Bildschirmfoto 2019 04 18 um 12.00.51Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2019, Teil 4

Redaktion

Berlin  (Weltexpresso) - Mehr als 500.000 Mal verkaufte sich Ferdinand von Schirachs erster Roman „Der Fall Collini“ allein in Deutschland. Unsere damalige Buchbesprechung veröffentlichen wir erneut. Auch in vielen anderen Ländern war das 2011 erschienene Buch ein Bestseller, etwa in Englland, Spanien oder Japan. Der damalige Piper-Verleger Marcel Hartges, der als erster das Potenzial des Autors erkannt und in den beiden vorangegangenen Jahren bereits dessen Kurzgeschichten-Sammlungen „Verbrechen“ und „Schuld“ bei Piper veröffentlicht hatte, erklärt den enormen Erfolg der Bücher so: „Ferdinand von Schirach hat mit seiner klaren, aufs Essenzielle reduzierten Sprache einen Ton gefunden, der die Menschen im Innersten berührt.“

Mit „Der Fall Collini“ wollte Schirach einen bis dato fast völlig in Vergessenheit geratenen Justizskandal publik machen, so Hartges: „Er hat die rechtshistorischen Fakten mit einer sehr bewegen- den Geschichte verknüpft, um zu zeigen, was die abstrakten Gesetzestextworte konkret für einen Menschen wie Collini bedeuten: Ein Mann, der zum Mörder wird, weil die Justiz ihm keine Gerechtigkeit zuteil werden lässt. Von Schirach ist ein sehr visueller Mensch, sein lakonischer Schreibstil hat auch etwas Filmisches – beim Lesen hat man sofort Bilder vor Augen.“

Insofern, fügt Hartges an, sei es nicht verwunderlich, dass viele Produzenten in „Der Fall Collini“ einen perfekten Filmstoff gesehen hätten. Dabei seien Fernsehangebote für ihn nicht in Frage gekommen: „Möglicherweise sind Ferdinand von Schirach und ich da ein bisschen altmodisch, aber wir denken, dass epische Stoffe auf die Kinoleinwand gehören. Bei diesem Roman erstreckt sich die Geschichte über 60 Jahre, es gibt Schuld und Verwerfungen auf allen möglichen Ebenen, es geht um die großen Fragen – und ich finde, die sind am besten im Kino aufgehoben.“ Er habe sich mit diversen Produzenten getroffen, ehe er die Filmrechte vergeben habe: „Christoph Müller bekam schließlich den Zuschlag, denn er hatte die authentischste Begeisterung und die größten Ideen für den Stoff.“

„Eigentlich bin ich ein langsamer Leser, aber ,Der Fall Collini‘ habe ich in drei Stunden verschlungen“, erinnert sich Müller. „Ich dachte sofort: Das ist ein spannendes, relevantes Thema, das muss ich unbedingt machen! Toll, wie Ferdinand von Schirach hier eine hoch emotionale Story mit einem skandalösen Ereignis in der deutschen Nachkriegsge- schichte kombiniert – und so wichtige Fragen aufwirft: Was ist Gerechtigkeit? Was ist Recht? Wie starr ist ein Justizsystem? Mein Ziel ist es, dass man als Zuschauer nach dem Kinobesuch diskutiert und seine eigene Meinung überprüft, ähnlich wie bei SOPHIE SCHOLL – DIE LETZTEN TAGE oder ER IST WIEDER DA.“


HALTUNG ZEIGEN: DER REGISSEUR

Im Januar 2016 verließ Marcel Hartges den Piper Verlag und gründete eine Literatur- und Filmagentur, deren erster Klient Ferdinand von Schirach war. Die Zusammenarbeit mit Christoph Müller bei der Leinwand-Adaption von „Der Fall Collini“ gestaltete sich im Laufe der Drehbuch-Entwicklung so intensiv, dass Müller und Hartges sich dazu entschlossen, gemeinsam als Produzenten zu fungieren. Müller wiederum wurde im Oktober 2017 bei Constantin Film Geschäftsführer und Produzent für den Kino-Bereich.

„Ich fand es erstaunlich, wie kompliziert es sein kann, aus einem a prima vista sehr filmisch erzählten Buch einen Film zu machen“, gesteht Hartges. „Das Schwierigste bei DER FALL COLLINI war, dass der Roman auf vier Zeitebenen spielt, die wir alle in knapp zwei Stunden unterbringen mussten. Hinzu kam die große Herausforderung, komplexe juristische Zusammenhänge filmisch so umzusetzen, dass man als Zuschauer die politischen und menschlichen Auswirkungen begreift. Bei der Lektüre kann man immer wieder zurückblättern, im Film hingegen muss man die entscheidenden Punkte sofort verstehen.“ Jens-Frederik Otto, der für Christoph Müller bereits im Jahr 2002 Benjamin von Stuckrad-Barres Roman „Soloalbum“ fürs Kino adaptiert hatte, erstellte die erste Grundlage zum Drehbuch zu DER FALL COLLINI, das anschließend von Robert Gold noch weiter bearbeitet wurde, bevor Christian Zübert schließlich die drehreife Endfassung auf Basis dieser Vorlagen lieferte.

Zu Beginn des Jahres 2018 fand man in Marco Kreuzpaintner den geeigneten Regisseur: "Wir hatten sofort das F´GEfühl, er brennt für die Geschichte und weiß, wie man sie auf eine berührende und effektvolle,moderne Weise erzählen kann", berichtet Hartges. 
. „Er war auch deshalb der Richtige, weil er ein politisch versierter Regisseur ist, der stets eine haltung zeigt", ergänzt Müller. "Denken Sie nur an das beeindruckende Menschenhandel-Drama TRADE mit Kevin Kline, das er als 27-Jähriger gestemmt hat. In jüngster Zeit hat er unter anderem eine phänomenale 'Polizeiruf 110" -Folge gedreht und die erschfrischende Amazon-Serie 'BEat', die mich richtig ins Geschehen reingezogen hat. Er vereint alle Fähigkeiten, die man für unser Projekt brauchte. Nicht zuletzt ist er ein sehr offener, sensibler Mensch, ein echter Schauspieler-Regisseur, der aus den Akteuren immer das Beste rausholt.



