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Kategorie: Film & Fernsehen
f Tel Aviv on Fire Copyright Patricia Peribanez Samsa Film TS Productions Lama Films Artemis Productions 41Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 4. Juli 2019, Teil 10

Redaktion

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – TEL AVIV ON FIRE ist eine Komödie. Was bedeutet es, als Palästinenser in Israel eine Komödie zu drehen?

Es ist eine große Herausforderung, eine Komödie zu drehen, die sich mit der palästinensischen und israelischen Wirklichkeit beschäftigt. Die Menschen nehmen die Region und den Konflikt sehr ernst. Jeder Versuch, eine Komödie daraus zu machen, kann leicht missverstanden werden und muss sich dem Vorwurf stellen, nicht stark oder ernst genug zu sein. Aber ich glaube, dass eine Komödie einem die Freiheit gibt, sehr ernste Themen auf eine subtilere Art zu diskutieren. In meinen Filmen versuche ich zu unterhalten, aber auch vom Zustand, in dem meine Figuren leben, auf eine wahrhaftige Art und Weise zu erzählen.

Mein erster Spielfilm MAN WITHOUT A CELLPHONE ist von meiner Kindheit und Jugend inspiriert. Mein vorrangiges Ziel war es dabei nicht, eine Komödie zu drehen, sondern ganz real zu zeigen, wie ich als Palästinenser aufgewachsen bin. Ein konstantes Gefühl der Verzweiflung liegt im Film immer in der Luft. Dennoch gibt es auch diese gewisse Stimmung und diesen Sinn für Humor, der im Film spürbar ist.

Auch in TEL AVIV ON FIRE ist der Grundton komödiantisch. Aber ich will damit die derzeitige angespannte Situation nicht ins Lächerliche ziehen, sondern mich mit der inneren Wahrheit befassen, und die kommt manchmal durch komödiantische Übertreibungen besser ans Licht. Wie es schon Charlie Chaplin sagte: „Um wirklich lachen zu können, muss man sich seinem Schmerz stellen und damit spielen können.“


Salam, Ihre Hauptfigur, arbeitet für eine arabische Soap Opera, die in Ramallah produziert wird. Warum eine Seifenoper?

Soap Operas sind eine Riesensache im Nahen Osten. Die Leute schauen sie alle und sind vollkommen von ihnen eingenommen. Was ich daran interessant finde, ist, dass Menschen, die diese Soap Operas ansehen, das teilweise etwas eindimensionale Schauspiel und die geradlinigen Dialoge glaubwürdiger finden als das subtile Schauspiel und die raffinierten Dialoge eines Spielfilms. Durch das Medium der Seifenoper wurde es mir erlaubt, Dinge darzustellen, die ich ansonsten wohl nicht im Kino hätte zeigen können.

Zum Beispiel die Anfangsszene in meinem Film, die ich ziemlich politisch finde: Hier zeigen die palästinensischen Figuren in der Soap ihre Gefühle hinsichtlich des nahenden Sechstagekrieges im Jahr 1967. Sie reden über ihre Hoffnungen und Geschichte im Allgemeinen sowie von ihrer Angst vor der israelischen Okkupation Jerusalems. Sie sprechen darüber emotional, ungefiltert. Aber weil diese Szene innerhalb der Soap Opera spielt, kann sie einen andersartigen Twist bringen.


Schauen Sie selbst Soaps?

Als ich abgeschnitten von der arabischen Welt in Israel aufwuchs, gab es nur zwei TV-Kanäle. Die Serien in arabischer Sprache kamen größtenteils aus Ägypten. Sie hatten die besten Seifenopern, vor allem während des Monats des Ramadan. Sogar Israelis haben sich diese Serien angesehen.

Die TV-Soap, die ich für meinen Film erfunden habe, ist eine Hommage an eine der großen Seifenopern mit der ich aufgewachsen bin. Heute sieht das schon ganz anders aus. Es gibt hunderte von arabischen Fernsehkanälen und eine Menge Serien aus Syrien, dem Libanon, Ägypten und sogar einige synchronisierte aus der Türkei und Indien. Soap Operas werden überall geschaut. Sie sind ein universelles Medium. Kürzlich habe ich eine TV-Soap mit meiner Mutter angesehen.

An einem emotionalen Moment musste ich lachen, weil das Schauspiel und die Kamera so überdramatisch daher kamen. Aber meine Mutter hatte ein Taschentuch in der Hand und weinte. Dieses Erlebnis hat mich inspiriert, als ich den Film schrieb und inszenierte.



Wie sind Sie visuell an den Film herangegangen?

Visuell arbeitet der Film mit dem Kontrast, der durch die zwei Realitätsebenen entsteht: Die magische, bunte Welt der TV-Soap und die alltägliche, etwas graue Realität außerhalb des TVStudios. Wir haben die Soap-Szenen größtenteils im Studio gedreht und verwendeten dabei übertrieben dramatische Bildausschnitte, Licht, das die Mise en Scène steigert, knallige Farben und natürlich dramatische Kamerabewegungen.

Bei den Szenen außerhalb des TV-Studios waren wir filmisch näher am Cinéma vérité. Die Kameraarbeit gestalteten wir fließender und drehten an realen Locations mit dem dort vorhandenen Licht. Mit Ausnahme des Checkpoints, den wir für den Film extra bauen mussten.


Wie gingen Sie beim Casting zu TEL AVIV ON FIRE vor?

In der Vergangenheit habe ich mit einer Mischung aus professionellen Schauspielern und Amateuren gearbeitet. Bei diesem Film, bei dem die Geschichte komplexer ist, die Szenen vollständig angelegt und geschrieben, habe ich mich für die Arbeit mit ausschließlich professionellen Darstellern entschieden. Bereits im Schreibprozess hatte ich einige der Schauspieler im Kopf, z.B. Lubna Azabal, Nadim Sawalha, Salim Daw und Maïsa Abd Elhadi. Entweder, weil ich schon mit ihnen gearbeitet hatte oder ihre Arbeit kannte.

