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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2019 04 18 um 11.59.13Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 18. April 2019, Teil 6

Redaktion

Berlin  (Weltexpresso) - Auch wenn es manchem genug erscheint, wieviel nun über den Film bekannt ist, ist der eigentliche Dreh- und Angelpunkt das vom Bundestag Ende 1968 beschlossenem sogenannte Dreher-Gesetz, ein Zeitpunkt, zu dem die politisch Interessierten anderes im Kopf hatten und wo dieser Adenauer -Globke Dreher mit einem unzlässigen Dreh den Abgeordneten im verabschiedeten Ordnungswidrigkeitengesetzt ein Ei ins Nest legte - in letzter Sekunde und von niemandem bemerkt und diskutiert. Alle stimmten zu, weil keiner außer Dreher und seinen Kumpanen die letzte vorgenommene Änderung im Gesetz überhaupt bemerkt hatte, das nun Straffreiheit für diejenigen brachte, die sich nur als Gehilfen beim Mord der Nazis bezeichneten. In der Folge die Kommentierung im Presseheft.

RECHTLICHE GRUNDLAGEN

Um zu verstehen, worum es bei dem sogenannten Dreher-Gesetz geht, das in DER FALL COLLINI eine entscheidende Rolle spielt, muss man sich zunächst einmal ein paar juristische Grundlagen vor Augen führen – allen voran die Tatsache, dass das deutsche Strafrecht zwischen Mord und Totschlag unterscheidet. Wer willentlich einen anderen Menschen umbringt, begeht grundsätzlich nur einen Totschlag. Damit die Tat im juristischen Sinn als Mord zu bewerten ist, muss sie eines der im Strafgesetzbuch aufgeführten Mordmerkmale erfüllen. Das trifft beispiels- weise dann zu, wenn sie besonders grausam oder heimtückisch ist, oder wenn der Täter aus niedrigen Beweggründen handelt, also etwa aus Habgier, Mordlust oder Rassenhass.

Die beiden Tötungsdelikte werden unterschiedlich hart bestraft: Für Mord sieht das Gesetz heute zwingend eine lebenslange Haft vor, bei einem Totschlag droht nur eine Freiheitsstrafe von fünf bis 15 Jahren. Die Unterscheidung ist insbesondere wichtig für die Verjährung einer Tat – die richtet sich nämlich nach der angedrohten Höchststrafe. Nach heutigem Recht verjährt ein Mord nie, ein Totschlag hingegen nach 20 Jahren. Das heißt, danach kann der Totschläger für seine Tat nicht mehr bestraft werden. Wie zahlreiche gesetzliche Regelungen haben sich auch die Verjährungsfristen im Laufe der Zeit geändert: Zu Beginn der 60er Jahre verjährte etwa ein Totschlag nach 15 und ein Mord nach 20 Jahren. Dazu später mehr.

Des Weiteren muss man zum Verständnis des Dreher-Gesetzes wissen, dass unser Strafrecht auch zwischen Tätern und Gehilfen unterscheidet. Täter ist, vereinfacht gesagt, wer ein eigenes Interesse an der Tat hat; ein Gehilfe hingegen möchte nur eine fremde Straftat unterstützen. So ist zum Beispiel jemand kein Täter, sondern Gehilfe, wenn er bloß einen Befehl zur Tötung eines anderen Menschen ausführt. Dabei sieht das Gesetz vor, dass ein Gehilfe grundsätzlich milder zu bestrafen ist als ein Täter.


ENTNAZIFIZIERUNG UND KRÄHENJUSTIZ

Um die Vorgänge rund um das Dreher-Gesetz zu begreifen, muss man sich zudem vor Augen führen, dass sich die bundesrepublikanische Justiz und Verwaltung nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem beträchtlichen Teil aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP und Angehörigen der NS-Justiz rekrutierte. Zu Beginn existierte noch ein Verbot, Beamte ein- zustellen, die in irgendeiner Weise durch ihre Ver- gangenheit belastet waren. Doch bereits nach dem Ende der Besatzungszeit konnten in der Regel alle eingestellt werden, die nicht als belastet entnazifiziert worden waren - und das waren die Allermeisten.

Kein Wunder also, dass weite Teile der Rechtspre- chung und der Verwaltung keinerlei Interesse an der juristischen Aufarbeitung des Naziterrors hatten. Ermittlungen wurden behindert und Verfahren ver- schleppt, Täter wurden reihenweise freigesprochen oder kamen mit geringen Strafen davon. Historiker umschrieben dieses Vorgehen später plastisch mit dem Begriff „Krähenjustiz“.

