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Kategorie: Film & Fernsehen
Bildschirmfoto 2019 05 02 um 10.26.14Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 2. Mai 2019, Teil 5

Redaktion

Paris (Weltexpresso) - Ihre Lust an der Vermischung von Realität und Fiktion ist dem Film deutlich anzumerken. Kommt sie auch daher, dass sie viele Dokumentarfilme machen?

Die Realität ist schon eine unglaubliche Filmkunst. Man muss nichts erfinden, so reichhaltig ist sie. Wenn ich also Spielfilme mache, welchen Sinn würde es ergeben, etwas „falsches“ zu dokumentieren? Realismus ist für mich sehr wichtig in Filmen, ich möchte, dass man daran Bildschirmfoto 2019 05 02 um 10.33.01glaubt, dass die Schauspieler glaubwürdig sind, dass es nicht zu viele Effekte gibt. Aber ich fände es auch uninteressant einen Spielfilm zu machen, der eine reine Reproduktion der Realität wäre. Auch wenn man sich an gelebten Geschichten orientiert, geht es doch darum, sie zu überschreiten, etwas zu ihnen beizutragen. Der Filter der Fiktion muss die Grenzen der Realität überschreiten. Ansonsten könnte man besser die wahre Geschichte filmen, mit den wahren ProtagonistInnen. In dieser Geschichte wollte ich mit der fiktionalen und dramatischen Seite der Geschichte spielen und sie mit der Realen mischen: zum einen Claire und Marie von Catherine Deneuve und ihrer wirklichen Tochter Chiara Mastroianni spielen zu lassen, zum anderen mit den Erinnerungen meiner Kindheit spielen, die das Reelle immer wieder hervorbringen.


Die Geschichte zwischen Mutter und Tochter ist auch in der Gegenwart dieses Tages angesiedelt.

Dadurch, dass sie diesen Flohmarkt organisiert, holt Claire Darling bewusst oder unbewusst ihre Tochter zurück, die sie seit 20 Jahren nicht mehr gesehen hat. Die Dinge, die die Spannungen kristallisieren, die die Beziehung der beiden kennzeichnet, sind die Gelegenheit, über die Vergangenheit zu sprechen, die Erinnerungen wiederzubeleben, sie zu hinterfragen und sie zu bewegen und sich wieder anzueignen... Solange der Tod nicht gekommen ist und man noch miteinandersprechen kann, ist alles möglich. Aber nicht nur miteinander sprechen, somdern auch sich anzuschauen, sich zu berühren oder durch die Vermittlung der Dinge, wie Kinder, die sich durch Spiele oder Puppen amüsieren, streiten.


Haben Sie sofort an Catherine Deneuve gedacht für die Rolle von Claire Darling?

Ich habe beim Schreiben an keine Schauspielerin gedacht, ich wollte eine Figur erschaffen, die vom Buch inspiriert und mit meinem persönlichen Vorstellungen verwachsen ist. Als das Drehbuch fertig war und ich über die SchauspielerInnen nachdachte, kam mir Catherine Deneuve in den Sinn. Sie hat Statur, eine unglaubliche Fantasie und eine immense Freiheit. Und ich wusste, dass sie Gegenstände liebt, sie selbst eine große Sammlerin ist. Es lag auf der Hand, ihr diese Rolle anzubieten. Sie ist eine außergewöhnliche Schauspielerin; es war wunderbar, mit ihr zu arbeiten. Sie ist sehr engagiert, macht Vorschläge, ohne zu dominant zu sein, interessiert sich für den Film als Ganzes, und nicht nur für ihre Rolle. Eine Schauspielerin mit ihrer Intelligenz und Erfahrung ist ein wahres Geschenk, sie ist die ideale Inkarnation von Claire Darling. Zu wissen, dass sie ihren letzten Tag lebt, lässt diese Frau wieder Energie und eine fröhliche Schalkhaftigkeit gewinnen. Man weiß nicht so genau, ob sie tatsächlich verrückt wird, oder ob sie es nur spielt. Catherine kann diese Komplexität, diese Zwischenwelt wunderbar spielen.


Wir sehen Catherine Deneuve zum ersten Mal mit weißen Haaren.

Ich wollte ihr übliches Image verändern. Sie hat ein so jugendliches Aussehen, strotzt vor Leben, man musste sie älter machen. Claire Darling lebt ein wenig abgeschieden, sie hat einen Teil ihres Verlangens, zu verführen aufgegeben. Sie hält sich immer noch aufrecht und zieht ein schönes Kleid an für ihren letzten Tag, doch sie ist am Ende ihres Lebens und das schöne blonde Haar von Deneuve hätte nicht gepasst. Ich hatte Angst, dass sie nein sagt, aber sie hat verstanden, um was es ging und es akzeptiert. Sie bleibt wunderschön, strahlend, aber es war wichtig für mich, dass sie das Alter ihrer Figur akzeptiert.


Und die Wahl von Chiara Mastroianni?

