Bildschirmfoto 2019 04 25 um 02.21.27Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 25. April 2019, Teil 7

Elke Eich

Berlin (Weltexpresso) - Herr Bock, was hat sie gereizt, diese sehr körperliche Rolle des Möbelpackers zu spielen? Und wie kamen Sie an die Rolle?

Ich fand das Drehbuch grandios. Aber da waren Regieanweisungen drin wie – sinngemäß: „Sein Muskelspiel zeichnete sich unter seinem Hemd ab!“ Nach Blicken links und rechts an mir runter habe ich mich dann doch gefragt, wie die auf mich kamen. (schmunzelt) Das fand ich, ehrlich gesagt, absurd, weil ich mich als klassische Fehlbesetzung sah.

Andererseits habe ich mir gesagt: Egal! Ich will die kennen lernen! Vielleicht war ich deshalb auch so wahnsinnig entspannt beim Casting. Jedenfalls hatte ich dabei viel Spaß mit Roman Kanoni und Albrecht Schuch. (lacht) Verabschiedet habe ich mich danach aber nicht mit „Auf Wiedersehen!“ oder „Wann meldet Ihr euch?“, sondern mit „Tschüss! Es hat total Spaß gemacht!“. D.h., ich hatte das mehr oder weniger gleich abgehakt.


Und dann sollten doch Sie der Walter sein!

Zwei Wochen nach dem Casting rief mich David Nawrath (Anmerkung: der Regisseur) dann an und sagte den Satz, den jeder Schauspieler in seinem Leben mindestens einmal hören möchte: „Ich kann mir den Film ohne dich nicht mehr vorstellen!“ Das fand ich sehr rührend.

Aber auf meine Nachfrage hin kam dann der Haken: Ich müsste ein halbes bis dreiviertel Jahr ins Fitnessstudio gehen. Aber nicht, um später wie Arnold Schwarzenegger auszusehen, beruhigte er mich, als ich mein Alter einwarf. Es ginge einfach darum, oberkörpertechnisch ein bisschen zu beglaubigen, dass der Walter mal vor 40 Jahren richtig gestemmt hat, bzw. in diesem Beruf arbeitet, beruhigte mich David.

Ich glaube, das haben wir hingekriegt! Es war aber anstrengend und hat bei meinen alten Knochen am Anfang richtig weh getan.


Wie wurden Sie denn bei Ihren Fitnessbemühungen unterstützt?

Ich hatte einen wunderbaren Personal Trainer: Manni, mit dem ich bis heute noch befreundet bin! Er war sehr behutsam, sehr klug und sehr wissend darum, wie man die ganze Körperlichkeit eines älteren Mensch steuern muss. Und dann hat das Training sogar noch angefangen, Spaß zu machen. Das war so meine erste Begegnung mit dieser Figur des Walter.


Was hat sie inhaltlich an dieser Figur gereizt?

Inhaltlich hat mich natürlich zum einen diese Vater-Sohn-Geschichte wahnsinnig gereizt, denn ich bin selbst Vater eines Sohnes. Mich hat die Schuldfrage gereizt, die man ein Leben lang mit sich herumträgt. Nach dem Tod meiner Eltern habe ich lange und viel darüber nachgedacht, ob man die jemals eingelöst bekommt. Ob man jemals das letzte, klärende Gespräch führt. Ob man entschuldet wird, oder ob man damit weiterleben muss.

Walter kriegt ja im Film noch mal die Chance, sich neu zu entscheiden, als er seinen „verlorenen“ Sohn trifft: Entweder sagt er: „Nein, darauf lasse ich mich nicht ein!“, weil er sich schon 30 Jahre lang aus allem rausgehalten hat und dabei bleiben will. Oder er sagt:“ Ja, ich mische mich ein!“, womit er Zivilcourage zeigt.

Zivilcourage ist ja erst dann wirklich Zivilcourage, wenn sie einen etwas kostet. D.h., wenn die Zivilcourage für einen selbst nachträglich sein kann. Und genau dieses Risiko nimmt Walter, zwar erst mal Stück für Stück, aber immer mehr in Kauf. Bis zu dem, was wir dann am Ende sehen.

Diese drei Bereiche - Vater-Sohn-Geschichte, Schuldfrage und Zivilcourage - fand ich schon beim ersten Lesen sehr faszinierend.


Ist Ihre Figur ungewollt ein einsamer Wolf?

Walter ist ein einsamer Wolf wider Willen, natürlich! Er hat einmal in seinem Leben die Kontrolle verloren, als er diese beiden Polizisten krankenhausreif geschlagen hat. (Anmerkung: Walter hatte mit einem unerlaubten Tagesausflug mit seinem kleinen Sohn gegen das Kontaktverbot verstoßen und fühlte sich von der bei der Mutter wartenden Polizei vor ihm gedemütigt.)

Nun ist Walter ja kein Intellektueller, der sagen kann: „Ich habe einen guten Anwalt und stelle mich!“ Sondern, er bekam damals Panik. Und dann war da dieser Speditionsbesitzer, der sagte: „So einen Typen wie dich kann ich gebrauchen bei mir! Pass mal auf: Du bekommst neue Papiere, eine neue Identität und eine kleine Wohnung...“ Das mag man anzweifeln oder nicht. Aber das ist mir, ehrlich gesagt, wurscht: Das ist eine Setzung!

