f madchenNachtrag:  Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. Juni 2019,   Teil 15

Philippe Bober im Gespräch mit Susanne Heinrich

Berlin (Weltexpresso) - Eine banale Frage: Wie viel Autobiografisches gibt es?

Ich mag die Frage nicht. Männer bekommen diese Frage nie gestellt, und wenn, dann werden sie für das Arbeiten mit autobiografischem Material hoch geschätzt und ihnen wird emotionale Kompetenz zugesprochen. Frauen, die mit biografischem Material arbeiten, unterliegen immer dem Innerlichkeits-Verdacht oder sie betreiben »Nabelschau«, und ihnen wird abgesprochen, strukturell denken zu können. Mir geht es ja gerade darum, dass die biografische Frage zur politischen Frage werden muss. Aber um deine Frage nicht ganz unbeantwortet zu lassen: Der Film ist vielleicht im selben Maße ein intimes Bekenntnis wie er verfilmte Philosophie ist.


Ich weiß eigentlich nichts von dir als Schriftstellerin. Möchtest du mir dein Leben erzählen?

Also, ich habe vier Bücher geschrieben zwischen 19 und 25. Ich hatte mit dem ersten Buch einen kleinen Moment von Bekanntheit, als ich 2005 beim Bachmannpreis gelesen habe. Es war ein sehr heftiger Anfang für meine literarische Karriere, weil der zweite Satz des Textes, den ich gelesen habe, »Wir rauchen beim Ficken« hieß. Meine Eltern hatten als Pfarrer-Ehepaar ziemliche Schwierigkeiten mit dem Buch. Mir wird immer die Legende erzählt, dass meine Mutter nach dem zweiten Satz die Fernsehübertragung ausgemacht hat, damit meine Brüder das nicht weiter sehen müssen. Und dann gab es Zeitungsartikel, die getitelt haben »Eine Frau, 27 Beischläfer«. Es ging viel um Sex als Übersprungshandlung in diesem ersten Buch. Es ist auch sehr wild und überfrachtet und wütend und verzweifelt und jugendlich und altklug. Die beiden Romane danach sind leider nicht gut. Ich war zu der Zeit in einer Ehe mit einem älteren Mann und versuchte, sowas wie ein gutes Mädchen zu sein und hatte deshalb ganz viele Denktabus. Ich war einfach nicht mehr frei in meinem Schreiben. Deswegen ist mein Schreiben irgendwie sehr klein geworden. Außerdem glaube ich, dass der Roman einfach nicht meine Form ist. Und dann habe ich noch einen Erzählband geschrieben. Da geht es viel um Paare, die an entscheidenden Punkten stehen, um offene Beziehungen und so weiter. Die sind allerdings alle entstanden vor meiner Politisierung, und auch vor meiner feministischen Erweckung, was beides sehr spät in meinem Leben passiert ist. Ich glaube trotzdem, dass sie eine Relevanz haben, also das erste und das letzte Buch. Und vor allem war die Schreibkrise, die darauf folgte, der Grund, warum ich angefangen habe, Filme zu machen. Also ich hatte eigentlich vor, mich durch das Filmemachen wieder zurückzutricksen zum Schreiben. Und jetzt ist der Film ja auch sehr geschwätzig geworden.


                                                              Es gab den Film noch nicht. Deswegen musste ich ihn machen.

Ich glaube, ich habe dir die Frage einmal gestellt, aber ich erinnere mich nicht an die Antwort. Also: Mir sind keine vergleichbaren Filme bekannt ...

Mir auch nicht. Ich habe den Film ja gemacht, weil es ihn noch nicht gab. Es gab keine filmischen Vorbilder, an denen ich mich hätte abarbeiten können. Es gibt natürlich viele Filme, die ich mag, und ich glaube auch, obwohl das weit hergeholt klingt, dass die etwas mit dem Film zu tun haben. Ich glaube zum Beispiel, dass Harun Farocki etwas mit meiner Art zu denken gemacht hat. Oder dass Helke Sander, eine Filmemacherin der ersten Frauenbewegung, die auch kurz zitiert wird, eine Inspiration war. Aber ich habe den Film auch gemacht, weil ich gern selbst so einen gehabt hätte zu einer früheren Zeit in meinem Leben. Aber es gab ihn halt noch nicht. Deswegen musste ich ihn machen.


