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Kategorie: Film & Fernsehen
f MomentsgoEast bis 16. April 2019 in Wiesbaden, aber auch im Filmmuseum Frankfurt,  Teil 5

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wenn es Absicht war, war dies sinnvoll, wenn es Zufall war, ein glückliches Zusammentreffen, daß am Samstagabend auf den russischen Film, der von aus der Bahn geworfenen extrem aggressiven jungen Männern handelte, ein tschechischer Film folgte, der ein überaus angepaßtes Mädchen zeigte, daß seinen Weg in die Welt noch nicht gefunden hat und schrecklich autoaggressiv handelt.

Die Menschen ändern sich. Die Natur bleibt bestehen. Sie ändert sich nur in den Jahreszeiten, die aufeinander folgen, wobei anfangs der Blick aus dem Fenster auf Schneewiesen fällt, die sich rechts und links in Wäldern verlieren. Das denkt sich die junge Anežka, mit deren Augen wir immer wieder aus diesem Fensterausschnitt schauen. Und wenn die Schauspielerin Jenovéfa  Boková später im Filmgespräch erzählt, daß der Film das Jahr über chronologisch gedreht wurde, wobei viele filmfreie Wochen dazwischen lagen, dann erhält die Landschaft in ihrem Wechsel für Anežka eine Sicherheit und eine Zuversicht, denn sie selbst kann sich bisher leider nicht ändern. Sie bleibt in einem Kokon von Unsicherheit, mangelnder Selbstliebe, fehlendem Selbstbewußtsein gefangen, die sie die selben Fehler immer wieder machen läßt.

Doch dies wissen wir Zuschauer erst am Schluß, denn den ganzen Film über stellt sich das Bild dieser jungen Frau erst her, die wir anfangs als hilfsbereite Enkelin, als die seltsamen Anrufe der Mutter geduldig Beantwortende, als dem Vater beim anstrengenden Holzhacken Helfende interpretieren und dabei erst übersehen und dann verstehen, daß mit allen Familienmitgliedern überhaupt keine echte Kommunikation stattfindet, sondern, daß Anežka zwar formal die Erwartungen, die die Familie an sie hat, erfüllt, sie dabei aber nicht echt zugewandt ist, sondern nur brav ihre Rolle erfüllt. Innerlich nämlich ist sie beziehungslos, fühlt eine Leere, weiß nicht, wer sie ist und was sie vom Leben erwartet. Dazu im Widerspruch steht, was der Film leider nicht aufklärt, daß sie als Geigerin eine Meisterin ist und öffentlich auftritt und dabei auch äußerlich eine blendende Figur macht.

Wiederum im Filmgespräch erfahren wir, daß in diesem Debütfilm der Regisseurin Beata Parkanová diese ihre eigene Geschichte erzählt. Und das heißt auch, daß auf den Frost der Natur und den blühenden Sommer auch für Anežka Wärme und ein Sichändernkönnen kommen wird, was der Film als Hoffnung am Schluß durchaus schon aufscheinen läßt. Denn von sich erzählen können und daraus einen Film zu machen, ist ja der beste Beweis, sich aus seinen eingefahrenen Bahnen, ja zwanghaftem Verhalten befreit zu haben.

Zu diesem zwanghaften Verhalten gehört im Film ihr Verhältnis zu Männern. Sie schläft mit jedem, der dies von ihr erwartet. Dabei erwartet sie von diesem Fernfahrern, Bauarbeiter, Gitarrenspieler, dem Mann mit den Muskeln...gar nichts. Gibt sich mit dem Beischlaf zufrieden, ist aber danach alles andere als zufrieden und bricht weinend zusammen. Die Schauspielerin, die in dem bisher besten Filmgespräch eloquent von ihrer Rolle sprach, ging auch auf die eigenen Aggressionen ein, die sie während des Drehens gegen ihre Filmfigur entwickelt hat. Sie nämlich ist genau das Gegenteil dieser jungen Frau, die noch nicht weiß, wer sie ist und was sie im Leben wollen sollte und beziehungslos die familiären Pflichten erfüllt. Nein, wir selbst wurden nicht aggressiv, aber hätten diese junge Frau aus eigener Hilflosigkeit doch gerne mal geschüttelt, ihr aber ansonsten dauernd helfen wollen, nicht wieder in jedes Fettnäpfchen zu treten. Das bezieht sich vor allem auf ihre Männerauswahl, die ja keine Wahl war, sondern, wo sie ausgewählt wurde, weil sie verfügbar erschien – und es auch war.

Im Filmgespräch, das erneut Leonidas moderierte, fiel die schöne sprachliche Formulierung, daß der Hauptfigur die Natur und der Blick aus dem Fenster auf die Landschaft Flucht und Zuflucht gleichermaßen biete. Genoféva Boková beantwortete die Fragen sehr souverän, was auch hieß, daß sie auf eine Frage wie: „Wie hat diese Rolle Dich gefunden?“, äußerte: „Überhaupt nicht. Das war umgekehrt. Die Regisseurin hat mich gefunden. Sie wollte mich unbedingt. Es gab kein Casting.“ Das kann man gut verstehen und auch, daß diese Schauspielerin in Tschechien den Darstellerinnenpreis für ihre Rolle erhielt.

Sie erzählte auch, daß sie, als sie das erste Mal den fertigen Film sah, was immer spannend, aber auch unbehaglich sei, sie gar nicht sich sah, sondern hilflos „Anežka beobachtet und sich gedacht habe: ‚Mädel was machst Du eigentlich‘ und ihr eine scheuern wollte.“

Daß dies ein so aufschlußreiches Gespräch wurde, lag sicher an der Schauspielerin, aber auch daran, daß dies Filmgespräch endlich auf Deutsch geführt wurde mit einer Simultanübersetzerin ins und aus dem Tschechischen.

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