So hat er die letzten 30 Jahre sehr zurückgezogen gelebt, was sicher seinem Charakter entspricht, aber eben auch der Situation geschuldet ist, in die er sich selber gebracht hat. Die gesamte Situation hat sich bei Walter so verhärtet, und er hat sich sein Leben danach eingerichtet: immer in der Angst, doch noch mal irgendwie wieder aus dieser Spur raus zu geraten. Es gibt auch keinen Hinweis auf eine Beziehung, dass es in seinem Leben eine Frau gäbe oder so.

Walter lebt in diesem Winz-Kosmos seiner selbst gewählten Isolation.

Es gibt einen kurzen Moment im Film, wo er bei der Polizei aussagen soll und meint, da nicht hingehen zu können, wegen der alten Sache. Und sein Chef beschwichtigt ihn: „Mensch, Alter, das ist doch längst verjährt.“


Das kommt ja einer massiven Selbstbestrafung gleich! Was haben Sie von dieser Rolle, die ja nicht dem entspricht, wie Sie als Mensch real sind, für sich mit in ihr Leben genommen? Oder hat Ihr Frau sie angespornt und gesagt: Mensch Rainer, macht das doch! Vielleicht wirst du dadurch noch mal wieder so richtig fit!

Also, meiner Frau ist grundsätzlich sehr daran gelegen, dass ich gesund bin.


(lachend) Vielleicht hat sich Ihre Frau ja auch gewünscht, dass sie noch mal ein Sixpack haben.

Nicht, dass meine Frau mein leichtes Übergewicht liebt, aber ich glaube, ein Sixpack ist kein Kriterium. Was ich äußerlich von der Rolle mitgenommen habe: Sport tut mir wirklich auch in dieser Art richtig gut! Ich habe zwar immer Sport gemacht, aber das waren immer so Schläger- oder Ballsportarten. Da kann ich mich auch so verausgaben, dass ich auf allen Vieren aus der Halle oder vom Platz krieche. Aber diese Art von Sport in einem Fitnessstudio war mir fremd.

Ich schätze es sehr, wenn einem geliebte Vorurteile oder Klischees, die man so in der Birne hat, um die Ohren gehauen werden. Dass ich hinterher dann dastehe und sage: Ach guck! Das finde ich wirklich immer toll. Und speziell Manni, der ja aus dieser Fitness-Szene kommt, war so ein Beispiel dafür.

Ich dachte ja, da kommt bestimmt so einer, der nur Kilos stemmen kann und mich jetzt volllabert. Und dann kam da aber ein sehr kluger und zurückhaltender, dabei auch sehr kräftiger und starker Mann. Einer, der z.B. in Familien mit übergewichtigen Kindern reingeht und denen gesundheitsbewusstes Kochen beibringt, der als DJ Platten auflegt und mit seiner Frau privat eine kleine Reinigungsfirma betreibt.

Zusätzlich unterstützt Manni auch noch eine Stiftung, die Wohnungen und Zimmer für Eltern bereitstellt, deren Kinder lange Zeit im Krankenhaus verbringen, wenn ihnen dort keine entsprechenden Elternzimmer angeboten werden können. Es ist ja schon eine tolle Sache, von so einem Menschen, sich dafür zu engagieren. Im Verlauf des Trainings stellte sich jedes Mal wieder auf’s Neue so ein Aktivität von ihm raus. So, dass ich ihn auch mal gefragt habe: „Sag mal, Manni, wann schläfst du eigentlich?“

Und ich war für ihn aber auch so ein totaler Exot. Sowas wie mich hatte er jedenfalls in seiner Laufbahn noch nicht. Es war wirklich eine wunderbare Begegnung, bis heute. Und, wie bereits gesagt, wir sind auch befreundet.


Und was hat die Rolle an sich mit Ihnen gemacht?

Wie vorhin bereits gesagt: Die Rolle hatte ja schon auch eine Schnittmenge mit meinem eigenen, privaten Leben. Alleine die Beschäftigung mit dieser Schuldfrage, und dann auch dieses Verdrängen von Schuld und das Zulassen, sich dem nochmal neu zu stellen. Vielleicht hat man ja auch gar keine Schuld und hat sich umsonst Sorgen gemacht. Oder es ist nie zu einer Form der Auseinandersetzung gekommen, und jetzt besteht nochmal die Chance dazu.

Das Ende des Films ist ja fast ein Kliff-Hänger! Vielleicht machen wir noch einen zweiten Teil... (lacht)... und gucken mal, was auch dieser Vater-Sohn-Geschichte wird.

Auch von diesen sehr stark intellektuellen Figuren wegzukommen, die man mir oft zugewiesen hat war gut für mich. Mich stattdessen mal einem in seiner Denk- und Lebensweise etwas einfacheren Menschen anzunähern, und das, ohne ihn in irgendeiner Weise zu karikieren oder zu verraten. Den Walter wirklich geliebt zu haben und mit seinen Schwächen dann als Schauspieler auch so umzugehen, wie man es hoffentlich im Film auch sieht. Das war eine ganz tolle Aufgabe. Und das bereichert einen immer, erst recht, wenn es einem unter Umständen gelungen ist.


