wpo Electric Girl Victoria Schulz Hannes Hubach NiKo Film Hannes HubachSerie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 11. Juli 2019, Teil 6

Hanswerner Kruse

Berlin (weltexpresso) - Die aufgedrehte dreiundzwanzigjährige Studentin, Barfrau und Poetry Slammerin, will die Welt retten. Doch anders als wir früher oder Fridays for Future heute, will Mia (Victoria Schult) das ganz alleine machen: „Denn nur ich kann die feindlichen Mächte sehen!“, verkündet sie. Theatralisch und hektisch düst sie durch den Alltag, scheint selten zu schlafen und versucht vergeblich Verbündete zu gewinnen. Doch nur ihr älterer, etwas verwahrloster Nachbar Kristof (Hans-Jochen Wagner) spielt eine Zeitlang mit.

Zufällig bekam Mia die Rolle als deutsche Synchronsprecherin in einem japanischen Animationsfilm, in dem Superheldin Kimiko alleine die Welt befreit. Während der Arbeit am Film identifiziert sie sich mehr und mehr mit der Heroine. Anfangs verschwimmen die Kinobilder zwischen den verschiedenen Welten, bis Mia schließlich selbst erlebt, wie sich auch in Hamburg die bösen Mächte mithilfe des elektrischen Stroms zu schaffen machen. Wie bekifft oder auf einem LSD-Trip versucht sie Freundinnen für ihren Abwehrkampf zu gewinnen: „Ich weiß, was ihr nicht wisst!“. Doch vergeblich, ihr Umfeld zweifelt eher an Mias seelischer und geistiger Gesundheit.

Mittlerweise sieht sie mit ihrer lila Perücke und dem gelben Mantel aus wie Kimiko. In diesem Aufzug taucht sie auch bei ihrer Familie auf, um den schwer kranken Vater zu besuchen und provoziert einen lebensgefährlichen Skandal. Einige Ereignisse scheinen aber ihrem möglichen Wahn zu widersprechen und überraschen auch uns Zuschauer: Mia hält wirklich einen Bus mit einer Kung-Fu-Bewegung an, springt von einem Hausdach und rettet einen Mann, der ohnmächtig vor die Hamburger U-Bahn zu gleiten droht.

Regisseurin Ziska Riemann (nein, nicht die Tochter von Katja Riemann) unterlegt häufig die Handlung mit bizarren Geräuschen und bedrohlicher Neuer Musik. Das schafft eine düstere Unterströmung, die sowohl die reale Bedrohung der Menschheit als auch den manischen Wahn Mias suggeriert. Der Film changiert zwischen diesen beiden Polen und der Schluss, der hier ausnahmsweise mal in einer Rezension angedeutet wird, bleibt offen. Ein wenig so wie in Andrei Tarkowskis „Opfer“: Am Ende des Films weiß man ja ebenfalls nicht, war der Protagonist verrückt oder hat er mit seiner Hingabe wirklich eine Katastrophe verhindert?

Lange Zeit könnte man meinen, dieser Streifen setzt das Comeback des „Neuen Deutschen Fantastischen Kinos“ fort, das vor zwei, drei Jahren mit den Filmen „Wild“ und „Nachtmahr“ sachte begann. Doch dafür ist Mia als Manikerin häufig zu stark überzeichnet, was Riemann wohl beabsichtigt hat. Denn sie spricht im Filmheft über manische Menschen in ihrem Umfeld, denen es nicht mehr gelingt, zwischen Spiel und Wirklichkeit zu unterscheiden, die ihren Wahn für Realität halten.

Aber ganz offensichtlich will Riemann in erster Linie eine spannende Geschichte erzählen - wohl weniger Empathie für die gelegentlich nervende Hauptdarstellerin wecken oder einen Lehrfilm über psychische Störungen zeigen. Riemanns Art der Erzählung macht den Streifen spannend und aufregend, weil sie das Changieren zwischen Fantasy und Wahn bis zum Schluss in der Schwebe hält.

Siehe:
https://weltexpresso.de/index.php/kino/7227-der-nachtmahr-und-wild

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Fotos:
© Farbfilm Verleih

Info:
Electric Girl, D/B 2018, 89 Minuten
Regie Ziska Riemann mit Victoria Schulz, Hans-Jochen Wagner, Svenja Jung u.v.a.