Das ist interessant. Jana (Kreissl, Producerin, Anm. d. Red.) hat mich gefragt, warum ich mich mit diesem Film beschäftige. Und die Antwort war, dass ich, als ich in Leipzig war, verstanden habe, dass du diesen Film machen musstest. Im Prinzip ist es auch das, was einen Künstler von einem Artisan unterscheidet. Wir haben viel getrunken in Leipzig, deswegen kann ich überhaupt nicht mehr sagen, was genau du gesagt hast, aber das ist das Gefühl, mit dem ich nach Hause gegangen bin. Und das ist auch, was du mit den anderen Regisseuren, mit denen ich arbeite, gemeinsam hast. Aber das ist auch für mich die Frage. Ich habe in meinem ganzen Leben nie für Geld gearbeitet. Und ich frage mich immer nach dem Sinn der Arbeit. Einen Film herzustellen, weil es ein gutes Produkt ist, ist nicht etwas, was mich interessiert. Es ist dann interessant, wenn es ein Film ist, der sein muss.

Ich will noch etwas Licht in diese romantischen Gedanken bringen. Ich mache Kunst, weil ich nicht anders kann. Das ist eben die Art, wie ich mit der Welt in Kontakt trete. Und dann sind da noch meine politischen Überzeugungen. Aber es geht nicht darum, dass ich den Film gemacht habe, um die Welt auf eine bestimmte Art zu verändern, oder mit einer politischen Agenda, die sich klar fassen ließe. Dann hätte ich ein Pamphlet geschrieben, aber ich habe ja einen Film gemacht. Und trotzdem ist es ein Film, den ich verantwortungsbewusst gemacht habe, in jedem Schritt seiner Herstellung. Ich glaube, es gibt einen Unterschied. Entweder man tut etwas, um etwas Bestimmtes zu erreichen oder man tut etwas mit einem Gefühl von Verantwortung und weiß aber gar nicht genau, was dabei herauskommt. Also zum Beispiel stelle ich den Film jetzt in die Welt, und da passieren wahrscheinlich irgendwelche Sachen um ihn herum, und das ist gut. Er ist auf jeden Fall mehr als nur ein Werkzeug. Und er hat eine innere Notwendigkeit, und das ist sicher etwas, was ihn von anderen Dingen, die etwas sein wollen oder sein sollen, unterscheidet. Er ist auf jeden Fall größer als ich und mehr als die Summe seiner Teile. Und er konnte nicht nicht gemacht werden. Ich wusste, wenn ich noch zwei Jahre warte, um Erfahrungen zu sammeln bevor ich einen Langfilm drehe, zerrinnt er mir zwischen den Fingern, entweder ich mache ihn jetzt oder gar nicht. So bin ich im Prozess zur Regisseurin geworden.


                                                                           Du meinst ich bin dabei, dich zu korrumpieren?

Fällt dir etwas ein, worüber wir noch sprechen sollten?

Es wäre natürlich auch noch total interessant, über unsere Zusammenarbeit zu sprechen. Aber vielleicht ist es dafür noch zu früh.


Meinst du unsere Zusammenarbeit bis jetzt, oder denkst du schon an das nächste Projekt?

Ich meine die bis jetzt, und dass schon allein der Umstand, dass wir zusammenarbeiten, etwas mit dem Projekt macht und auch mit mir. Ich suche mir sehr genau aus, mit wem ich arbeite. Zum Beispiel haben wir uns ja zwischendrin, als wir auf der Suche nach Geld waren, verschiedene Produktionsfirmen angeschaut. Meistens sind das Typen, die die Filme ihrer Freunde produzieren und nebenher ein bisschen Werbung machen. Für mich war es als würde das den Film korrumpieren, diese Art Geld von dieser Art Leuten zu nehmen. Also, ich meine, auf einer politischen Ebene ist es total spannend was jetzt passiert.


Du meinst ich bin dabei, dich und deine Arbeit zu korrumpieren?

Ja. Ich weiß es nicht, nein. Ich hoffe nicht. Bist du dabei?


Ich glaube nicht, dass das der Punkt ist. Es interessiert mich eigentlich nicht, dich zu korrumpieren. Es sind verschiedene Sachen. Also zum einen, dass Geld eine Abstraktion ist. Also wenn ich welches habe, ist es eine Abstraktion. Und ich war nie Mitglied von irgendwas. Das heißt, der einfache Fakt, dass meine Firma existiert, ist bereits ein politischer Fakt, sozusagen. Aber wenn Produzenten oder Weltvertriebe anfangen, in Verbänden über Politik zu sprechen, ist mir das peinlich. Auch wenn ich oft an Politik denke, habe ich nie etwas Politisches geschrieben. Ab und zu habe ich etwas Politisches gesagt, in halböffentlichen Situationen. Aber das wird auch nicht ernstgenommen, weil ich nicht in einem Verband oder so bin.

Ich glaube, ich habe vielleicht einen anderen Begriff vom Politischen. Ich gehe da wirklich auf den Satz »Das Private ist politisch« zurück. Also ich finde es schon politisch, dass ich als Frau Filme machen kann. Frauen werden erst seit 40 Jahren überhaupt zum Filmemachen ausgebildet. Die neue Studie der FFA zeigt ja, dass das Filmbusiness immer noch auf Männerbünden basiert. Deshalb ist es auf jeden Fall schon an sich eine revolutionäre Tat als Frau einen Film zu machen, es hat eine ganz andere Wirkung als wenn ein Mann das macht, es hat andere Hindernisse, andere Folgen und wird anders rezipiert.