Es ist ihnen sehr gut gelungen!

Danke. Das sollte aber jetzt nicht „Fishing for Compliments“ sein. Ich bleibe ja ein ewiger Zweifler, aber ich glaube in dem Fall auch, dass es geklappt hat! (lacht herzlich)


Wie erschließen Sie die Bedeutung und die Rolle des Sohnes? Was kommt bei ihm zum Schwingen, als er ihn als Erwachsenen kennenlernt?

Er sieht, dass dort, sozusagen mit seinen Genen, ein Leben geführt wurde, das so gar nicht seinem eigenen Leben entsprochen hat. D.h., ein Leben, das er sich selbst verwehrt hat.


Sind Sie eigentlich genauer in die Vorgeschichte eingestiegen, warum und wie es zum Bruch zwischen Walter und der Mutter seines Sohnes kam?

Wir haben keine festgelegte Geschichte über Walters Beziehung zur Mutter seines Sohnes, und den Grund, warum er Besuchsverbot hatte... Man kann sich da ja alles Mögliche vorstellen. Ich glaube aber nicht, dass es aufgrund von häuslicher Gewalt war. Das kann ich mir bei dieser Figur irgendwie nicht vorstellen.

Natürlich haben wir darüber gesprochen, was die Vorgeschichte ist. Warum hat er Besuchsverbot bei diesem Kind? Letztendlich ist es aber müßig, das zu klären, und man kann da eine Setzung vornehmen, ohne in die Tiefe zu gehen. Häusliche Gewalt war es aus meiner Sicht auf keinen Fall!


Welche Elemente waren für die Entwicklung von Walters Persönlichkeit wichtig?

Sich bewusst zu machen, dass er darunter gelitten hat, das war wichtig! – Denn er hätte ja sonst auch sagen können: „Mir doch egal! Geht mir am Arsch vorbei! Du kriegst nicht mal Alimente.“ So ist er aber nicht gewesen.

Diesem früheren Leben hat er auf eine Art nachgetrauert. Deswegen hat er das Besuchsverbot ja auch überschritten, seinen Sohn im Kindergarten abgeholt und mit ihm einen schönen Tag zu verbracht. Seinen Sohn hat er ja auch nicht in dem Sinne „entzogen“, dass er mit ihm z.B. nach Marokko ausgewandert wäre. Ganz im Gegenteil: Er hat ihn wieder brav zurückgebracht, und das durchaus mit einer gewissen Naivität. Und dann ist das, was kam, ganz schiefgelaufen.

Oft bin ich auch gefragt worden, ob es glaubwürdig ist, dass er seinen Sohn nach 30 Jahren sofort erkennt.Ich glaube, das ist realistisch in der Richtung, dass er als Vater seinen Sohn erkennt, Ja! Walter hat zu Hause von seinem Sohn ein Bild als Kind, und diese grundlegenden Gesichtszüge hatte er immer präsent vor Augen gehabt. Da ist etwas, das bleibt, auch wenn sich das Gesicht natürlich verändert. Andersrum wäre das natürlich nicht realistisch: Ein Mensch, der nach seinem 5. Lebensjahr den Vater nie wiedergesehen hat, kann ihn nicht erkennen!

Zu meinem eigenen Sohn habe ich eine extrem tiefe Verbindung und er, glaube ich, auch zu mir und zu uns als Eltern. Deswegen hat mich Walters innere Verbindung zu seinem Sohn auch so tief berührt... Dann zu wissen, dass dieses kleine Glück wieder einmal gefährdet ist, durch die ganz starke Haltung eines anderen Menschen ist hart. Sich da zu entscheiden, das Glück zu schützen, statt sich zu verpissen, macht diese Figur für mich auch so stark. Das hat, wie schon gesagt, viel mit Zivilcourage zu tun.

Gerade jetzt ist Zivilcourage so wichtig! In diesen Zeiten, wo ein Haufen Menschen sich tatsächlich traut, andere Menschen wegen ihrer politischen oder humanistischen Haltung regelrecht zu bedrohen, z.B. über das Internet. - Dass wir nicht alle permanent auf der Straße sind, ist eigentlich ein Skandal!

Und ich beziehe mich selbst da total mit ein. Durch die Greta-Bewegung ist ja nun endlich dieser Vollschlaf an deutschen Unis und an Schulen beendet, und es gibt wieder Jugendliche, auf die man schaut und sagt: „Gott sei Dank!“ Das alles ist ja Zivilcourage. Zivilcourage ist auch, im Bus im rechten Moment zu sagen: „Hören Sie jetzt sofort auf, diese dunkelhäutige Frau zu belästigen! Oder sie überhaupt nur dämlich anzugucken!“ Das machen wir nicht, oder wir machen es vielleicht zu selten. – Natürlich sollten wir uns bei solch einer Aktion nicht selbst gefährden! Ich sage also nicht, dass wir uns vor 20 angetrunkene Neonazis hinstellen sollen... Aber diese Situationen fangen im ganz, ganz Kleinen an und enden in großen Bewegungen. Und das hat auch etwas damit zu tun.


