f frau3Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 8. Mai 2019, Teil 12

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Welche schreckliche Geschichte. Welch schöner Film. Ein Film, aus dem man gestärkt hinausgeht, weil man gerade erfahren hat, daß ein eigenes Leben zu führen, nicht selbstverständlich ist, auch nicht in Deutschland, daß wir aber für uns und für andere die Verantwortung tragen, hier in Freiheit leben zu können.

Das Schreckliche ist das Miterleben eines sogenannten Ehrenmordes an einer jungen Frau, Hatun Aynur Sürücü, in Berlin 2005, was wir nie wieder ‚Ehrenmord‘ nennen wollen, denn das, was die Mörder, Angehörige der jungen Frauen, hier ihre Brüder, für sich als Ehre, als verletzte Ehre, weshalb sie morden, nennen, ist für uns eine absolute Unehre. Die Geschichte dieses Unehrenmordes also und damit die Geschichte vom Leben und vom Sterben der Deutschen mit türkisch-kurdischen Wurzeln, wird zu einem sehenswerten Film, weil Regisseurin Sherry Horrmann (Wüstenblume) die ermordete Aynur (lmila Bagriacik) selbst zu Wort kommen läßt.

f frau4anfangEin starker Anfang, wenn wir die Leiche einer jungen Frau sehen, niedergestreckt auf einer Straße, und dann ihre Stimme hören, in der sie ihre Ermordung und die Umstände dieser Ermordung zu erzählen beginnt: „Mein Name ist Hatun Aynur Sürücü. Sie könnte ich sein. Oder sie. Oder sie – aber nee...das bin ich. Ich war ein Ehrenmord. Vielleicht erinnert Ihr Euch.“ Man sieht auf einen Tatort, Absperrungen, einen bedeckten Körper, längst sind wir im Dokumentarmaterial, das immer wieder sinnvoll in den Film integriert wird, wie auch immer wieder die Kommentierung durch die Protagonistin selbst erfolgt.

Das ist eigentlich das Stärkste am Film, daß uns die Ermordete durch ihr Leben führt, einen klaren Standpunkt einnimmt, auch die Entwürdigung durch ihre Brüder und insbesondere durch die unbarmherzige Mutter, die wie das Zentrum der reaktionären, ja ahistorischen Frauenunterdrückung wirkt, klar benennt und doch auch diese als Verführte, als einer überholten Weltanschauung verhaftet zeigt, so daß aus dem individuellen Schicksal ganz klar die Aufgabe erwächst, mit solchem Mumpitz, was ‚nur‘ eine Frau zu sein ausdrückt, mit solcher archaischen Familienunordnung Schluß zu machen, sie für Deutschland zumindest auszurotten.

Man liest später nach, daß das Drehbuch auf Recherchen beruht, die im Umfeld der Ermordeten, aber auch bislang unveröffentlichter Gespräch mit der Familie, den Brüdern, also den konkreten Tätern, aber eben auch den Freunden und Freundinnen von Aynur geführt wurden, die alle auf dasselbe hinauslaufen, daß es hier um eine junge Frau geht, die genauso leben möchte, wie sie will und sich erst spät gegen die wirklich unglaubliche Bevormundung wehrt, dann aber entschieden wehrt und handelt.

Denn als die Eltern das fünfzehnjährige Mädchen aus Berlin Kreuzberg einfach aus dem Gymnasium abmelden und sie in der Türkei in einer Zwangsheirat mit einem Cousin verheiraten, da gehorcht sie noch. Die Bilder als Braut und die Hochzeitfotos dokumentieren eine orientalische Hochzeit, die äußere Pracht und Schein sind. Denn bald schon erweist sich der junge Ehemann als Schläger und schont auch nicht die Schwangere, sie flieht zurück nach Berlin. Wohin? Natürlich zur Familie nach Hause. Die ist darüber nicht glücklich, aber eine Frau zu schlagen, geht auch nicht, zumindest der Vater (Mürtüz Yolcu) ist da auf ihrer Seite, aber in der Wohnung und in der Familie gibt die Mutter (Meral Perin) den Ton an, die nimmt ihrer Tochter alles übel – der Film verzichtet auf psychoanalytische Deutungen, die aber naheliegen, warum ausgerechnet die Mütter dieser reaktionären Familienbünde die schlimmsten Unterdrücker ihrer Töchter sind – , sie schiebt die Tochter mit ihrem inzwischen geborenen Sohn in eine Abstellkammer ab und als diese von ihrem Bruder sexuell belästigt wird, ist auch die Tochter schuld. Die acht Kinder der Familie, die in einer 4-Zimmer-Wohnung leben, sind die Brüder Tarik (Aram Arami), der bei der Bundeswehr dient, Sinan (Mehmet Atesci), das „Arschloch”, ihr Lieblingsbruder Aram (Armin Wahedi), der Jura studiert und schon immer ein wenig anders war, und Aynurs kleiner Bruder Nuri (Rauand Taleb), dessen Traum eine Karriere als Profiboxer ist. Aynur teilte sich früher ein Zimmer mit ihren drei jüngeren Schwestern, eine von ihnen ist Shirin (Merve Aksoy).

