goeast19 take me somewhere nice 4goEast bis 16. April 2019 in Wiesbaden, aber auch im Filmmuseum Frankfurt,  Teil 10

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Filme, die direkt auf solche Filme folgen, die man gerade gesehen hatte und die einem wohlgefielen, die haben es immer schwer, zumal es im kasachischen Film DIE ZÄRTLICHE GLEICHGÜLTIGKEIT DER WELT ebenso um ein junges Mädchen geht, das durch den Tod des Vaters ins Trudeln kommt und es zudem ein stilistisches Mittel beider Filme ist, die jeweilige Hauptdarstellerin im selben Kleid über Tage und Nächte und Tage agieren zu lassen, bis die neue Kleidung auch ein Veränderung der Szene und der Personen zeigt....

Die Rede ist im kasachischen Film vom roten Kleid der schönen, schwarzhaarigen Hauptdarstellerin, die wie eine Prinzessin auf ebenfalls roten Stöckelschuhen über Stock und Stein, nein, eben nicht stöckelt, sondern durchaus schwebt, eine junge Frau, die nur Gutes im Sinn hat und über Nacht mit den Schlechtigkeiten der Welt konfrontiert ist, wie es die vorausgegangene Besprechung aufgezeigt hatte. Das rote Kleid war das Sinnbild für ihre Unantastbarkeit, für ihre innere Stärke, auch wenn sie in der Absteige übernachten mußte. Doch dann kam...und ab jetzt trägt sie ein schwarzes Kleid, schwarz wie die Nacht, wie der Verrat, wie die Rache. Und wie der Tod.

Von solcher Wucht spricht der als Roadmovie angekündigte Film TAKE ME SOMEWHERE NICE aus den Niederlanden, Bosnien und Herzegowina der Regisseurin Ena Sendijarevic nicht. Wir sagten ja schon, daß es der Film und damit die Hauptdarstellerin Alma (Luna Zoric) bei uns schwer hat. Aber wir konnten einfach für dieses mehr als naive Mädchen, ja eigentlich für einen solchen verwöhnten Fratz kein großes Interesse entwickeln. Man könnte auch sagen, der Film half uns nicht, an der Person und ihrer Geschichte Anteil zu nehmen. Diesmal geht es um ein blaßlila Kleid, das sie in der Konkurrenz zum roten dann wählt und kauft und auf der Reise von den Niederlanden nach Bosnien und dort dann viele viele Tage ununterbrochen trägt. Auch nachts.

In Holland nämlich lebt sie mit ihrer sie behütenden Mutter, der Vater ist nach dem Zuzug dorthin in die Heimat Bosnien zurückgekehrt, liegt dort schwerkrank im Krankenhaus, sie will und soll ihn besuchen. Allein die Szene, wie sie im Reihenhausgarten sich mit ihrer Mutter sonnt sowie die Einkaufspassage, zeigen sie als unreifes, verwöhntes Mädchen, das sich dann wundert, wenn der Cousin Emir sie am Flughafen lange warten läßt, ihr noch nicht mal den Koffer in den Wagen hebt – daß sie den Koffer, erst ihren, dann einen erschwindelten, über unwirtliche Gegenden, in Autos rein und raus, die Treppen hoch und runter schleppt, immer sie alleine, obwohl junge Männer sie begleiten, die nicht mal den Ansatz machen, den Koffer zu tragen, ist ein running gag des Films, aber keiner zum Lachen – und auch in allem anderen das nicht ist, was man sich unter einer funktionierenden Familie gerade auf dem Balkan vorstellt: daß nämlich der eine zum anderen hält und damit Familie hochhält. Nein, weder Emir, der einem wie der kühle Stratege eines Mafiaaufbaus vorkommt, noch sein von ihm abhängiger Freund Denis helfen ihr, zu ihrem kranken Vater in die abgelegene Provinz zu kommen.

Und bevor wir ihre Reise mitmachen, noch ein Wort zum Kleid. Es ist ein ausgesprochenes Jungmädchenkleid aus samtigen Stoff, nicht dem echten Samt, sondern velourartig, wie es eine Zeitlang modern war. Lila, aber wie gesagt, im Film wird zwar immer von Lila gesprochen, aber es ist Blaßlila ins Blassblau changierend, Lila also gehört zu den als mystisch bezeichneten Farben, weil als Widerspruch verstanden zwischen dem warmen Rot und dem kalten Blau, was als Widerspruch zwischen Körper und Geist zu verstehen ist. Mit den positiven Eigenschaften von Gefühlsbetontheit, Verwandlung und Individualität und den negativen von Melancholie, Leid und Verzicht.

Damit können wir die Farbe für das Kleid in diesem Film vergessen, denn das junge Mädchen hat viel Körper und wenig Geist. Sie ist derart weltunerfahren, daß sie sich in die gröbsten Gefahren begibt, als sie sich – ja mit ihrem Koffer – allein auf die Reise macht, ihren Vater im Krankenhaus zu besuchen. Lehrbuchmäßig dann, daß sie bei der ersten Haltestelle des Busses – den zu ergattern war schon mal für die Lebensverwöhnte eine Heldentat – dessen Abfahrt versäumt und der Bus mit ihrem Koffer und allen persönlichen Gegenständen abfährt. Als er aufgefunden wird – viel später – ist es ein anderer Koffer, den sie einfach nimmt und in ihm große weiße T-Shirts findet, die sie ab dann als Kleid trägt. Nein, auch hier gibt es keine Farbsymbolik, denn die Farbe Weiß für ein Mädchen, das erst einmal mit jedem schläft, paßt einfach nicht. Rauschgift war auch drinnen im Koffer, das sie später mit Emir und Denis konsumieren wird, die ihr im Auftrag der Mutter folgen müssen und es auch tun. Doch dadurch wird nichts besser, eher schlechter.

Als sie im Krankenhaus ankommen, ist das Bett leer, der Vater tot und verschollen. Erst plündern sie dessen Haus, nehmen dessen Auto – der schicke Wagen von Emir war unterwegs zusammengebrochen – holen seine Leiche und beerdigen ihn. Schluß.

Dafür, daß mir der Film nichts sagte, sind das viel zu viel Worte. Allerdings wäre das nicht das erste Mal, daß damit ein Preisanwärter möglich wäre. So auf jeden Fall auf der letzten Berlinale, als der rumänische Beitrag, der für mich, aber auch für die versammelte Filmkritik der schlechteste Film war, dann aber den Goldenen Bären gewann.

Die viel zu vielen Worte gab es auch beim Gespräch mit der jungen Regisseurin, die mit vielen englischen Worten das beschwor, was ich dann lieber auf der Leinwand gesehen hätte. Meist sind Filmgespräche sehr instruktiv, wenn sie von Motivationen und Widersprüchen beim Drehen, von Rollenbesetzungen und Entwicklungen handeln. Aber man hört nicht gerne das in Worten, was man im Film nicht gesehen hatte, aber wohl hätte sehen sollen. Dafür sind Filme ja da, daß man etwas sieht und nicht, daß es einem hinterher erklärt wird.

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