Zivilcourage ist ein Leitthema, aber es geht auch um Wiedergutmachung, das Verarbeiten eines großen Verlustes und eben die Annahme der Eigenverantwortung. Walter sagt an einer Stelle diesen Satz: „Jeder legt sich seine Lasten auf und muss sie alleine tragen.“

Während wir darüber reden, kommt mir noch ein weiterer Gedanke, der für mich im Moment auch neu ist: Es geht auch um die Wiederentdeckung der eigenen Empathie! D.h., Bei jemandem, der so lebt, wie es bei ihm beschrieben ist, gibt es keine großen „Ausschläge“ in dieser Richtung.
Zu entdecken, dass sich ein Gefühl wieder entwickelt, ist schön. 

Es gehört zur besonderen Klugheit dieses Drehbuchs von David, dass das nicht so eine Liam-Neeson-Geschichte ist, also kein „Zack, jetzt räumen wir hier auf!“ - Ich habe Liam Neeson wirklich sehr gern, aber erwähne das, um unseren Film von diesem Genre zu unterscheiden.

Als Moussa in der Szene in einem Lokal so durchdreht, sagt Walter zu seinem Chef nur: „Der Neue hat sich nicht im Griff!“ Aber er sagt nicht: „Lass die Finger von dem!“ Dass er klar Stellung bezieht und sich wirklich engagiert einbringt, entwickelt sich erst Stück, für Stück, für Stück! Bis hin zu der Entführung des Enkels. Dazu kommt es ja nicht, weil Walter Böses will, sondern um so seinen Sohn dazu zu zwingen, endlich auszuziehen. Das ist sehr klug und hat mit der Entwicklung der Figur zu tun, quasi mit dem eigenen Erkenntniswachstum.


Ich habe Walter gar nicht so wahrgenommen, dass er keine Empathie hat. Eher habe ich ihn als jemanden gespürt, der viel Energie darauf verwendet, seine Emotionalität in Schach zu halten. Er weiß ja von sich, dass er in extremen Situationen außer sich geraten kann und dann auch keine Grenzen mehr kennt. Aus seiner Erfahrung mit der Situation, in der er von den Polizisten gedemütigt wurde, und das dann auch noch vor seinem Kind. Um das zu vermeiden, bremst er sich aus und glaubt, seine Emotionen sozusagen „abschnüren“ zu müssen.

Als er mitbekommt, dass Moussa seinen Freund, den Gerichtsvollzieher, in der Toilette zusammenschlägt, ist er meiner Meinung nach schon auch mitfühlend, aber ratlos und handlungsunfähig. Aber was wäre die Alternative für ihn, wenn er in die Situation reinginge?

Später zeigt er wieder Konsequenz und bleibt auch bei Moussa am Ball, nachdem er abgeklärt hat, inwieweit er ihn davon abhalten kann, seinen Sohn Jan in große Bedrängnis und sogar Lebensgefahr zu bringen. Die weiteren Ereignisse ergeben sich folgerichtig dann daraus.

Andererseits: Jan hat ja interessanterweise auch dieses Vehemente und Aggressive, das in Walter schlummert. Und das wird zunehmend erfahrbar. Ich will aber damit nicht in Richtung genetischer Veranlagungen argumentieren, die fatalistischerweise so bleiben, wie sie einmal sind.

(Ein nicht überzeugtes) Jaaaa!? Wie Sie das beschreiben, ist vollkommen richtig und wunderbar beobachtet. Ich glaube trotzdem, dass ihm da was fehlt. Er hat zum Beispiel keinen richtigen Freund. Diese Beziehung zu dem Gerichtsvollzieher, gespielt von Thorsten Merten, das ist eine derart verkrampfte Männerfreundschaft, dass man nur denkt: „Ist das arm!“

Walter hat niemanden! Das meine ich mit Empathielosigkeit. Ich weiß nicht, was da mit Gefühlen ist. Alleine schon, wie seine Wohnung aussieht! Übrigens ist eines meiner Lieblingsbilder, wenn Walter dann abhaut und die Kamera langsam aus der Wohnung rausfährt und dabei nochmal diese armselige Nußbaum-Schrankwand und den Ständer mit dem Gewicht zeigt. Gott! (lacht) Das war jetzt tatsächlich fast 30 Jahre lang seine Behausung!? Von großer Liebesfähigkeit zu den Dingen und zu sich selbst zeugt das jedenfalls nicht!

Und in dem Moment, wo er seinem Sohn wieder begegnet – und das passiert ja nicht aufgrund einer rationalen Entscheidung, weil er ihn z.B. gesucht hätte - kommt es bei ihm zu einer emotionalen Entscheidung. Walter kommt in einen Gefühlsbereich, den er, wie sie ganz richtig sagen, sonst in Schach hält, damit ihm die Emotionen nicht außer Kontrolle geraten. Dass es dann doch außer Kontrolle gerät, ist ja eigentlich großartig! Er geht alle Risiken ein und nimmt sie auf sich - Scheiß die Wand an, was passiert!

Übrigens hatte ich beim Zugucken der Filmszene, in der er auf dem Weg ist von der Bushaltestelle bis dahin, wo er niedergeschossen wird, das Gefühl: „Der weiß schon, dass da gleich was passiert. Und es ist im Scheiß egal!“ Interessanterweise, hatte ich dieses Gefühl als Figur beim Dreh dieser Szene aber gar nicht. (lacht)


Das Zusammenspiel von Ihnen mit Albrecht Schuch, einem der besten Schauspieler seiner Generation, und sie zum ersten Mal in einer absolut tragenden Hauptrolle - das war schon toll.