Eine der folgenschwersten Ausprägungen dieser Rechtsprechung war auch von maßgeblicher Bedeutung für das Dreher-Gesetz: Bundesdeutsche Gerichte folgten damals dem Diktum, dass gemäß dem Führerprinzip nur die Mitglieder der obersten Nazi-Führungsriege, also Hitler, Himmler, Göring & Co., während des Dritten Reiches im strafrechtlichen Sinne Täter gewesen seien. Das heißt, selbst wenn jemand Hunderte von Menschen umgebracht hatte, selbst wenn er seine Opfer eigenhändig durch Genickschuss getötet oder Gas in die Gaskammer eingeleitet hatte, galt er vor Gericht nicht automatisch als Täter und konnte mit einer milden Strafe rechnen.


ERSTE PROZESSE UND GESELLSCHAFTLICHER WANDEL

Rund anderthalb Jahrzehnte lang funktionierte diese Rechtsprechung nahezu reibungslos. Doch im Laufe der 60er Jahre kippte die Stimmung im Land. Der Eichmann-Prozess in Jerusalem und die vom hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer initiierten Frankfurter Auschwitz-Prozesse fanden enorme mediale Aufmerksamkeit. Dank der erschütternden Zeugenaussagen kamen die grauenhaften Ereignisse in den Konzentrationslagern erstmals öffentlichkeitswirksam zur Sprache; zum ersten Mal wurde der Bevölkerung das Ausmaß der Verbrechen eindringlich vor Augen geführt.

Abgesehen vom Mord waren allerdings sämtliche Straftaten aus der Zeit des Dritten Reichs inzwischen schon verjährt, so auch der Totschlag. Doch kurz vor Ende der Verjährungsfrist für Mord beschloss der Bundestag nach bemerkenswerten Debatten eine Gesetzesänderung: Die Mehrheit der Abgeordneten war mit Blick auf die schlimmsten NS-Verbrechen der Meinung, dass ein Mord nicht verjähren dürfte. Ab 1963 ermittelte die Berliner Generalstaatsanwaltschaft jahrelang gegen die einstigen Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes, der Zentrale des NS-Terrors – rund 2.700 Zeugen wurden vernommen, 150.000 Aktenordner gefüllt. Kurz ge- sagt: Tausende ehemalige oder noch aktive Polizisten, Juristen und sonstige Beamte mussten nun befürchten, für ihre Beteiligung am Holocaust zur Verantwortung gezogen zu werden.


DREHERS TRICK

Eduard Dreher war mitverantwortlich dafür, dass es dazu nicht im großen Stil kam. Er war im Dritten Reich Staatsanwalt am Sondergericht Innsbruck gewesen und hatte dort sogar bei Bagatelldelikten wie Lebensmitteldiebstahl die Todesstrafe gefordert. Nach dem Krieg hatte er rasch Karriere als Beamter gemacht. Bekannt wurde er später vor allem als Autor des meistverbreiteten Kommentars zum Strafgesetz- buch. Im Jahr 1968 war er Leiter der Strafrechtsabteilung im Bundesjustizministerium.

Er war maßgeblich beteiligt an einem Gesetz mit dem harmlos klingenden Namen „Einführungsgesetz zum Ordnungswidrigkeitengesetz“; es enthielt vorwiegend völlig unbedeutende Regelungen und wurde deshalb auch vom Bundestag einstimmig und ohne Debatte verabschiedet. Doch das Gesetz war eine Art trojanisches Pferd, denn es gab darin auch einen hinterhältigen Satz, der dazu führte, dass mit Inkrafttreten des Gesetzes sehr viele Verbrechen der NS-Zeit auf einen Schlag verjährt waren. Die Bundestagsabgeordneten erfuhren erst Tage später aus einem SPIEGEL-Artikel von den fatalen Folgen des Gesetzes; viele von ihnen zeigten sich em- pört über das, was man ihnen untergeschoben hatte. Manche glaubten an ein Versehen und sprachen von einer Panne, doch einige Indizien (darunter eine Randnotiz auf einem Vermerk) legen den Schluss nahe, dass Dreher ganz genau wusste, was er da tat.

Der fatale Satz wurde in den damaligen Paragraphen 50 des Strafgesetzbuchs eingefügt. Er betrifft unter anderem Mordgehilfen, bei denen sich bestimmte Mordmerkmale nicht nachwei- sen ließen – also etwa NS-Verbrecher, die zwar Juden umgebracht hatten, denen man aber nicht nachweisen konnte, dass sie selbst aus Rassenhass gehandelt hatten. Die neu eingefügte Bestimmung schrieb nun zwingend vor, dass diese Mordgehilfen nicht wie Mörder, sondern nur wie Totschläger zu bestrafen waren. Das hieß aber zugleich, dass für sie auch die Verjährungsfrist für Totschlag galt. Die Konsequenz: Bei Inkrafttreten des Dreher-Gesetzes am 1. Oktober 1968 waren ihre Taten bereits verjährt.


