentasche ein Kondom zieht. Das hätte sie nicht nötig gehabt, denn zurück in Bukarest erfährt Ivan, daß Ioana noch in Afghanistan Selbstmord verübt hat. Die Leiche ist in die Heimat transportiert und Ivan überzeugt sich persönlich vom Selbstmord, der an den langen Schnitten an den Unterarmen zu erkennen ist.

Er geht in ihre Wohnung, schaut sich um, sucht nach Erklärungen und verwickelt sich immer stärker in ihren Tod. Das bekommt seine Freundin mit, die als Tochter seines Chefs seine innerliche Abwesenheit traurig und empört zum Thema macht. Wir werden Zeuge, wie der smarte Ivan zu einem nachdenklichen und verantwortungsbewußten Mann wird, der anfängt Fragen zu stellen, auch wenn daraus kein Artikel entsteht. Er findet den USB-Stick in seinem Kulturbeutel, auf dem ihm Ioana mitteilt, daß sie für einen Geheimdienst arbeitet und befürchtet entdeckt worden zu sein und ermordet zu werden.Er fährt mit der Leiche ins Dorf der Mutter, überbringt ihr und dem fröhlichen debilen Bruder damit die Todesnachricht. Damit nicht genug, als er das Leid der Mutter erkennt, die ihn nicht gehen lassen will, bleibt er auf ihren dringenden Wunsch bis zur Beerdigung.

Zurück in Bukarest findet er den USB-Stick, Er versucht, seinen Chef für die journalistische Aufklärung des Mordes zu motivieren, was dieser ablehnt, denn längst haben wir mitbekommen, daß die Mörder aus Rumänien kommen, vorzugsweise vom rumänischen Geheimdienst. Da hält sich der Herausgeber oder Chefredakteur doch lieber heraus.

Der rumänischen Regisseurin Anca Damian ist ein spannender, abgründiger, teils undurchsichtiger, rätselhafter Film gelungen, der viele Fragen offenläßt. Wie gut, daß sie danach zu einem Gespräch anwesend war, das Leonid auf Englisch führte, ohne daß dies ins Deutsche übersetzt wurde, was ich nicht richtig finde und worauf mich danach zustimmend drei Besucherinnen ansprachen. Die Leute trauen sich nämlich nicht, dies selbst zu monieren, weil die Frage, muß es auf Deutsch übersetzt werden, die Scheu auslöst, nun als diejenige dazustehen, die kein Englisch kann. Es muß also grundsätzlich ins Deutsche übersetzt werden. Außerdem wird oft schwer verständliches Englisch gesprochen und nicht die britische Aussprache.

Regisseurin Anca Damian hatte große Lust über ihren Film, seine Entstehung und den Verlauf der Dreharbeiten zu sprechen. Uns hat ja erst einmal der Unterschied interessiert, wie man von Bukarest oder von Frankfurt aus Afghanistan sieht. Rumänien ist sehr viel näher und man kann von Bukarest aus, das nahe der bulgarischen Grenze liegt, mit dem Wagen unterhalb des Schwarzen Meeres über die Türkei und den Iran nach Kabul fahren.

Eine große Rolle spielte die lange Episode im Dorf von Ioana, die deshalb lang gerät, weil genau dort die innere Wandlung von Ivan vor sich geht. Der bisher thrillerhafte Film, mit dunklen Bildern und einer rasanten Abfolge, verändert seine Struktur. Er hält gewissermaßen inne, holt Luft und läßt erst einmal die Emotionen sprechen. Die Geschichte erfährt im Haus der Mutter von Ioana zudem eine besondere Dramatik. Denn der Pope der rumänischen Orthodoxie will auf seinem Friedhof keine Selbstmörderin begraben, was die Mutter entsetzt. Aber statt nun dem Priester und der Mutter endlich zu erzählen, daß sich Ioana nicht umgebracht hat, sondern ermordet wurde, und ein Begräbnis in geweihter Erde möglich zu machen, sorgt Ivan für die Alternative der Beerdigung, daß ein Mönch außerhalb des Friedhofs die Einsegnung vornimmt.

Aber jeder Gläubige und Religionsexperte weiß, daß außerhalb des Friedhofs zwar beerdigt werden kann, aber dies nicht in geweihter Erde stattfindet, also ein Begräbnis mindestens dritter Klasse. Warum also macht sich Ivan die Mühe des Ersatzes, die kein echter Ersatz ist und sagt nicht Mutter und Priester, wie es sich in Wahrheit verhalten hat, daß nämlich Ioana ermordet worden ist. Hat er Angst. Wovor. Leider gab die Regisseurin darauf keine Antwort, ja schien die Frage gar nicht zu verstehen, die für uns zentral ist.

Aber zu Hause im Dorf fällt uns noch etwas anderes auf. Der jüngere Bruder, auf den die ältere Schwester immer besonders aufgepaßt hat, den sie liebte, ist das, was man debil nennt, was umgangssprachlich am wenigsten despektierlich klingt. Es scheint, er lache ständig, ist ungelenk, fast spastisch und wird von der Mutter sehr liebevoll behandelt. Es kann sein, daß unsere Beobachtung durch die gegenwärtigen Diskussion um die Bezahlung von Trisomi 21-Untersuchungen (Down-Syndrom) während der Schwangerschaft sensibilisiert wird. Aber wir finden das eine gute Entscheidung der Regisseurin, die Vielfalt von menschlichen Existenzen auch im Film lebendig werden zu lassen. Es gibt keine Norm, wie ein Mensch sein soll, auch wenn wir in Zeiten von Hochleistung und menschlichem Hochrüsten leben.

Foto:
Ivan (Florin Piersic Jr.)
© Verleih