Früher als Fünfzehnjährige hatte Aynur diesen Spagat geschafft, in der deutschen Öffentlichkeit ein normales Mädchen zu sein, und in der Familie der letzte Dreck, ihrer sunnitisch-kurdischen Familie, die schon Anfang der 70er Jahre aus Ostanatolien nach Berlin kam und die bäuerlich-archaischen Strukturen von dort auch in Berlin fortsetzt, und aber jetzt ist sie nur mit ihrem kleinen Sohn beschäftigt und immer zu Hause. Doch in ihr gärt es, sie fängt an, sich gegen ihre Situation aufzulehnen. Mit ihrer Freundin (Lara Aylin Winkler) kann sie zumindest ihre Situation besprechen und sie bricht tatsächlich aus. Nimmt ihren Sohn und geht. Kraftvoll meistert sie alle Schwierigkeiten, die sich auftun, wenn eine eine Wohnung braucht, kein eigenes Geld hat, eine Ausbildung anfängt, noch dazu eine Ausbildung in einem Männerberuf.

Der nächste Schritt ist die Entledigung des Kopftuchs. Und all denen, die am Tage des Anlaufens des Films am 8. Mai in der Frankfurter Universität die Tagung um das Tragen des Kopftuchs verfolgten und so frohgemut von der Freiwilligkeit des Kopftuchtragens sprachen, sei diese Szene der Befreiung empfohlen, wie Aynur sich über die Haare streicht, sich glücklich und selbstbewußt im Spiegel anschaut, eine zum Ausdruck kommende Freude über die eigene Körperlichkeit, nach der man noch deutlicher sagen muß, daß so lange auch nur eine Frau gezwungen wird, im Namen der Religion oder der Tradition ihre Haare unter einem Kopftuch zu verbergen, das ganze Gerede von der Freiwilligkeit lächerlich ist, mehr als lächerlich, bösartig sogar, denn diese, die hier tun können, was sie wollen, eben ein Kopftuch tragen, sollten die ersten sein, die dafür eintreten, daß andere Frauen das nicht müssen. So funktioniert nämlich Freiwilligkeit.

Alles, was dann kommt, wird im Film so folgerichtig wiedergegeben, wie es war und ist. Die Verschlagenheit des Bruders, der im Film als einziger Mörder gezeigt wird, weil die anderen Brüder in der Türkei freigesprochen wurden. Der Bruder will die Schwester, die als Alleinerziehende mit ihrem inzwischen Fünfjährigen alleine wohnt, aber längst einen deutschen Freund hat, besuchen. Was wie eine Wiederannäherung aussieht, ist eine Fall. Den er bittet die Schwester, ihn zur Bushaltesteller zu begleiten, wo er sie einfach erschießt. Einfach so. Er denkt weder an den Sohn, der allein in der Wohnung zurückbleibt, noch an die Folgen. Minderjährige oder zumindest die Jüngsten werden von den Familien als Mörder dieser Unehrenmorde ausgewählt, weil ihnen die geringste, die kürzeste Strafe droht.

P.S. Angesichts der Dramatik der Geschichte haben wir die schauspielerischen Leistungen zu erwähnen vergessen, zuvörderst die Hauptdarstellerin, die umwerfend ist und für immer das Bild dieser jungen lebensfrohen Frau, die gemordet wurde, in Ehren hält. 

Foto:
© Verleih

Info:
Die Darstellerinnen und Darsteller

Almila Bagriacik – Aynur
Rauand Taleb – Nuri
Meral Perin – Deniya
Mürtüz Yolcu – Rohat
Armin Wahedi – Aram .
Aram Arami – Tarik
Merve Aksoy – Shirin
Mehmet Atesci – Sinan
Jacob Matschenz – Tim
Lara Aylin Winkler – Evin
Idil Üner – Dilber