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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2019 04 18 um 11.44.34Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2019, Teil 5

Redaktion

Berlin  (Weltexpresso) - Was hat Sie an der Geschichte gereizt?

Mich hat vor allem das Thema Gerechtigkeit interessiert. Konkreter gesagt: die Frage, ob das, was wir Recht nennen, auch immer gerecht ist. Ich finde, DER FALL COLLINI ist etwas, das heutzutage sehr selten geworden ist, nämlich ein im besten Sinne „moralischer“ Filmstoff: eine Geschichte, in der man sich über eine Ungeheuerlichkeit empören darf und einen Helden dabei begleitet, wie er ein Stück weit für mehr Gerechtigkeit sorgt. Die Ungeheuerlichkeit ist in diesem Fall das so genannte Dreher-Gesetz von 1968, durch das Tausende von Verbrechern aus dem Dritten Reich ungestraft davonkamen. DER FALL COLLINI zeigt, dass es unsere urmenschlichste Pflicht ist, uns für Gerechtigkeit einzusetzen – und dass sich dieser Kampf auch immer lohnt.


Wie kam das Projekt zu Ihnen?

Christoph Müller hatte mir vor zwei bis drei Jahren zum ersten Mal davon erzählt, und ich fand das Projekt schon damals wahnsinnig spannend, war aber zu dem Zeitpunkt einfach mit ande- ren Dingen beschäftigt. Anfang 2018 gab mir Christoph dann das Drehbuch zu lesen. Ich muss sagen, dass ich bereits von Ferdinand von Schirachs Roman sehr angetan war. Letztlich überzeugt hat mich allerdings das Drehbuch in Kombination mit der Idee, die Hauptfigur mit Elyas M’Barek zu besetzen, denn das fand ich einen ungewöhnlichen, sehr interessanten Ansatz.


Inwiefern?

Ich finde es gut, dass er nicht den gängigen Vorstellungen von einem Rechtsanwalt entspricht. Jemand wie er wäre nicht zuletzt wegen seines Migrationshintergrundes gerade im Jahr 2001 in der juristischen Welt ein ziemlicher Außenseiter gewesen – sicher keiner, dem man damals eine große Anwaltskarriere vorausgesagt hätte. Und als Underdog gibt er der Geschichte noch eine zusätzliche Dimension. Es ist einfach schön, auf der Leinwand zu sehen, wie so ein Außenseiter, angetrieben vom Wunsch nach Gerechtigkeit, im Laufe des Films sozusagen stellvertretend für eine ganze Generation moralisch über sich hinauswächst. Hinzu kommt, dass die Besetzung mit Elyas die Chance bietet, auch jüngere Zuschauer für das Thema zu interessieren – Leute, die sagen: „Wenn Elyas das spielt, dann möchte ich mir das anschauen, dann ist das bestimmt keine langweilige Geschichtsstunde, sondern Erlebniskino.“


Wie haben Sie Elyas M’Barek bei Ihrer Zusammenarbeit erlebt?

Er hat sich sehr sorgfältig auf diesen Film vorbereitet, eine Menge recherchiert, Gerichtsverhandlungen besucht und mit vielen Anwälten gesprochen, bis er die Strafprozeßordnung gewissermaßen auswendig konnte: Er wußte genau, wie sich ein Anwalt in jedem Moment zu verhalten hat, was er nicht tun darf, was illegal wäre oder gegen das Prozedere verstoßen würde. Wir haben uns bereits viele Monate vor den Dreharbeiten getroffen, sind tatsächlich das Drehbuch mehrfach Seite für Seite durchgegangen, haben an jedem Dialog gefeilt und auch  Haltungen überprüft. Am Set habe ich dann gemerkt, was für ein talentierter Schauspieler er ist – und er etwas hat, was ich sonst in meiner ganzen Laufbahn nur bei ein bis zwei anderen Leuten gesehen habe.


Nämlich?

Ein untrügliches Bauchgefühl, aus dem heraus er agiert. Während andere auf irgendeine antrainierte Schauspieltechnik zurückgreifen müssen, schafft er es tatsächlich instinktiv,  stets den Kern der Szene zu treffen. Als Regisseur sollte man genau hinhören, wenn Elyas sagt, hier stimmt was nicht. Denn er hat eigentlich immer recht. Insofern habe ich einen unglaublich fokussierten, fleißigen und ambitionierten Schauspieler erlebt, der zudem ein wunderbarer Kollege war – nicht zuletzt wegen der Leichtigkeit, mit der er am Set mit alledem umgeht. Es war eine große Freude, mit ihm zu arbeiten, und ich würde das sofort wieder tun.