GUT GETARNTE AMNESTIE

Die Justiz nahm die Einladung für diese klammheimliche Amnestie von NS-Gewaltverbrechern dankbar an: Wenige Monate später erließ der Bundesgerichtshof ein Grundsatzurteil zu jenem durch das Dreher-Gesetz veränderten Paragraphen 50 des Strafgesetzbuchs. Dieses Urteil erging im Verfahren gegen den SS-Oberscharführer Hermann Heinrich, der persönlich für die Aus- wahl und den Abtransport von Juden aus Krakau in die Vernichtungslager Auschwitz und Belzec zuständig gewesen war. Man hatte ihn deswegen als Mordgehilfen in mindestens 37.600 Fällen angeklagt. Doch der Bundesgerichtshof sprach ihn frei – mit folgender Begründung: Heinrich habe zwar gewusst, dass die Opfer der Vernichtungsaktionen, an denen er beteiligt war, allein aus Rassenhass umgebracht wurden, aber er selbst habe diesen niedrigen Beweggrund nicht geteilt, sondern nur Befehlen gehorcht. Seine Tatbeiträge zu den Morden seien deshalb nach der Neufas- sung von § 50 des Strafgesetzbuches schon verjährt.

In diesem Zusammenhang sollte unbedingt noch erwähnt werden, dass vier der fünf Richter, die dieses Grundsatzurteil erlassen hatten, nachweislich nationalsozialistisch vorbelastet waren. Das Urteil hatte große Signalwirkung: Allein im folgenden Jahr wurden in der Bundesrepublik Verfahren gegen 294 verschiedene NS-Verbrecher unter Bezugnahme auf den neuen Paragraphen 50 des Strafgesetzbuchs einfach eingestellt. Auch die größte damals in Deutschland geplante Prozessserie platzte daraufhin – diejenige gegen ehemalige Mitarbeiter des Reichssicherheitshauptamtes. 150.000 Aktenordner waren also fast umsonst zusammengetragen worden.

Bestraft wurden in den Folgejahren nur noch ganz wenige Gewaltverbrecher aus der Zeit des Dritten Reichs: solche, denen man bestimmte Mordmerkmale nachweisen konnte, etwa, weil sie ganz besonders grausam agierten, so dass sich nicht mehr leugnen ließ, dass ihre Handlungen weit über das bloße Ausführen von Befehlen hinausgingen. Wenn beispielsweise ein SS-Mann einer Mutter das Kind entriss und dessen Kopf an einer Mauer zerschmetterte, kamen die Richter nicht umhin, den Mann zu verurteilen. Wenn jedoch jemand vom Personal des nationalsozialistischen Vernichtungsapparates „nur“ am ordnungsgemäßen Ablauf mitgewirkt hatte und behauptete, lediglich Anweisungen befolgt zu haben, dann hatte er von der Justiz nichts zu befürchten, weil seine Taten als verjährt galten.

Der Skandal, dass die meisten Beteiligten an NS-Verbrechen ungeschoren davonkamen, wurde allerdings nicht nur allein durch die von Dreher lancierte Gesetzesänderung ermöglicht. Eine große Mitverantwortung ist auch der damaligen Rechtsprechung anzulasten. Die Richter hätten nämlich, wenn sie gewollt hätten, auch in der Folgezeit einige Möglichkeiten gehabt, die schleichende Amnestie abzuwenden. Sie hätten beispielsweise in vielen Fällen das Vorhandensein von Mordmerkmalen bei den Beschuldigten durchaus bejahen können. Vor allem aber hätten sie von dem absurden Dogma abrücken können, wonach bloß Hitler & Co. als Täter und alle anderen als Gehilfen zu behandeln seien – dann wäre das sogenannte „Dreher-Gesetz“ schlichtweg ins Leere gelaufen.

Foto:
FRANCO NERO als Fabrizio Collini
© Constantinverleih

Info:
BESETZUNG

CASPAR LEINEN ....................Elyas M‘Barek
JOHANNA MEYER                  Alexandra Maria Lara
RICHARD MATTINGER ...........Heiner Lauterbach
HANS MEYER..........................Manfred Zapatka
JEAN-BAPTISTE MEYER.........Jannis Niewöhner
OBERSTAATSANWALT REIMERS .....Rainer Bock
VORSITZENDE RICHTERIN ...............Catrin Striebeck
NINA...........................................         Pia Stutzenstein
BERNHARD LEINEN...........................Peter Prager
AICKE .................................................Hannes Wegener

UND FRANCO NERO als Fabrizio Collini

Abdruck aus dem Presseheft