RELEVANZ UND BREITENWIRKUNG: DER HAUPTDARSTELLER

Ebenfalls Anfang 2018 wurde die Idee geboren, die Hauptrolle des Films mit Elyas M’Barek zu besetzen, den Christoph Müller schon 2006 bei der gemeinsamen Arbeit an dem preisgekrönten Graffiti-Sprayer-Film WHOLETRAIN schätzen gelernt hatte: „Seitdem bin ich ein großer Fan von ihm und weiß, welche Fähigkeiten er hat.“ Viele Leser des Romans dürfte die Wahl des Hauptdarstellers zunächst einmal überraschen, wie Marcel Hartges konstatiert: „Der Protagonist im allem gegenwärtiger.“

Hinzu kam noch etwas Anderes, wie Müller betont: „Gerade bei sperrigen Themen ist es wichtig, dem Publikum einen Zugang zu bieten. Wenn man einem Strafverteidiger nahekommen soll, muss man sich irgendwie mit ihm identifizieren können. Und dafür eignet sich Elyas perfekt: Er verkörpert den Typ des smarten Underdogs, der sich juristischen Fragen eher intuitiv nähert. Man folgt ihm mit großer Empathie, ganz anders, als das bei einem hoch gebildeten, elitären, intellektuellen Akademiker der Fall wäre.“ Gesellschaftliche Relevanz entstehe vor allem dann, wenn auch ein breites Publikum erreicht werden kann. Mir geht es darum, komplizierte Stoffe so aufzubereiten, daß sie nicht nur für eine kleine Randgruppe interessant sind. Denn wir wollen ja eine Diskussion anstoßen über Rechgtsstaat, Rache, Verjährung, Selbstjustiz, Gerechtigkeit - und diese Diskussion sollte nicht nur von der älteren Generation geführt werden. Elyas gibt uns die Möglichkeit, auch jüngere Zuschauer anzusprechen, die von diesen Themen noch lange betroffen sein werden.“

Es traf sich gut, dass M’Barek die Ferdinand-von-Schirach-Verfilmungen sehr interessierten und er gerne bei einer nächsten mitwirken wollte: „Ich bin ein großer Fan von ihm und habe alle seine Bücher gelesen“, erzählt er. „Was mich an ihnen schon immer besonders fasziniert hat, ist ihre unglaubliche Nüchternheit – sie wirken wirklich echt, authentisch, nah am Leben. Man kann sich da sehr schnell reinfinden: Wenn man diese Bücher liest, ist man sofort Teil der Geschichte. So ging es mir auch mit ,Der Fall Collini‘.“ Zur Vorbereitung auf die Rolle des jungen Strafverteidigers Caspar Leinen sprach M’Barek unter anderem mit Rechtsanwälten und besuchte diverse Gerichtsverhandlungen, um sich mit den Prozessabläufen vertraut zu machen. „Ich bin begeistert, wie sich Elyas in diese Anwaltsrolle reingefuchst hat“, freut sich Müller. „Sein Engagement ist das Beste, was dem Film passieren konnte.“

Im Zuge der Vorbereitung traf sich der Hauptdarsteller auch mit dem Romanautor, um mit ihm ausführlich über das Buch, die Verfilmung und die Hauptfigur zu reden. „An diesem Abend hat Ferdinand mir sein Zigarettenetui geschenkt“, berichtet M’Barek, „und ich habe mir gedacht: Das baue ich in den Film ein! Tatsächlich gibt es jetzt einige Szenen, in denen ich dieses Lederetui benutze, darunter auch eine, in der ich dem Mörder eine Zigarette anbiete - ein kleines Gimmick,   das wir in den Film eingefügt haben.“

Auch Ferdinand von Schirach zeigte sich von der auf den ersten Blick ungewöhnlichen Besetzung der Hauptrolle überzeugt und sah die Chancen, die dramaturgisch darin lagen, sowie die Perspektive, noch einmal ein anderes Publikum zu erreichen als nur die Leserinnen und Leser seines Romans. „Wir haben uns bei unserem Film bemüht, möglichst nah am Buch zu bleiben“, erläutert Müller, „aber manches mussten wir einfach verdichten, filmischer machen.“ Hartges fügt hinzu: „Das Kino ist bekanntlich eine andere Kunstform als die Literatur, und Schirach gehört glücklicherweise zu den Schriftstellern, die das begriffen haben.“

Foto:
Elyas M‘Barek als Collinis Strafverteidiger Caspar Leinen
© Constantinverleih

Info:
BESETZUNG

CASPAR LEINEN ....................Elyas M‘Barek
JOHANNA MEYER                  Alexandra Maria Lara
RICHARD MATTINGER ...........Heiner Lauterbach
HANS MEYER..........................Manfred Zapatka
JEAN-BAPTISTE MEYER.........Jannis Niewöhner
OBERSTAATSANWALT REIMERS .....Rainer Bock
VORSITZENDE RICHTERIN ...............Catrin Striebeck
NINA...........................................         Pia Stutzenstein
BERNHARD LEINEN...........................Peter Prager
AICKE .................................................Hannes Wegener

UND FRANCO NERO als Fabrizio Collini

Abdruck aus dem Presseheft