Wie kam es zur Besetzung der Titelrolle mit Franco Nero?

Wir haben ihn offiziell angefragt, ich habe ihm zusätzlich ei- nen persönlichen Brief geschrieben, und irgendwann hieß es auf einmal: "Herr Nero ist interessiert und möchte dich in rom treffen." Er wohnt in der Nähe des Vatikans; ich hatte um  12 Uhr den Termin, und es war einer der heißesten Tage des Jahres, bestimmt 40 bis 42 Grad um die Mittagszeit. Dementsprechend war ich völlig verschwitzt, als ich ankam – und er stand schon vor dem Haus. Man muss sich das so vorstellen: Die Straße führt einen Hügel hinunter, hinter mir ist der Vatikan, und vor mir am Ende der Straße steht plötzlich Franco Nero. Schon das allein war eine filmreife Szene: Man hat das Gefühl, man trifft tatsäch- lich auf eine Filmlegende. Und das hat sich dann bestätigt, als er mir oben in seiner Wohnung erst einmal einen Raum gezeigt hat, in dem alle seine Filmplakate hängen. Immerhin hat der Mann schon über 100 Hauptrollen gespielt. Darum habe ich es als ganz besonderes Geschenk betrachtet, mit so jemandem arbeiten zu dürfen.


Wie haben Sie es denn geschafft, sein Vertrauen zu gewinnen?

Ich denke, am besten ist es immer, wenn man sich selbst zu erkennen gibt, sich nicht verstellt und sein Gegenüber auch teilhaben lässt an seinen Ängsten und Sorgen in Bezug auf einen Filmstoff. Franco war zum Glück auch dementsprechend offen. Aber nach dem Mittagessen auf seiner Terrasse, während ich gerade loslegte, über den Stoff zu sprechen, brach plötzlich der Plastikstuhl unter mir zusammen. Ich saß buchstäblich auf dem Boden und dachte mir: „Schlechter kann das Treffen ja nicht laufen!“ Franco sprang gleich auf, kümmerte sich um mich, und dann wurde ein neuer Stuhl gebracht. Und in dem Moment, als er sich wieder setzte, brach sein Stuhl zusammen! Man muss wirklich sagen: Besser hätte es gar nicht laufen können, denn wir haben dann beide losgeprustet – und spätestens ab diesem Moment war das Eis gebrochen. Danach musste ich mir noch einen Film von ihm anschauen, anschließend wurde Formel 1 geguckt, und irgendwann durfte ich auch wieder gehen. Und seitdem hat sich durch die gemeinsame Arbeit tatsächlich eine Freundschaft zwischen uns entwickelt. 


Wie kam Alexandra Maria Lara an Bord?

Alexandra und ich wollten schon seit Langem miteinander arbeiten; wir mussten eigentlich nur das richtige Projekt finden – und hatten dann beide das Gefühl, dass es dieser Stoff sein würde. Mit ihr zu drehen ist ganz wundervar, weil sie nicht nur eine unglaublich talentierte und gut vorbereitete Schauspielerin  ist, sondern auch ein Mensch, der wirklich keinen einzigen schlechten Knochen im Körper hat. Ich finde, es zeugt von großem Mut, dass sie ihre Herzlichkeit ungefiltert mit einem teilt: Da gibt es keine Attitüde, die sie sich draufschaufelt. Und ich glaube, das ist es auch, was die Zuschauer an ihr lieben – man guckt ihr wahnsinnig gern zu. Meine Oma würde jetzt vielleicht sagen: „Bei ihr geht einem einfach das Herz auf.“ Und das kann ich nur bestätigen.


Wie war die Arbeit mit Heiner Lauterbach?

Das Schönste für mich war, zu sehen, dass sich jemand mit einem so reichen Erfahrungsschatz wie er bis heute eine große Neugierde erhalten hat. Ich hatte das Gefühl, daß er sich immer wieder  neu erfinden möchte – und dass er sich auch gerade jetzt wieder neu erfinden möchte. Ich glaube, die Brillanz, mit der Heiner Lauterbach in DER FALL COLLINI agiert, zeigt ihn auf dem Gipfel seines Könnens: Das ist Schauspielkunst par excellence. Für die Zuschauer wird es eine große Freude sein, hier zu erleben, wie er sich selbst noch einmal übertrifft.