Es war ein großes Vergnügen, mit Albrecht Schuch zu spielen, und das war auch schon beim Casting so. Ich hatte gehofft, dass er die Rolle übernimmt.

Mit tollen Schauspielern habe ich vorher auch schon spielen können. Mit Philip Seymour-Hoffman z.B. Ihn überhaupt kennenzulernen und mit ihm spielen zu können, war schon toll. Mit Nina Hoss und vielen anderen.


Was macht für Sie die besondere Qualität von Albrecht Schuch aus?

Albrecht kann sich wahnsinnig toll in seine Figuren hineinversetzen, kann sie mit einer unglaublichen Energie, Charisma und mit einer beeindruckenden Gefühlspalette versehen. Und dabei wirkt er dabei trotzdem immer sehr authentisch. Ich mag ihn irrsinnig gerne.

Die Verantwortung zu übernehmen im Sinne von: „Okay, ich trage jetzt diesen Film, also bin ich auch in gewisser Weise dieser Film!“ - ist keine unwesentliche Bürde! Ich glaube aber, das wäre für jeden so. Diese Haupt- und Nebenrollen-Diskussion bin ich übrigens, ehrlich gesagt, total müde. Die wird auch nicht von mir geführt, sondern sie wird mir aufgezwungen.

Viel wichtiger ist, dass die Zusammenarbeit mit dem David (Anmerkung: Regisseur Nawrath) einfach so großartig war, weil die Zurückgenommenheit dieser Figur für mich am Anfang nicht so ganz leicht war.


Ruhige und zurückhaltende Typen haben Sie aber doch schon häufiger gespielt. Was hat Ihnen dem bei diesem Film anfangs Schwierigkeiten bereitet?

Es gab nur eineinhalb Seiten Text für 28 Drehtage! Das ist auf der einen Seite sehr beruhigend, denn man muss sich textlich nicht vorbereiten! Aber: Was mache ich denn dann? Was spiele ich denn dann die ganze Zeit?

Man kann sich ohnehin vorbereiten, wie man will: Am ersten Drehtag weiß man „es“ letztlich immer noch nicht, sondern es ergibt dann alles dann im Verlauf der Dreharbeiten, so Gott will! Und David war da trotz seiner Jugend und seiner scheinbaren Unerfahrenheit mit Langfilmproduktionen ein Fels in der Brandung.

Die ersten, drei, vier Tage bin ich immer wieder zu ihm hingegangen und habe gesagt: „David, ich spiele ja gar nix! Ich muss doch mal was machen!“ Da antwortete er: „Du spielst SO viel, Rainer! - Komm her, ich zeig‘ Dir das. (Rainer Bock macht die Gesten nach, wie am Set frisch gefilmtes Material auf einem Monitor gesichtet wird.) Das bedeutet, ich musste ein tiefes Vertrauen zu ihm entwickeln und hatte das dann auch. Erstens hatte ich keine andere Wahl, und zweitens habe ich gespürt, dass er mir das Vertrauen und das gute Feedback auch wirklich gibt. Ich konnte ihm im Gegenzug aufgrund meiner Erfahrungen im Gegenzug vielleicht eher bei technischen und organisatorischen Dingen helfen.

Es war insgesamt ein wunderbares Zusammenarbeiten mit David, und mit Albrecht sowieso. Alles im Allem sehr anstrengend, aber ein großer Genuss. Anders kann ich das nicht sage. Es war eine beglückende Arbeit!


Die Ereignisse des Films entzünden sich in einem sehr brisanten gesellschaftspolitischen Kontext. Drehort war Frankfurt, aber es könnte jede Stadt sein, in der „Atlas“ spielt. Neben der Annäherung zwischen Vater und Sohn geht es im Film vor allem um die mit sehr harten Bandagen vorangetriebene Gentrifizierung, die Machtlosigkeit von Mietern, die aus ihren Wohnungen vertrieben werden, und um kriminelle Strukturen, die das ermöglichen und dank derer im Hintergrund viel illegales Geld gescheffelt wird. Ein sehr heißes Thema!
Waren diese Aspekte für Sie wichtig? Ihre Figur geht ja mit anderen Möbelpackern und einem Gerichtsvollziehen zu Wohnungen, um sie, gerichtlich abgesegnet, leer zu räumen.

Ich lebe in München - und das sehr privilegiert, weil ich zur Miete im ersten Stock einer Villa wohne, die von zwei schwäbischen Schwestern mit ihren Männern gekauft wurde. Unsere Wohnung haben wir vor 16 Jahren angemietet, mit Garten und allem, und zwar noch zu einem Preis, dass ich es gerade noch so hinkriege.

Natürlich bekomme ich mit, was sich auch in München abspielt. Das ist der Wahnsinn! Und ich bekomme mit, dass sich das auch so fortsetzt in Berlin, Hamburg und anderen Großstädten, die vormals doch eher als miet- und wohnungsfreundlich galten.