Aber was wolltest du sagen, als du sagtest, du wolltest gern über unsere Zusammenarbeit sprechen und darüber, was es auslöst?

Also im Moment zum Beispiel stellt es mich vor viele interessante Herausforderungen, weil ich durch dich mit einer ganz anderen Lebenswirklichkeit konfrontiert werde. Ich muss mich da auch immer wieder selbst befragen. Es fängt da an, dass wir in gute Restaurants gehen. Ich wohne in einer WG in Leipzig, ich gehe quasi nie essen und habe so gut wie kein Geld. Ich führe ein studentisches Leben, für das ich mich aber auch entschieden habe, weil ich irgendwann einmal beschlossen habe, ich will keinen Druck auf meine Kunst legen, mich irgendwie zu ernähren. Wenn wir dann essen gehen, fühle ich mich ein bisschen wie Cinderella, aber ich frage mich auch, welche Abhängigkeiten daraus entstehen könnten. Es ist interessant, dass die Konfrontation mit dir und deiner Welt mich immer wieder überprüfen lässt, wo ich eigentlich stehe. Zum Beispiel gab es ja die Begegnung zwischen meinen Freundinnen und dir, wo ich mich total zwischen den Stühlen gefühlt habe. Ich bin da ganz naiv reingegangen und dachte, das wird bestimmt eine total spannende Begegnung, und dann hatte ich das Gefühl, meine Freundinnen grenzen sich so ab, weil du für sie den weißen mächtigen Mann und die Industrie repräsentierst und eine Konfrontation mit alten Verletzungen bist. Von dir kam eigentlich eine grundsätzliche Offenheit, aber natürlich stelle ich mir da auch die Frage: Wie bewusst bist du dir der Privilegien, die du hast? Weißt du, dass du hier einen safe space betrittst? Weißt du, dass es als Machtgeste verstanden wird, wenn du zahlst? Und ich war so dazwischen und hatte die Herausforderung herauszufinden wo ich mich darin eigentlich selbst verorte. Ich habe mir so sehr gewünscht, dass sich diese Teile meines Lebens vereinen lassen. Aber wahrscheinlich ist es genau das, was ich lernen musste: Widersprüche auszuhalten. Es gibt noch andere Momente. Ich frage mich zum Beispiel, warum es mir so schwer fällt, dich zu fragen, ob wir das nächste mal, wenn du nach Leipzig kommst, zum syrischen Imbiss gehen. Ich gehe da einfach immer hin, und das Essen ist gut, aber es kostet eben nur 3,50 Euro. Warum löst das ein Gefühl von Scham in mir aus? Da muss ich an Didier Eribon denken, den FoucaultBiografen, und sein Buch »Rückkehr nach Reims« (2009), wo es um Klassismus geht oder so etwas wie die Scham der Arbeiterklasse.

Ich bin zwar Pfarrerstochter, aber Pfarrerstochter aus dem Osten, und ich habe das Gefühl, dass ich eine Pseudo-Intellektuelle bin, die zwar ein bisschen mit Worten um sich werfen kann, aber eigentlich darin nicht zu Hause ist und sich so wahnsinnig mühevoll dorthin gearbeitet hat. Es ist ein dauerndes Switchen. Natürlich funktioniere ich auch in der Welt, in der wir zusammen unterwegs sind. Und dann komme ich hier nach Hause und habe ein Baby und lauter queere Freundinnen und Freunde, die in Hausprojekten leben und solidarische Mieten zahlen und Kinder in ungewöhnlichen Konstellationen großziehen. Das ist auf jeden Fall ein witziger Kontrast, eine witzige Konfrontation, die gerade viel in mir bewegt. Und weil ich das Gefühl habe, dass es gerade eine ganz produktive Verbindung ist, verfolge ich das auch und bin gespannt, was es mit mir macht und mit der Art, wie ich Filme mache, denn auf jeden Fall wird es etwas damit machen. Wie alles, was ich an mich heranlasse.

Ja, das finde ich auch sehr interessant. Da haben wir noch viel Zeit, um zu sehen was passiert. Ich finde es auch sehr spannend.

Foto:
© Verleih

Info:
DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN
ein Film von Susanne Heinrich
DE/FR/DK 2019, 80 Minuten, deutsche OF mit englischen UT
mit Marie Rathscheck

Philippe Bober ist einer der Producer von DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN und Gründer der internationalen Produktions- und Weltvertriebsfirma Coproduction Office.