f madchen2Nachtrag: Serie: Die anlaufenden Filme in deutschen Kinos vom 27. Juni 2019, Teil 16

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Ich komme gerade aus dem kleinen feinen Kino im Frankfurter Nordend, dem MAL SEH‘N in der Adlerflychtstraße und grinse vor mich hin. Denn fluchtartig hatten nach Ende des Films und vor dem sehr langen Abspann, der mal wieder zeigt, wieviele Menschen an einem Film beteiligt sind, fluchtartig also hatten zwei Reihen Männer das Kino verlassen. Die hatten sich wohl von diesem Mädchen und dem reizvollen Plakat etwas anderes versprochen. Da hatten sie sich aber so was von geschnitten!

Obwohl Sexszenen gibt es auch und nicht zu wenig. Und mal – darauf legt Susanne Heinrich, bisher Schriftstellerin, mit ihrem ersten Film Wert – gleich aufgeteilt in die nackten Tatsachen von Frauen und Männern, wobei sich mal wieder zeigt, daß Frauen mehr zu bieten haben, eben mehr Teilchen und so bleiben die versteckten auch versteckt und nur nackte Brüste haben mit dem bildfüllenden Gehänge eines potentiellen Liebhabers ein Stelldichein. Aber das bleibt alles gewissermaßen klinisch oder in derart grell sanfte Popfarben, hauptsächlich Rosa-Grün gehüllt, daß besagte Herren nicht auf ihre Kosten kamen. Oder sind das alles nur unsere Phantasien? Aber, dann hat sie dieser Film hervorgelockt.

Die Nackerten zeigen ihre Nacktheit auch völlig natürlich im Handlungsreigen, systemimmanent sozusagen. Erotisch aufgeladen ist das nicht. Schließlich hat das melancholische Mädchen – traumverloren und doch ganz diesseitig, sehr wandlungsfähig und doch immer gleich, wunderbar dargestellt von der, die den ganzen Film trägt: Marie Rathscheck ! - ja Grund, ständig in anderer Leute Badewannen oder Betten zu schlafen. Sie ist derzeit ohne Wohnung, die besten Freundinnen in Beziehungsproblemen oder Kinderaufzucht verstrickt, also muß sie sich täglich eine Unterkunft, ein Bett suchen, was DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN in 14 Episoden uns miterleben läßt.

Nein, um Handlung geht es hier nicht. Susanne Heinrich fand einfach in diesen Episoden die Möglichkeit, unterschiedliche Seinsweisen einer jungen Frau von heute in Tableaus zu präsentieren, die alle einem strengen Formwillen unterliegen und gleichzeitig total verspielt sind, teilweise im Farbenrausch. Die Episoden sind weder gleich lang, noch gleich gewichtig. Anfang und Schluß fassen sie eindrücklich zusammen. Es beginnt mit dem Plakatmotiv, wo MM - mal also nicht Marilyn Monroe, sondern das melancholische Mädchen - nackt unter dem hellen knielangen Pelz vor einer kitschig-schönen Palmentapete über sich und das Leben spricht. Tapete sagen wir, natürlich suggeriert das posterhafte Leinwandbild, daß sie wirklich auf dem weißen Sand, vor dem grün-blauen Meer vor dem extrem blauen Himmel unter den sehr grünen Palmen posiert und memoriert: „Ich hasse melancholische Mädchen, alle melancholischen Mädchen tun das.“ Und dann sagt sie noch was, etwa wie: Daß das daran läge, daß die Katastrophen, die andere noch erwarten, schon hinter ihnen lägen.

Sie hat einen Zuschauer: ein Kerl auf dem Bett richtet seine Kamera auf sie und sagt, sie sähe aufregend aus, in der Nacktheit unter dem Mantel, und knipst sie. Aha, das Plakatmotiv! Noch sind wir ja unwissend, glauben, er sei ihr Freund und Liebhaber. Aber sie hatte hier sicher nur ein Plätzchen zum Schlafen gefunden, inwieweit das Beischläfe miteinschließt, wird völlig unwichtig. Denn an das MM kommt das Leben nicht immer ran.

Gut, vielleicht zu aufgetragen, aber gleich die nächste Szene läßt einen auch in der Erinnerung noch laut auflachen. Denn es geht um Werbeaufnahmen, um das Casting dazu. Zusammen mit dem MM gibt‘s eines dieser baumlangen dürren Models, mit unterstützter Brust. Beide sollen nun in erotischen Bewegungen ihre Körper drehen und wenden und dabei verführerisch in die Kamera blicken. Zu Werbezwecken. Völlig absurd, was das Modell da auftischt, aber genau das, was Verkaufsstrategen sich unter einer verführerischen Weiblichkeit vorstellen. Das MM dagegen kriegt kaum den Mund auf, den Mantel, der weiterhin ihre Nacktheit umhüllt, auch nicht; sie leiert die Anmache emotionslos vor sich her.

Das Leiern ist auch in anderen Szenen üblich. Man kann auch gestelztes, künstliches Sprechen dazu sagen, es ist ein Ton, wie Kinder Texte aufsagen, die ihnen nichts sagen. Und Absicht. Denn eigentlich besteht der ganze Film aus Verfremdungen, aus einer nicht nachlassenden Irritation, weil Sehgewohnheiten, auch Bildstrategien so ganz anders daherkommen, als gewohnt. Nein, es ist kein normaler Film, es ist ein feministischer Diskurs, der sich traut, Aussagen in Bilder zu hüllen. Und die Bilder sind oft so schön, daß man da den Film anhalten möchte. Das gilt auch für manche Szenenbilder. Die mit der Badewanne gehören sicher dazu. Auf solche Idee muß man erst mal kommen.

Uns selber hat‘s am besten gefallen, wenn sich Bilder und Gegenstände selbstständig machten, wenn die Realität ganz davonfliegt und ein Träumen und Phantasieren beginnt, eh sich alles im Farbenrausch auflöst.

Die Frankfurter haben noch heute um 22.30 Gelegenheit, im MAL SEH‘N das melancholische Mädchen anzusehen.

Foto:
© Verleih

Info:
DAS MELANCHOLISCHE MÄDCHEN
ein Film von Susanne Heinrich
DE/FR/DK 2019, 80 Minuten, deutsche OF mit englischen UT
mit Marie Rathscheck