Ich bin ja auch kein unpolitischer Mensch, und insofern war dieses Gewalt besetzte Thema der Entmietungen von Wohnhäusern auch ein interessanter Aspekt für mich. Aber es war für mich tatsächlich NICHT DER Hauptaspekt.

Das liegt - „sehr egomanisch“ als Schauspieler gedacht - natürlich an der Vorgabe der Figur! Walter ist ja jetzt auch keiner, der in der Firma auf die Barrikaden geht. Sondern, er ist eher jemand, der sich raushält. Man erfährt übrigens auch überhaupt nichts über Walters Haltung zu diesen Dingen. Dass der Film seine persönliche Geschichte mit in dieser Situation verortet, fand ich natürlich großartig.


Wie würden Sie ihr politisches Engagement umreißen, Herr Bock?

Ende der 70iger Jahre war ich sehr, sehr aktiv in der Anti-AKW-Bewegung, und habe das irgendwann abgebrochen, als es fast schon gefährlich wurde. Also, meine größte Angst im Leben war immer, entweder in der Psychiatrie oder im Gefängnis zu landen. Beides habe ich bisher – Toi, Toi, Toi! – erfolgreich verhindern können! Aber das war damals manchmal ein bisschen auf der Kippe.

Was meinen Sie, wie sehr ich jetzt kotze, wenn ich sehe, wie die sich heute dahinstellen und sagen: „Atomkraft ist gefährlich! Die müssen wir abschaffen!“ Dafür sind in den Siebziger Jahren Menschenleben wirklich ruiniert worden. Ich erinnere mich an einen Berufsschullehrer in Hamburg, der damals so ein Fanal in der Bewegung war. Den haben sie fertig gemacht und er hat, wie viele andere, Berufsverbot bekommen. Ganze Familien sind da zerstört worden! Und heute stellen sich Leute hin und tun so, als sei es ihr Gedankengut, dass Atomkraft weggehört. Das ist manchmal ein bisschen bitter.

Ich finde es großartig, dass unser Film gesellschaftskritisch ist und dieses verbrecherische Gebaren auf dem Wohnungsmarkt mit ins Bewusstsein rückt.


Die Handlangerperspektive so nah zu haben ist besonders, also der Blick auf diejenigen, die am Ende der Fahnenstange als Werkzeuge der Profiteure direkt eingreifen und auch mit den verheerenden Konsequenzen direkt konfrontiert werden. Die Drahtzieher, die absahnen bleiben im Hintergrund. Sehen Sie Handlungsspielraum und Möglichkeiten der Veränderung?

Für mich steht letztendlich nach wie vor - und zwar bei fast allen politischen Entscheidungen im Moment - immer noch der Endkonsument im Mittelpunkt. Ich weiß, das klingt utopistisch, was ich jetzt sagen werde, und von mir aus, nennen Sie mich naiv, aber: Wenn wir uns gegen Mietpreiserhöhungen und gegen diese Gentrifizierung, in der Art und Weise, wie sie stattfindet, konsequent wehren würden, dann wäre vielleicht doch Einflussnahme möglich. Wir tun’s nur nicht!

Im Gegenteil, ist es so, dass jeder versucht, dann doch irgendwie bei der Nummer, selbst noch „sein“ kleines „Altbauwohnungchen“ für einen Appel und ein Ei abzugreifen. Menschlich betrachtet, ist das alles irgendwo verständlich, aber im großen Kontext gedacht, ist es eine Tragödie!


Das heißt, wir müssten nur konsequent unsere Verantwortung für das Ganze wahrnehmen?

Vieles fängt doch bei jedem Einzelnen von uns an. Seit anderthalb Jahren, denke ich z.B. darüber nach, ob ich mir nicht doch endlich mal ein E-Auto anschaffe. Ich klatsche, wie viele andere auch, der Greta zu und sage: „Dolles Mädchen!“ Doch im Grunde, sitzen wir da und ändern nichts! Oder zu spät. Und da kotze ich mich manchmal selber an. - Gott sei Dank fahre ich wenigstens keinen Diesel!

Andererseits ist es das Privileg des Alters, dass endlich die Jungen auf die Barrikaden steigen, und wir ihnen den Vortritt lassen. Und ich bin der erste, der klatscht und mitläuft, wenn es drauf ankommt.


Hätte man die kriminellen Hintergründe des Wohnungsspekulations-Systems noch genauer beleuchtet können, ohne die sehr berührenden zwischenmenschlichen Ebenen zu sehr in den Hintergrund zu rücken?

Das hätte den Rahmen gesprengt. Unser Film ist, glaube ich, auch keine Politparabel.
Im Vordergrund stehen für mich nach wie vor Aspekte, wie die Zivilcourage, der Gedanke, Entscheidungen und Verantwortung zu übernehmen, und die Schuldfrage anhand dieses persönlichen Schicksals und der Vater-Sohn-Beziehung.

Im Zentrum steht auch das Thema des organisierten Verbrechens in arabischen, bzw. kurdischen Clanstrukturen. Ein Thema, das ja derzeit immens präsent ist. Das heißt, zumindest in jedem zweiten urbanen Thriller-Film, der in Berlin oder NRW spielt. Diese Bedrohung wird in „Atlas“ durch die Figur von Moussa repräsentiert, der aus einem kurdischen Clan stammt.