Die größte Herausforderung beim Casting für diesen Film war es, zwei Schauspieler zu finden, die im Zusammenspiel die Energie und Chemie zwischen der Hauptfigur Salam und seinem Antagonisten Assi darstellen konnten. Ihre dynamische Beziehung steht im Zentrum des Films. Ich finde, dass das nuancierte, minimalistische Spiel von Kais Nashif als Salam im Gegensatz zum sehr energiegeladenen Yaniv Biton als Assi den besten komödiantischen Effekt hervorgebracht hat. Yanivs schauspielerische Wurzeln liegen in der Komödie, wohingegen Kais bisher mehr in dramatischen Rollen zu sehen war, z.B. in PARADISE NOW. Es war ein kleines Risiko, ihn für eine Komödie zu besetzen. Aber Kais hat Salam eine komplexere, melancholische Seite, als ursprünglich im Drehbuch vorgesehen, hinzugefügt und damit eine interessantere Figur geschaffen.


Können Sie etwas mehr zu den verschiedenen Ebenen in TEL AVIV ON FIRE erzählen?

Als ich meine vorherigen Filme gezeigt hatte, ist mir aufgefallen, dass im Kino schnell klar wird, wie unterschiedlich die palästinensische und israelische Perspektive beim Erzählen einer Geschichte ist. Es gab Zuschauer, die fanden, dass meine Filme zu palästinensisch und dafür nur ungenügend israelisch seien und genau umgekehrt. Diese in Konflikt stehenden Perspektiven lieferten das zugrundeliegende Thema bei TEL AVIV ON FIRE.

Auf persönlicher Ebene geht es um einen Künstler, einen aufstrebenden Drehbuchautor, der damit kämpft, seine eigene Stimme inmitten bestehender politischer Konflikte zu finden. Ich finde Figuren wie Salam faszinierend. Sie haben noch keine vollständige Vorstellung davon, wer sie sind oder sein wollen. Sie versuchen zurechtzukommen und ihren Platz in der Welt zu finden, während sie sich ständigen Herausforderungen und Ablenkungen gegenübersehen. Sie möchte ihr Leben verbessern, wissen aber nicht, wie sie es anstellen sollen. In TEL AVIV ON FIRE findet Salam seine eigene Stimme im Verlauf des Films.

In einem größeren Zusammenhang hat der Film zwei politische Themen: Auf der einen Seite sind es die Erinnerungen an den Sechstagekrieg, die in der Soap Opera über die Figur von Bassam erzählt werden. Bassam, Produzent und Erfinder der Serie sowie Salams Onkel, gehört zu einer älteren Generation von Palästinensern, die 1967 im Sechstagekrieg gekämpft, aber auch das OsloAbkommen unterzeichnet haben. Das zweite große Thema im Film sind die Geschehnisse am Checkpoint, die im Grunde geschichtlich mit Basams Erinnerungen in Zusammenhang stehen. Und schließlich beginnen sich Soap und Realität miteinander zu vermischen. Die Dynamik in der Beziehung zwischen dem jungen Palästinenser Salam und dem israelischen General Assi beginnt, sich auf die Seifenoper zu übertragen und ihr damit eine andere Bedeutung zu geben. Um es so zu sagen: Assi, der „Besatzer”, diktiert Salam, dem „Besetzten“, seine Sicht der Dinge. Je stärker Salams Selbstbewusstsein wächst, desto mehr beginnt er sich dagegen zu wehren. Nichts kann sich in Palästina und Israel verändern, solange Salam und Assi nicht gleichberechtigt sind. Das ist der einzige Weg nach vorn.


Über den Regisseur SAMEH ZOABI
Sameh Zoabi ist in Iksal, einem palästinensischem Dorf in der Nähe von Nazareth, geboren und aufgewachsen. Zoabi studierte Filmwissenschaften und englische Literatur an der Universität Tel Aviv und erhielt ein Stipendium für ein RegieStudium an der School of Arts der Colombia Universität, das er ebenfalls absolvierte. Zoabis besondere filmische Handschrift wurde vom Filmmaker Magazine gewürdigt, das ihm als einen der „Top 25 New Faces of Independent Cinema“ benannte. Seine Filme wurden auf vielen Festivals gezeigt und ausgezeichnet, darunter Cannes, Toronto, Locarno, Sundance, Karlovy Vary, New Directors/New Films und dem New York Film Festival. FILMOGRAFIE als Regisseur: 2005: BE QUIET (Kurzfilm) 2010: MAN WITHOUT A CELLPHONE 2012: MANSHEW HISAD (Dokumentarfilm) 2013: UNDER THE SAME SUN (Fernsehfilm) 2018: TEL AVIV ON FIREÜber den Regisseur



Foto:
v.l. Salam (Kais Nashif) und Assi (Yaniv Biton)
© 2018 Patricia Peribañez/ Samsa Film - TS Productions - Lama Films - Artémis Productions


Info:
Besetzung
Salam KAIS NASHIF
Tala LUBNA AZABAL
Assi YANIV BITON
Bassam NADIM SAWALHA
Mariam MAÏSA ABD ELHADI
Atef SALIM DAW
Yehuda YOUSEF SWEID
Nabil AMER HLEHEL
Marwan ASHRAF FARAH
Maïsa LAËTITIA EÏDO

Regie
SAMEH ZOABI
Drehbuch
DAN KLEINMAN & SAMEH ZOABI

Abdruck aus dem Presseheft