Das war auch irgendwie selbstverständlich. Aber es war so selbstverständlich, dass ich zuerst gezögert habe. Ich hatte Angst, dass die Realität des Lebens so präsent sein könnte und die des Films dadurch überlagert wird, und man vor allem Deneuve und ihre Tochter sehen wird, und nicht Claire und Marie. Letztendlich habe ich ihr die Rolle vorgeschlagen, was sich als unglaublicher Vorteil ausgewiesen hat.

Chiara und Catherine haben schon einmal Mutter und Tochter gespielt, aber noch nie in so einer ausgefeilten Art. Ich glaube, beiden hatten darauf viel Lust, und es war für uns alle eine packende Erfahrung auf diesem doppelten Niveau einen Film über eine komplexe Beziehung zu machen, die anders als ihre reale Beziehung zueinander ist. Es hat mich sehr interessiert, die Traurigkeit und die Wut zu suchen, die sie nicht in ihrem Leben erfahren haben, sie dazu zu bringen, ihre Realität neu zu erarbeiten.


Und Alice Taglioni um die junge Catherine Deneuve zu spielen?

Eine junge Catherine Deneuve zu finden ist quasi unmöglich. Sie ist eine Ikone, mit der wir aufgewachsen sind... Wir wissen, wie sie mit 20 war, mit 40 oder mit 50, wir haben sie gesehen und wir sehen sie nach wie vor in Filmen aus dieser Zeit. Mit dem Casting-Direktor hatten wir zuerst überlegt, jemanden zu suchen, der ihr mehr in ihrer Präsenz, in ihrer Klasse, ähnelt als in ihrem Ausshen. Aber ich brauchte etwas Konkreteres, was mit Alice gelungen ist, die eine durchschlagende Schönheit hat, ähnlich wie die von Deneuve. Ich denke, dass es für sie eine sehr große Herausforderung war, Catherine Deneuve zu spielen, und sie war sehr aufgeregt.


Haben Sie sich am Casting der Dinge beteiligt?

Es stimmt, es war fast ein Casting! Es hat mir sehr viel Spaß gemacht, mit dem Chef-Dekorateur Emmanuel de Chauvigny, einem langjährigen Freund und Mitarbeiter, zu arbeiten. Er hat es wunderbar geschafft, die Atmosphäre und Details ebenso wie die großen Linien, die dieser Geschichte Leben und Körper geben sollten, zu gestalten. Die Elefantenuhr oder die Tiffany-Lampen kamen schon im Roman vor, aber ich habe auch viel von meinen eigenen Sammlungen beigetragen, wie die ausgestopften Tiere und die Automaten. Ich habe mich auch von Familienfotos und Erinnerungen an Familienstücke inspirieren lassen. Und dann haben wir in dem Haus meiner Großmutter gedreht. Ich konnte mir nicht vorstellen woanders zu drehen. So als ob ich diese Nähe brauchen würde, um mich noch tiefer in der Geschichte zu verankern.


Und die Anwesenheit des Zirkus im Dorf?

Der Zirkus, die Tiere, die Clowns waren alle nicht im Roman, ich habe davon profitiert, dass es dieses Dorffest gab, um diese Welt, die ich liebe hinzuzufügen. Es gefiel mir, dass es im Dorf diesen anderen Zirkus gab, als Parallele zu dem der im Haus stattfand. Das sind meine augenzwinkernden Verneigungen vor Iosseliani, Etaix und Fellini.


War die Szene mit dem Exorzismus im Roman?

Ja, und es war übrigens eines der Dinge, das mich am meisten angezogen hat. Ich bin nicht gläubig, von der Kultur leicht katholisch angehaucht, aber ich liebe diese unglaublichen Worte, die der Pfarrer ausspricht, um die bösen Geister im Haus zu verjagen. Diese Worte sind wie ein Echo auf das so verschiedenen Suchen der Figuren im Film, die alle zusammenführen und sich in der Szene des Jahrmarkts treffen: die Antiquitätenhändlerin zögert, die Gegenstände zurückzubringen, der Gendarm ist in seinem Flugzeug, das Feuerwerk geht los, das Haus beginnt zu brennen... Ich wollte ein chorales Ende, mit einem Countdown, der die Zeit konzentriert, während der Rest des Films sich über mehrere Epochen verteilt.

Fotos:
Madame Claire (Catherine Deneuve) begegnet den Memoiren ihres Lebens
© Neue Visionen Filmverleih

Info:
Besetzung

Claire Darling          Catherine Deneuve, Alice Taglioni
Marie Darling          Chiara Mastroianni, Colomba Giovanni, Mona Goinard
Amir                        Samir Guesmi, Amine Mejri
Martine                   Laure Calamy, Lewine Weber
Claude Darling       Olivier Rabourdin
Priester Georges    Johan Leysen, Julien Chavrial
Martin Darling         Simon Thomas, Joseph Flammer
Junge Helfer           Valentin Dériaud, Yasin Houicha, Morgan Niquet, Jérémy Beuvin