Der Einfluss der Clans ist natürlich die Folge eines grundsätzlichen Versagens der Politik. Das haben wir in München natürlich nicht so präsent, wie es hier bei Euch in Berlin ist. Die Frage ist doch, wie es möglich war, dass sich so eine Parallelgesellschaft entwickeln konnte. Dass da nicht irgend jemand gesagt hat: „Halt! Moment mal! Die Mafia haben wir eh schon nicht im Griff. Und jetzt fängt das auch noch an! Da müssen wir einen Riegel vorschieben.“

In den Medien und im Fernsehen wird ja jetzt immer wieder groß über Razzien berichtet. Wie effektiv das letztlich ist, kann ich nicht beurteilen. Ich hoffe nur, dass sie das Problem in den Griff kriegen, und zwar, ohne irgendwelche Subkulturen oder Ethnien anzugreifen. Es geht einzig und allein darum, gegen kriminelle und brutale Strukturen vorzugehen.

Als alter Weltverschwörungstheoretiker denke ich halt: „Es muss doch irgendjemand ein Interesse dran gehabt haben, dass dieses System verhältnismäßig unangetastet bleibt.“ Was ist da los? Sind das verfilzte Strukturen?


Weil Sie die Haupt- und Nebenrollendebatte nicht mehr hören können: Wie kommt es überhaupt, dass bestimmte Schauspieler, egal wie gut sie sind, nur in bestimmten, eher untergeordneten Rollenformaten landen?

Das wäre doch ein Job für Euch Journalisten, das mal zu recherchieren! Selbst blicke ich da auch nicht ganz durch. Ich habe zwar habe meine eigenen, kleinen Theorien, die ich aber nicht unbedingt verbreitungswürdig finde.

Es hat wohl auch mit der Film- und Fernsehbranche zu tun. Fast 30 Jahre lang habe ich Theater gemacht und dort sehr viele Hauptrollen gespielt, aber eben auch kleinere und mittlere. Übrigens ist es im subventionierten Theater in Deutschland erforderlich, als Schauspieler eine große Vielfalt an Rollen abdecken zu können. D.h., ich bin am Theater überhaupt nicht ausschließlich als kalter Intellektueller besetzt worden. Wäre dem so gewesen, hätte ich wahrscheinlich auch nur eine Produktion pro Jahr gehabt und dafür im Schnitt ein wunderbares Gehalt bekommen. (lacht süffisant)

Am Theater ist es so: Man spielt einfach die ganze Bandbreite, wenn man es denn kann. Und wenn man es nicht kann, ist man meistens auch nicht engagiert.

Ich werde ja häufig gefragt, warum ich nicht in Komödien spiele. Vor allem sage ich ja auch nicht, dass ich Komödien fürchterlich finde! Das wäre ja völliger Blödsinn! Es besetzt mich nur keiner in einer Komödie! Einfach, weil ich scheinbar durch „Das Weiße Band“ stärker in den Fokus der Branche geraten bin und danach auf bestimmte Rollen festgelegt wurde.

Dabei weiß doch jeder Insider, dass es dem Reiz der Schauspielerei und der guten Darsteller ausmacht, in verschiedene Rollen zu schlüpfen. Das Thema mit den Schubladen für bestimmte Greift da eine gewisse Vermeidungsstrategie, die statt Chancen zu sehen und Vielfalt zu fördern, nur Risiken wahrnimmt?

Es wäre jetzt sehr übergriffig, zu sagen, dass die Fantasie vieler deutscher Fernsehredakteure, nennen wir es mal so, eine „eindimensionale“ ist. Aber danach wurde dann besetzt. Ich glaube, man muss sich in so einer Lage dann mit etwas Glück neu erarbeiten, dass man entsprechend wieder andere Rollenangebote bekommt.

Ich hatte übrigens mal ein schönes Casting für eine komische Rolle, bei dem sich die Verantwort-lichen vor Lachen gar nicht mehr einkriegen konnten und fast auf dem Boden gelegen haben. Aber die Rolle bekam jemand anderes, und zwar aus guten Gründen der Dramaturgie, die gar nichts mit dem Können im komischen Genre zu tun hatten. Was ich nur sagen will: Der Komödie bin ich durchaus zugetan, aber auch die gilt es zu entdecken.


Mir ist so, dass Sie auch etwas Satirisches für einen Fernsehsender gemacht haben...

Im Herbst haben wir für den WDR eine wunderbare Politsatire für den WDR gemacht, über die Beinahe-Pleite von Karstadt. Sie sind über die Hintergründe sicher informiert: Damals war ein gewisser Josef Esch der Vermögens- und Finanzverwalter von Frau Schickedanz und hat ihre gesamten Millarden versenkt – gar nicht mal in die eigene Tasche, sondern einfach versenkt.

In unserer Satire heißt der Asch, damit man ihn nicht wiedererkennt. (lacht) Der WDR zittert wahrscheinlich jetzt schon vor juristischen Angriffen! Ursprünglich hieß die Figur nur „der Polier“, weil der Josef Esch aus der Baubranche kam und im wirklichen Leben einfacher Maurer war.