Das Duell zwischen ihm und Elyas M’Barek sorgt für einen verbalen Showdown vor Gericht.

Ja, und beide Figuren vertreten unterschiedliche rechtsphilosophische Standpunkte: Während der von Heiner gespielte Richard Mattinger ganz klar eine formaljuristische Position vertritt, die sich nur für die Buchstaben des Gesetzes interessiert, wird Caspar Leinen zu einem Helden, der nach Gerechtigkeit strebt.


Lassen Sie Ihren Darstellern große Freiheiten oder geben Sie ihnen ganz dezidierte Anweisungen?

Ich lasse den Akteuren Freiheiten in der Interpretation, gebe ihnen aber schon einen klaren Rahmen vor, aus dem sich im Einzelfall beispielsweise ein bestimmter Rhythmus ergibt. Ich habe auch eine Aversion gegen das deutsche Schreitheater, das sich offenbar mehr und mehr in Kinokomödien ausbreitet. Warum müssen sich die Leute vor der Kamera ständig anbrüllen? In der Ruhe liegt doch oft eine größere Kraft: Souverän vorgebrachte Argumente und gezielt gesetzte Pausen verleihen den Worten viel mehr Gewicht – nicht nur vor Gericht.


Der Gerichtssaal wurde extra für den Film gebaut, richtig?

Ja, denn man kann einfach keinen echten Gerichtssaal so lan- ge blockieren, wie wir das getan haben. Dementsprechend haben wir uns für die Konstruktion des Ganzen entschieden, und da hat unser Szenenbildner Josef Sanktjohanser ganze Arbeit geleistet. Angelehnt ist unser Saal an einen tatsächlich existie- renden Gerichtssaal in Berlin-Schöneberg, den wir aber noch verfremdet haben, weil der Raum auch Teil der Dramaturgie werden sollte. Mir war es zum Beispiel wichtig, einen Glaskas- ten für den Angeklagten zu haben, und einen unterirdischen Gang, der in diesen Glaskasten führt. Denn ich wollte, dass wir mit der Kamera von unten in den Gerichtssaal hineinkommen, damit man das Gefühl hat, mit Collini wie ein Raubtier in die Manege geführt zu werden. Zudem haben wir eine beleuchtete Decke mit Plexiglas-Scheiben gebaut – das sieht nicht nur gut aus, sondern hat auch dafür gesorgt, dass beim Dreh keine Lichtumbauten mehr nötig waren, mit denen man sonst immer wahnsinnig viel Zeit verliert.


Und im Gerichtssaal kamen mehrere Kameras zum Einsatz?

Ja, da haben wir eigentlich durchgehend mit drei Kameras gleichzeitig gedreht. So konnten wir ganze Verhandlungstage an einem Stück durchproben und durchspielen, in bis zu 20- bis 30-minütigen Einstellungen. Ähnlich wie bei Theater haben wir morgens erst einmal zwei oder drei Stunden lang mit den Schauspielern nur an den Texten gearbeitet. Dann haben wir angefangen, diese Texte zum Leben zu erwecken, Bewegungen zu choreografieren, und dabei die Ideen der Schauspieler mit- einfließen zu lassen. Schließlich wurde das Ganze mit drei Kameras eingefangen. Ich muss sagen, unser DoP Jakub Bejnarowicz gehört wirklich zu den herausragenden Kameraleuten in Europa.

Foto:
Elyas M‘Barek als Collinis Strafverteidiger Caspar Leinen
© Constantinverleih

Info:
BESETZUNG

CASPAR LEINEN ....................Elyas M‘Barek
JOHANNA MEYER                  Alexandra Maria Lara
RICHARD MATTINGER ...........Heiner Lauterbach
HANS MEYER..........................Manfred Zapatka
JEAN-BAPTISTE MEYER.........Jannis Niewöhner
OBERSTAATSANWALT REIMERS .....Rainer Bock
VORSITZENDE RICHTERIN ...............Catrin Striebeck
NINA...........................................         Pia Stutzenstein
BERNHARD LEINEN...........................Peter Prager
AICKE .................................................Hannes Wegener

UND FRANCO NERO als Fabrizio Collini

Abdruck aus dem Presseheft