Mit seinen ersten Eigentumswohnungen in einem Mehrfamilienhaus hat er Monopoly gespielt und es darüber richtig zu Geld gebracht. Esch ist dann als Berater im Bankhaus Sal. Oppenheim mit eingestiegen, das später pleite ging, woraufhin die Deutsche Bank dann zugegriffen hat. Das Interessante: Obwohl Josef Esch gar nicht im Vorstand der Bank war, haben alle auf den gehört! Wenn man das liest, ist das schon Realsatire genug, weil man sich denkt: Wie kann man nur so dämlich sein?! ...(lacht kräftig), ... Unglaublich, wie die ihre Kohle verschleudert haben!

Danach kam dieser Tom Middelhoff, der quasi als Treuhänder eingesetzt wurde und dann richtig eingefahren ist für drei Jahre. Währenddessen ist Herr Esch, äh..., natürlich Asch mit einer Strafe von € 500.000 davongekommen. Die Summe konnte er locker aus der Portokasse bezahlen... Ich bin sehr gespannt, ob diese Politisatire funktioniert hat! Auf jeden Fall hat das Projekt einen Riesen-Spaß gemacht.


Mit dieser Darstellung werden sich sicherlich weitere Türen für das komödiantische Fach für Sie öffnen! Sie drehen aber auch viel international, Herr Bock.

Internationale Produktionen habe ich auch nur deshalb bekommen, weil die Aufraggeber „Das Weiße Band“ gesehen haben. Z.B. bekam ich ein Angebot nach Australien für drei Drehtage. Da dachte ich: „Habt Ihr sie noch alle?!“ Soll ich für drei Tage nach Australien reisen?


Haben Sie das Rollenangebot in Australien angenommen?

Ja, ja. Das war „Tracks“, der Film von Regisseur John Curran über die Reisejournalistin Robyn Davidson. Die ist im Alter von 28 Jahren mit 5 Kamelen und einem schwarzen Hund durch den australischen Kontinent zu Fuß gegangen. Das war auch im Zuge der Emanzipationsbewegung damals ein Hammer! Die Geschichte wurde verfilmt mit der wunderbaren Mia Wasikowska, die wirklich eine großartige Schauspielerin ist.

Ich hatte das mit meiner Agentin besprochen. Gerade hatte ich „Most Wanted Men“ abgedreht, und es war noch ein Zeitfenster von 12 Tagen frei... Und weil ich nicht so ein reisefreudiger Mensch bin, wollte ich absagen. „Aber der Regisseur würde gerne mit Dir skypen.“, meinte meine Agentin. Und der war dann sooo nett! (lacht) Er hatte „Das Weiße Band“ gesehen, und es ging bei der angebotenen Rolle um eine Figur, die deutschstämmig und kein besonders netter Charakter ist.

Dann habe ich meine Anforderungen hochgeschraubt, um sie abzuschrecken und meiner Agentin gesagt: Ich brauche einen Assistenten oder eine Assistentin, jemand, der die ganze Zeit für mich da ist. Und in Singapur reicht mir nicht diese Lufthansa-Lounge, sondern ich braucht für den 8-Stunde-Zwischenstop ein richtiges Hotel.
Für den Flug brauche ich mindestens einen Platz in der Business Class, wenn nicht sogar in der Ersten Klasse.

Ich dachte mir, dass die mich so für einen überheblichen Spinner halten und mich dann nicht mehr haben wollen. Sie haben aber tatsächlich den gesamten Katalog meiner Forderungen durchgewunken! (lacht) Da konnte ich natürlich nicht mehr zurück. Man hätte mich für einen Idioten gehalten, wenn ich das abgesagt hätte. Dieser Dreh in Australien war auch ein tolles Erlebnis.


Als Schauspieler, der, wie gesagt, auf intellektuelle Rollen abonniert ist, haben Sie in ihrem subtilen Spiel enorme Präsenz. Ich würde ihre Besetzung in vielen Film-Nebenrollen auch eher positiv und als große Anerkennung sehen: Als ein Zeichen dafür, dass sie aus jeder noch so kleinen oder mittleren Rolle das Optimale rausholen! Und in „Atlas“ haben Sie jetzt mit sehr wenig Text und zurückhaltendem Spiel unglaublich viel rausgeholt! Fantastisch!

Das nehme mich mal als Kompliment an. Vielen Dank!


In unserem Gespräch wirken Sie durchweg sehr locker und offen. Was würden Sie noch von Ihnen preisgeben, was sie als privaten Menschen ausmacht?

Dieser intellektuelle Mensch, als der ich immer gesehen werde durch mein Rollenprofil, bin ich eigentlich nicht!
Ich bin ein unglaubliches Spielkind. Ich bin Spieler und ich war es mit Anfang 20 sogar mal professionell. Gespielt habe ich Poker, Skat, Rommee, Backgammon, Schach und Billard: Alles um Geld! Das war teilweise sehr erfolgreich, teilweise nicht.

Ich bin sehr naturverbunden und ich liebe das Fischen. Ich mache viel Sport, auch wenn man das nicht sieht. (lächelt) Als Norddeutscher habe ich relativ viel Humor, mit dem ich in Bayern öfter auflaufe...

Eigentlich bin ich immer noch ein Philanthrop und habe das zusammen mit meiner Frau meinem Sohn vererbt. Darüber freue ich mich sehr.

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